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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
soll ein Strahl des Sterns von Bethlehem durchdringen. Seine
Maria ist anderen Geschlechts, das liest man nicht bloss in den
feinen Linien ihrer Züge. In dem Augenblick, wo sie das
Kind enthüllt, durchstrahlt ein Gedanke, jenen unfassbar, ihr
Inneres, und entrückt sie der Gegenwart: das bedeutet jener
stille, feierliche Blick der grossen, dunklen Augen nach oben.
Der Valencianer, von Haus aus ein noch härterer Realist als
der Sevillaner, war von der idealen Sonne Italiens erwärmt.

Der Maria des Velazquez fehlt dieser Zug. Diese hübsche,
stattliche Mutter bleibt die praktische Zimmermannsfrau. Ge-
wohnt in ihren Haushaltungsgeschäften zu leben, denkt sie auch
hier über den Augenblick nicht hinaus. Sie deckt das Kind so
vorsichtig auf, als fürchte sie eine Erkältung, und dabei sieht
sie scharf und etwas verlegen (mit eingezogenen Mundwinkeln)
auf die herandrängenden Bauern mit den Bestien. Ob sie es
gut sehn? Aber dass sie sich nur nichts herausnehmen! So zeigt
man den dazu Berechtigten den neugeborenen Thronerben. Sie
thut es nicht einmal mit Grazie: man sehe den spitzen Winkel
des Arms! Auch ist sie, obwohl eine Handwerkerfrau, vornehmer
als diese Campagnolen, vor denen sie sich dem Erguss der Mutter-
freude nicht überlassen mag. Aber wie kann sie, in der Nacht
der Geburt, ihr Kind aufdecken, ohne zuerst auf das Kind zu
sehn? Das fühlte Correggio! Der Eindruck des gemeinen Wochen-
bettbesuchs wird vollendet durch das kunstgerechte Wickel-
püppchen, das allerdings diessmal bequem daliegt, mit seinem
niedlich hübschen aber noch ganz stupiden Köpfchen und den
zierlichen goldenen Löckchen. Wahrlich, diess ist der Tief-
punkt der Ernüchterung in der Darstellung der Weihnacht. Die
letzten Akademiker, ein Mengs, ein Rotari sind Hymnendichter,
wenn auch phrasenhafte, neben dieser spanischen Prosa. --

Wie oft bei Jugendwerken hat man nicht verstehen wollen,
dass ein Künstler in seinen Anfängen sich oft sehr unähnlich sieht.
Als diese "Hirten" im Louvre waren, hörte man von Madrid her,
"dass kein Kenner dieses Bild dem Meister zuschreiben werde;
es sei eher ein früher Zurbaran, und nicht einmal ein würdiger
Repräsentant" 1).


1) Correo nacional, 28. Juni 1838, angeführt in Naglers Lexicon. -- Viele
andere biblische Darstellungen sind allerdings apokryph. Der Tod des heil. Joseph
aus der Houghtongalerie (in der Ermitage), der gemeine Loth aus der Galerie Orleans
verdienen keine Besprechung, und sollten nicht in alle Ewigkeit an der Spitze
des Katalogs fortgeführt werden, wenn auch mit?. Die Findung Moses im Castle

Zweites Buch.
soll ein Strahl des Sterns von Bethlehem durchdringen. Seine
Maria ist anderen Geschlechts, das liest man nicht bloss in den
feinen Linien ihrer Züge. In dem Augenblick, wo sie das
Kind enthüllt, durchstrahlt ein Gedanke, jenen unfassbar, ihr
Inneres, und entrückt sie der Gegenwart: das bedeutet jener
stille, feierliche Blick der grossen, dunklen Augen nach oben.
Der Valencianer, von Haus aus ein noch härterer Realist als
der Sevillaner, war von der idealen Sonne Italiens erwärmt.

Der Maria des Velazquez fehlt dieser Zug. Diese hübsche,
stattliche Mutter bleibt die praktische Zimmermannsfrau. Ge-
wohnt in ihren Haushaltungsgeschäften zu leben, denkt sie auch
hier über den Augenblick nicht hinaus. Sie deckt das Kind so
vorsichtig auf, als fürchte sie eine Erkältung, und dabei sieht
sie scharf und etwas verlegen (mit eingezogenen Mundwinkeln)
auf die herandrängenden Bauern mit den Bestien. Ob sie es
gut sehn? Aber dass sie sich nur nichts herausnehmen! So zeigt
man den dazu Berechtigten den neugeborenen Thronerben. Sie
thut es nicht einmal mit Grazie: man sehe den spitzen Winkel
des Arms! Auch ist sie, obwohl eine Handwerkerfrau, vornehmer
als diese Campagnolen, vor denen sie sich dem Erguss der Mutter-
freude nicht überlassen mag. Aber wie kann sie, in der Nacht
der Geburt, ihr Kind aufdecken, ohne zuerst auf das Kind zu
sehn? Das fühlte Correggio! Der Eindruck des gemeinen Wochen-
bettbesuchs wird vollendet durch das kunstgerechte Wickel-
püppchen, das allerdings diessmal bequem daliegt, mit seinem
niedlich hübschen aber noch ganz stupiden Köpfchen und den
zierlichen goldenen Löckchen. Wahrlich, diess ist der Tief-
punkt der Ernüchterung in der Darstellung der Weihnacht. Die
letzten Akademiker, ein Mengs, ein Rotari sind Hymnendichter,
wenn auch phrasenhafte, neben dieser spanischen Prosa. —

