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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Hof und Palast von Madrid.

Der spanische Hof, schreibt Boisel 1), ist kein Hof im Sinn
des französischen und englischen; er ist ein Privathaus und führt
ein abgeschlossenes (serree) Leben. Die Habsburger haben bis
zum Untergang der Linie die Ordnung und Einrichtung des
Hofs von Burgund beibehalten, die sehr verschieden war von
der alten, einfachen und billigen Hofhaltung der castilischen
Monarchen. Der König nannte sich Nachfolger und Erbe des
Hauses Burgund. In dem Hof dieser Philippe lebte der Hof
Philipps des Guten und Karls des Kühnen fort, in seinen Gepflo-
genheiten und in seiner Prunkliebe, in seinen Aemtern und Titeln.
Der Monarch speiste allein, die Königin und jeder Infant hatten
ihren Hofstaat, ihre "Familie" für sich 2). Ein Theil des Hofes
hiess Casa de Borgonna; Rechnungen und Bücher des Palastes
wurden nach burgundischer Art geführt, die Namen der Hof-
chargen waren zum Theil burgundisch 3).

Diese Aemter, welche nicht gekauft, sondern vom Könige
geschenkt wurden, waren die Ziele des Ehrgeizes verschiedener
Ordnung, sie dienten als Köder, um den Adel von seinen
Schlössern in die Hauptstadt zu locken. Die Spanier alten
Schlags hatten die Einführung dieses fremdartigen und kost-
spieligen Hofwesens anfangs nicht ohne Aergerniss mit ange-
sehn. Noch im fünften Jahre Philipp II wagten die Cortes von
Castilien vorzustellen: "Euer Haus von Burgund ist mit so über-
mässigen Ausgaben verknüpft, dass man mit selbigen ein Reich
erobern könnte: sie verschlingen den grössten Theil der Renten
des königlichen Patrimoniums. Das Schlimmste aber ist der
Schaden und Nachtheil fürs Reich: dass die Gebräuche und
Sitten Castiliens vergessen werden und des spanischen Volkes
Kräfte so geschwächt, erschöpft und ausgesogen, dass es Ew.
Maj. jetzt nur noch wie der Pelikan mit seinem Herzblut
dienen kann". --

Der Name des alten Alcazar von Madrid wird oft im
Lauf dieser Erzählung genannt werden. Ihr Held ist über
ein Menschenalter lang seine breiten und engen Treppen auf-

1) Journal du Voyage d'Espagne. Paris 1669. 4°, 178. Im Jahre 1659 an-
getreten. Relazione di Spagna 1605, Magliabechiana 5077. 60.
2) Zane, Relazione di 1659.
3) Sumiller de corps (Oberkammerherr), s. de cortina (S. o. 163), s. de la
cava (Oberschenk), s. de paneteria (Oberküchenmeister), guardamangel und contralor
(Hofküchenschreiber); grefier (Hofzahlmeister), ugier de vianda, portero de may-
son, acroy.
Hof und Palast von Madrid.

Der spanische Hof, schreibt Boisel 1), ist kein Hof im Sinn
des französischen und englischen; er ist ein Privathaus und führt
ein abgeschlossenes (serrée) Leben. Die Habsburger haben bis
zum Untergang der Linie die Ordnung und Einrichtung des
Hofs von Burgund beibehalten, die sehr verschieden war von
der alten, einfachen und billigen Hofhaltung der castilischen
Monarchen. Der König nannte sich Nachfolger und Erbe des
Hauses Burgund. In dem Hof dieser Philippe lebte der Hof
Philipps des Guten und Karls des Kühnen fort, in seinen Gepflo-
genheiten und in seiner Prunkliebe, in seinen Aemtern und Titeln.
Der Monarch speiste allein, die Königin und jeder Infant hatten
ihren Hofstaat, ihre „Familie“ für sich 2). Ein Theil des Hofes
hiess Casa de Borgoña; Rechnungen und Bücher des Palastes
wurden nach burgundischer Art geführt, die Namen der Hof-
chargen waren zum Theil burgundisch 3).

