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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
die Sorgen der Verwaltung seiner tollen, ihm vom Teufel verdor-
benen Welt, die Aufsicht des himmlischen Hofs mit seinen kaum
übersehbaren stets zu berücksichtigenden Zwischeninstanzen,
sind in diesem grimmigen Greisenhaupt geschrieben.

Damals standen sich Zurbaran und Velazquez sehr nahe.
Das Bild der Hirten in der Galerie Montpensier verräth wie das
Gemälde gleichen Inhalts von letzterem, den Eindruck Ribera's:
es ist der einzige Fall, wo beide Nachahmer waren. Der Estremenno
war mit einem Auge für das Individuelle begabt, das dem des
Sevillaners keineswegs nachstand. Der Cyklus des heil. Bona-
ventura 1) allein, besonders die beiden Stücke des Louvre, ent-
hält soviel bedeutende Köpfe, dass sich das halbe Lebenswerk
eines Bildnissmalers von Profession damit bestreiten liesse. Und
noch mehr: neben diesen Köpfen wird alles was man daneben
sieht, conventionell, schattenhaft. Die Geringschätzung der Phan-
tasie war bei ihm noch auffallender als bei Velazquez, seine Ge-
bundenheit an das Modell, seine realistische Ehrlichkeit pedan-
tisch. Er musste jedes Gesicht porträtiren, Zug für Zug; jede
Gestalt hat ihm gerade so gesessen, gestanden, gekniet, jeder Ge-
wandstoff hat genau so über dem Gliedermann gehangen. Diess
war keine Unbeholfenheit, es war ein Gesetz, das er sich auf-
erlegte. Denn bei alledem ist er ein Künstler, der aus ganzem
Holze schneidet, der das Ganze im Auge hat, im grossen Stil
zeichnet und modellirt.

Und im Gegenstand war er kein Naturalist. Keine Scene
aus dem gemeinen Leben hat er je zu malen sich herabgelassen,
kaum ein Porträt. Sie würden ihn ebenso gelangweilt haben,
wie seine Heiligen die Beschäftigung mit weltlichen Dingen. Er
lebte nur in den Actis Sanctorum.

Dagegen war Velazquez zwar als Künstler ungleich freier
schon damals, er sah sich in das Bildungsgesetz, ja in das Innere
seiner Menschen hinein, sodass er sie nachzuschaffen scheint.
Aber er sehnte sich die Zeitgenossen zu malen in ihrer eigenen
Rolle, nicht bloss als Spieler in Mysterien, nach dem Programm
der Theologen.

Und so sind ihre Wege bald auseinandergegangen. Der

1) Dieser bisher unter ganz unrichtigen Erklärungen verborgen gewesene
Cyclus ist von mir zuerst in den zwei Gemälden des Louvre (558 f.), einem im
Berliner Museum (404 a) und einem in der Dresdener Galerie (627) nachgewiesen
worden. S. Jahrbuch der preussischen Kunstsammlungen 1883.

Zweites Buch.
die Sorgen der Verwaltung seiner tollen, ihm vom Teufel verdor-
benen Welt, die Aufsicht des himmlischen Hofs mit seinen kaum
übersehbaren stets zu berücksichtigenden Zwischeninstanzen,
sind in diesem grimmigen Greisenhaupt geschrieben.

Damals standen sich Zurbaran und Velazquez sehr nahe.
Das Bild der Hirten in der Galerie Montpensier verräth wie das
Gemälde gleichen Inhalts von letzterem, den Eindruck Ribera’s:
es ist der einzige Fall, wo beide Nachahmer waren. Der Estremeño
war mit einem Auge für das Individuelle begabt, das dem des
Sevillaners keineswegs nachstand. Der Cyklus des heil. Bona-
ventura 1) allein, besonders die beiden Stücke des Louvre, ent-
hält soviel bedeutende Köpfe, dass sich das halbe Lebenswerk
eines Bildnissmalers von Profession damit bestreiten liesse. Und
noch mehr: neben diesen Köpfen wird alles was man daneben
sieht, conventionell, schattenhaft. Die Geringschätzung der Phan-
tasie war bei ihm noch auffallender als bei Velazquez, seine Ge-
bundenheit an das Modell, seine realistische Ehrlichkeit pedan-
tisch. Er musste jedes Gesicht porträtiren, Zug für Zug; jede
Gestalt hat ihm gerade so gesessen, gestanden, gekniet, jeder Ge-
wandstoff hat genau so über dem Gliedermann gehangen. Diess
war keine Unbeholfenheit, es war ein Gesetz, das er sich auf-
erlegte. Denn bei alledem ist er ein Künstler, der aus ganzem
Holze schneidet, der das Ganze im Auge hat, im grossen Stil
zeichnet und modellirt.