Wie oft bei Jugendwerken hat man nicht verstehen wollen,
dass ein Künstler in seinen Anfängen sich oft sehr unähnlich sieht.
Als diese „Hirten“ im Louvre waren, hörte man von Madrid her,
„dass kein Kenner dieses Bild dem Meister zuschreiben werde;
es sei eher ein früher Zurbaran, und nicht einmal ein würdiger
Repräsentant“ 1).


1) Correo nacional, 28. Juni 1838, angeführt in Naglers Lexicon. — Viele
andere biblische Darstellungen sind allerdings apokryph. Der Tod des heil. Joseph
aus der Houghtongalerie (in der Ermitage), der gemeine Loth aus der Galerie Orleans
verdienen keine Besprechung, und sollten nicht in alle Ewigkeit an der Spitze
des Katalogs fortgeführt werden, wenn auch mit?. Die Findung Moses im Castle
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[150/0170] Zweites Buch. soll ein Strahl des Sterns von Bethlehem durchdringen. Seine Maria ist anderen Geschlechts, das liest man nicht bloss in den feinen Linien ihrer Züge. In dem Augenblick, wo sie das Kind enthüllt, durchstrahlt ein Gedanke, jenen unfassbar, ihr Inneres, und entrückt sie der Gegenwart: das bedeutet jener stille, feierliche Blick der grossen, dunklen Augen nach oben. Der Valencianer, von Haus aus ein noch härterer Realist als der Sevillaner, war von der idealen Sonne Italiens erwärmt. Der Maria des Velazquez fehlt dieser Zug. Diese hübsche, stattliche Mutter bleibt die praktische Zimmermannsfrau. Ge- wohnt in ihren Haushaltungsgeschäften zu leben, denkt sie auch hier über den Augenblick nicht hinaus. Sie deckt das Kind so vorsichtig auf, als fürchte sie eine Erkältung, und dabei sieht sie scharf und etwas verlegen (mit eingezogenen Mundwinkeln) auf die herandrängenden Bauern mit den Bestien. Ob sie es gut sehn? Aber dass sie sich nur nichts herausnehmen! So zeigt man den dazu Berechtigten den neugeborenen Thronerben. Sie thut es nicht einmal mit Grazie: man sehe den spitzen Winkel des Arms! Auch ist sie, obwohl eine Handwerkerfrau, vornehmer als diese Campagnolen, vor denen sie sich dem Erguss der Mutter- freude nicht überlassen mag. Aber wie kann sie, in der Nacht der Geburt, ihr Kind aufdecken, ohne zuerst auf das Kind zu sehn? Das fühlte Correggio! Der Eindruck des gemeinen Wochen- bettbesuchs wird vollendet durch das kunstgerechte Wickel- püppchen, das allerdings diessmal bequem daliegt, mit seinem niedlich hübschen aber noch ganz stupiden Köpfchen und den zierlichen goldenen Löckchen. Wahrlich, diess ist der Tief- punkt der Ernüchterung in der Darstellung der Weihnacht. Die letzten Akademiker, ein Mengs, ein Rotari sind Hymnendichter, wenn auch phrasenhafte, neben dieser spanischen Prosa. — Wie oft bei Jugendwerken hat man nicht verstehen wollen, dass ein Künstler in seinen Anfängen sich oft sehr unähnlich sieht. Als diese „Hirten“ im Louvre waren, hörte man von Madrid her, „dass kein Kenner dieses Bild dem Meister zuschreiben werde; es sei eher ein früher Zurbaran, und nicht einmal ein würdiger Repräsentant“ 1). 1) Correo nacional, 28. Juni 1838, angeführt in Naglers Lexicon. — Viele andere biblische Darstellungen sind allerdings apokryph. Der Tod des heil. Joseph aus der Houghtongalerie (in der Ermitage), der gemeine Loth aus der Galerie Orleans verdienen keine Besprechung, und sollten nicht in alle Ewigkeit an der Spitze des Katalogs fortgeführt werden, wenn auch mit?. Die Findung Moses im Castle

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/170>, abgerufen am 25.04.2024.