Diese Aemter, welche nicht gekauft, sondern vom Könige
geschenkt wurden, waren die Ziele des Ehrgeizes verschiedener
Ordnung, sie dienten als Köder, um den Adel von seinen
Schlössern in die Hauptstadt zu locken. Die Spanier alten
Schlags hatten die Einführung dieses fremdartigen und kost-
spieligen Hofwesens anfangs nicht ohne Aergerniss mit ange-
sehn. Noch im fünften Jahre Philipp II wagten die Cortes von
Castilien vorzustellen: „Euer Haus von Burgund ist mit so über-
mässigen Ausgaben verknüpft, dass man mit selbigen ein Reich
erobern könnte: sie verschlingen den grössten Theil der Renten
des königlichen Patrimoniums. Das Schlimmste aber ist der
Schaden und Nachtheil fürs Reich: dass die Gebräuche und
Sitten Castiliens vergessen werden und des spanischen Volkes
Kräfte so geschwächt, erschöpft und ausgesogen, dass es Ew.
Maj. jetzt nur noch wie der Pelikan mit seinem Herzblut
dienen kann“. —

Der Name des alten Alcazar von Madrid wird oft im
Lauf dieser Erzählung genannt werden. Ihr Held ist über
ein Menschenalter lang seine breiten und engen Treppen auf-

1) Journal du Voyage d’Espagne. Paris 1669. 4°, 178. Im Jahre 1659 an-
getreten. Relazione di Spagna 1605, Magliabechiana 5077. 60.
2) Zane, Relazione di 1659.
3) Sumiller de corps (Oberkammerherr), s. de cortina (S. o. 163), s. de la
cava (Oberschenk), s. de paneteria (Oberküchenmeister), guardamangel und contralor
(Hofküchenschreiber); grefier (Hofzahlmeister), ugier de vianda, portero de may-
son, acroy.
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[179/0199] Hof und Palast von Madrid. Der spanische Hof, schreibt Boisel 1), ist kein Hof im Sinn des französischen und englischen; er ist ein Privathaus und führt ein abgeschlossenes (serrée) Leben. Die Habsburger haben bis zum Untergang der Linie die Ordnung und Einrichtung des Hofs von Burgund beibehalten, die sehr verschieden war von der alten, einfachen und billigen Hofhaltung der castilischen Monarchen. Der König nannte sich Nachfolger und Erbe des Hauses Burgund. In dem Hof dieser Philippe lebte der Hof Philipps des Guten und Karls des Kühnen fort, in seinen Gepflo- genheiten und in seiner Prunkliebe, in seinen Aemtern und Titeln. Der Monarch speiste allein, die Königin und jeder Infant hatten ihren Hofstaat, ihre „Familie“ für sich 2). Ein Theil des Hofes hiess Casa de Borgoña; Rechnungen und Bücher des Palastes wurden nach burgundischer Art geführt, die Namen der Hof- chargen waren zum Theil burgundisch 3). Diese Aemter, welche nicht gekauft, sondern vom Könige geschenkt wurden, waren die Ziele des Ehrgeizes verschiedener Ordnung, sie dienten als Köder, um den Adel von seinen Schlössern in die Hauptstadt zu locken. Die Spanier alten Schlags hatten die Einführung dieses fremdartigen und kost- spieligen Hofwesens anfangs nicht ohne Aergerniss mit ange- sehn. Noch im fünften Jahre Philipp II wagten die Cortes von Castilien vorzustellen: „Euer Haus von Burgund ist mit so über- mässigen Ausgaben verknüpft, dass man mit selbigen ein Reich erobern könnte: sie verschlingen den grössten Theil der Renten des königlichen Patrimoniums. Das Schlimmste aber ist der Schaden und Nachtheil fürs Reich: dass die Gebräuche und Sitten Castiliens vergessen werden und des spanischen Volkes Kräfte so geschwächt, erschöpft und ausgesogen, dass es Ew. Maj. jetzt nur noch wie der Pelikan mit seinem Herzblut dienen kann“. — Der Name des alten Alcazar von Madrid wird oft im Lauf dieser Erzählung genannt werden. Ihr Held ist über ein Menschenalter lang seine breiten und engen Treppen auf- 1) Journal du Voyage d’Espagne. Paris 1669. 4°, 178. Im Jahre 1659 an- getreten. Relazione di Spagna 1605, Magliabechiana 5077. 60. 2) Zane, Relazione di 1659. 3) Sumiller de corps (Oberkammerherr), s. de cortina (S. o. 163), s. de la cava (Oberschenk), s. de paneteria (Oberküchenmeister), guardamangel und contralor (Hofküchenschreiber); grefier (Hofzahlmeister), ugier de vianda, portero de may- son, acroy.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/199>, abgerufen am 24.04.2024.