Und im Gegenstand war er kein Naturalist. Keine Scene
aus dem gemeinen Leben hat er je zu malen sich herabgelassen,
kaum ein Porträt. Sie würden ihn ebenso gelangweilt haben,
wie seine Heiligen die Beschäftigung mit weltlichen Dingen. Er
lebte nur in den Actis Sanctorum.

Dagegen war Velazquez zwar als Künstler ungleich freier
schon damals, er sah sich in das Bildungsgesetz, ja in das Innere
seiner Menschen hinein, sodass er sie nachzuschaffen scheint.
Aber er sehnte sich die Zeitgenossen zu malen in ihrer eigenen
Rolle, nicht bloss als Spieler in Mysterien, nach dem Programm
der Theologen.

Und so sind ihre Wege bald auseinandergegangen. Der

1) Dieser bisher unter ganz unrichtigen Erklärungen verborgen gewesene
Cyclus ist von mir zuerst in den zwei Gemälden des Louvre (558 f.), einem im
Berliner Museum (404 a) und einem in der Dresdener Galerie (627) nachgewiesen
worden. S. Jahrbuch der preussischen Kunstsammlungen 1883.
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[154/0174] Zweites Buch. die Sorgen der Verwaltung seiner tollen, ihm vom Teufel verdor- benen Welt, die Aufsicht des himmlischen Hofs mit seinen kaum übersehbaren stets zu berücksichtigenden Zwischeninstanzen, sind in diesem grimmigen Greisenhaupt geschrieben. Damals standen sich Zurbaran und Velazquez sehr nahe. Das Bild der Hirten in der Galerie Montpensier verräth wie das Gemälde gleichen Inhalts von letzterem, den Eindruck Ribera’s: es ist der einzige Fall, wo beide Nachahmer waren. Der Estremeño war mit einem Auge für das Individuelle begabt, das dem des Sevillaners keineswegs nachstand. Der Cyklus des heil. Bona- ventura 1) allein, besonders die beiden Stücke des Louvre, ent- hält soviel bedeutende Köpfe, dass sich das halbe Lebenswerk eines Bildnissmalers von Profession damit bestreiten liesse. Und noch mehr: neben diesen Köpfen wird alles was man daneben sieht, conventionell, schattenhaft. Die Geringschätzung der Phan- tasie war bei ihm noch auffallender als bei Velazquez, seine Ge- bundenheit an das Modell, seine realistische Ehrlichkeit pedan- tisch. Er musste jedes Gesicht porträtiren, Zug für Zug; jede Gestalt hat ihm gerade so gesessen, gestanden, gekniet, jeder Ge- wandstoff hat genau so über dem Gliedermann gehangen. Diess war keine Unbeholfenheit, es war ein Gesetz, das er sich auf- erlegte. Denn bei alledem ist er ein Künstler, der aus ganzem Holze schneidet, der das Ganze im Auge hat, im grossen Stil zeichnet und modellirt. Und im Gegenstand war er kein Naturalist. Keine Scene aus dem gemeinen Leben hat er je zu malen sich herabgelassen, kaum ein Porträt. Sie würden ihn ebenso gelangweilt haben, wie seine Heiligen die Beschäftigung mit weltlichen Dingen. Er lebte nur in den Actis Sanctorum. Dagegen war Velazquez zwar als Künstler ungleich freier schon damals, er sah sich in das Bildungsgesetz, ja in das Innere seiner Menschen hinein, sodass er sie nachzuschaffen scheint. Aber er sehnte sich die Zeitgenossen zu malen in ihrer eigenen Rolle, nicht bloss als Spieler in Mysterien, nach dem Programm der Theologen. Und so sind ihre Wege bald auseinandergegangen. Der 1) Dieser bisher unter ganz unrichtigen Erklärungen verborgen gewesene Cyclus ist von mir zuerst in den zwei Gemälden des Louvre (558 f.), einem im Berliner Museum (404 a) und einem in der Dresdener Galerie (627) nachgewiesen worden. S. Jahrbuch der preussischen Kunstsammlungen 1883.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/174>, abgerufen am 24.04.2024.