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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
quez In ihrem Beginne zählte der Maler vierundzwanzig, der König
achtzehn Jahre (geb. 8. April 1605). Jener hat fast nur für den
König gemalt und hat ihn wol mehr gemalt, als irgend ein an-
derer Hofmaler seinen Herrn. Eine merkwürdige Reihe würde
es geben, wenn man diese Bildnisse aus allen Ländern an einem
Ort zusammen bringen könnte! Wie er den König von Jahr zu
Jahr begleitet, vom achtzehnten bis zum sechszigsten: ein
erschreckend einförmiges Thema, ausser für den, der es für der
Mühe werth hält, die Wechsel der Jahre, die Spuren der Schick-
sale, verschlungen mit den Wandlungen der Hand des Künstlers
zu verfolgen. Der Venezianer Basadonna sagte von Philipp IV:
"In der Uhr seiner Regierung versieht er bloss das Geschäft
des Stundenzeigers, der selbst ohne jede eigene Bewegung,
nur durch die Räder der Minister bewegt wird"1). Für uns sind
diese Bildnisse auch der Jahreszeiger für die Geschichte des
Malers.

Hat es irgend Jemanden gegeben, den diess Gesicht ge-
fesselt? Und auf die Züge fällt noch ein Schatten der unglück-
lichsten Regierung, die Spanien, vielleicht die neuere Geschichte
erlebt hat. Gleichwol sind die Galerien begierig nach dem Be-
sitz eines dieser Bildnisse; und man wundert sich, dass man ein
neu gefundenes Exemplar immer wieder mit Interesse betrachtet.
Ist denn in der Kunst der Gegenstand nichts, die Sprache alles?

Philipp IV war gewiss eins der merkwürdigsten Exemplare
des Roi faineant, und durch die Art wie Kraft und Schwäche
in ihm gemischt waren, ein Problem.

Man kann ihn zu den von der Natur begünstigten Menschen
rechnen. Nach dem Urtheil aller war er der erste Cavalier
seines Hofes, der tadelloseste, festeste Reiter in den Turnieren,
der sicherste Schütze und rüstigste Jäger. Als Regent war er
beseelt vom besten, reinsten Willen. Er besass eine so vollkom-
mene Selbstbeherrschung, dass man ihn, ungeachtet seines
eigentlich lebhaften Temperaments, kaum je zornig oder ausge-
lassen gesehen hat. Eine ungetrübte, fast zärtliche Freundschaft
verband ihn mit seinen Geschwistern. Man hatte noch keinen
spanischen König gesehen, der so human gegen seine Diener
war (familiare soavita). "Die Güte, sagt Zane, hat ihn sich er-
koren, ihr eigenes Bild zu formen." Er hatte nichts vom Des-
poten; als er, ein zwanzigjähriger Jüngling, bei seiner Ankunft

1) Basadonna, Relazione di 1653.

Zweites Buch.
quez In ihrem Beginne zählte der Maler vierundzwanzig, der König
achtzehn Jahre (geb. 8. April 1605). Jener hat fast nur für den
König gemalt und hat ihn wol mehr gemalt, als irgend ein an-
derer Hofmaler seinen Herrn. Eine merkwürdige Reihe würde
es geben, wenn man diese Bildnisse aus allen Ländern an einem
Ort zusammen bringen könnte! Wie er den König von Jahr zu
Jahr begleitet, vom achtzehnten bis zum sechszigsten: ein
erschreckend einförmiges Thema, ausser für den, der es für der
Mühe werth hält, die Wechsel der Jahre, die Spuren der Schick-
sale, verschlungen mit den Wandlungen der Hand des Künstlers
zu verfolgen. Der Venezianer Basadonna sagte von Philipp IV:
„In der Uhr seiner Regierung versieht er bloss das Geschäft
des Stundenzeigers, der selbst ohne jede eigene Bewegung,
nur durch die Räder der Minister bewegt wird“1). Für uns sind
diese Bildnisse auch der Jahreszeiger für die Geschichte des
Malers.

Hat es irgend Jemanden gegeben, den diess Gesicht ge-
fesselt? Und auf die Züge fällt noch ein Schatten der unglück-
lichsten Regierung, die Spanien, vielleicht die neuere Geschichte
erlebt hat. Gleichwol sind die Galerien begierig nach dem Be-
sitz eines dieser Bildnisse; und man wundert sich, dass man ein
neu gefundenes Exemplar immer wieder mit Interesse betrachtet.
Ist denn in der Kunst der Gegenstand nichts, die Sprache alles?

Philipp IV war gewiss eins der merkwürdigsten Exemplare
des Roi fainéant, und durch die Art wie Kraft und Schwäche
in ihm gemischt waren, ein Problem.

Man kann ihn zu den von der Natur begünstigten Menschen
rechnen. Nach dem Urtheil aller war er der erste Cavalier
seines Hofes, der tadelloseste, festeste Reiter in den Turnieren,
der sicherste Schütze und rüstigste Jäger. Als Regent war er
beseelt vom besten, reinsten Willen. Er besass eine so vollkom-
mene Selbstbeherrschung, dass man ihn, ungeachtet seines
eigentlich lebhaften Temperaments, kaum je zornig oder ausge-
lassen gesehen hat. Eine ungetrübte, fast zärtliche Freundschaft
verband ihn mit seinen Geschwistern. Man hatte noch keinen
spanischen König gesehen, der so human gegen seine Diener
war (familiare soavità). „Die Güte, sagt Zane, hat ihn sich er-
koren, ihr eigenes Bild zu formen.“ Er hatte nichts vom Des-
poten; als er, ein zwanzigjähriger Jüngling, bei seiner Ankunft

1) Basadonna, Relazione di 1653.
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[192/0214] Zweites Buch. quez In ihrem Beginne zählte der Maler vierundzwanzig, der König achtzehn Jahre (geb. 8. April 1605). Jener hat fast nur für den König gemalt und hat ihn wol mehr gemalt, als irgend ein an- derer Hofmaler seinen Herrn. Eine merkwürdige Reihe würde es geben, wenn man diese Bildnisse aus allen Ländern an einem Ort zusammen bringen könnte! Wie er den König von Jahr zu Jahr begleitet, vom achtzehnten bis zum sechszigsten: ein erschreckend einförmiges Thema, ausser für den, der es für der Mühe werth hält, die Wechsel der Jahre, die Spuren der Schick- sale, verschlungen mit den Wandlungen der Hand des Künstlers zu verfolgen. Der Venezianer Basadonna sagte von Philipp IV: „In der Uhr seiner Regierung versieht er bloss das Geschäft des Stundenzeigers, der selbst ohne jede eigene Bewegung, nur durch die Räder der Minister bewegt wird“ 1). Für uns sind diese Bildnisse auch der Jahreszeiger für die Geschichte des Malers. Hat es irgend Jemanden gegeben, den diess Gesicht ge- fesselt? Und auf die Züge fällt noch ein Schatten der unglück- lichsten Regierung, die Spanien, vielleicht die neuere Geschichte erlebt hat. Gleichwol sind die Galerien begierig nach dem Be- sitz eines dieser Bildnisse; und man wundert sich, dass man ein neu gefundenes Exemplar immer wieder mit Interesse betrachtet. Ist denn in der Kunst der Gegenstand nichts, die Sprache alles? Philipp IV war gewiss eins der merkwürdigsten Exemplare des Roi fainéant, und durch die Art wie Kraft und Schwäche in ihm gemischt waren, ein Problem. Man kann ihn zu den von der Natur begünstigten Menschen rechnen. Nach dem Urtheil aller war er der erste Cavalier seines Hofes, der tadelloseste, festeste Reiter in den Turnieren, der sicherste Schütze und rüstigste Jäger. Als Regent war er beseelt vom besten, reinsten Willen. Er besass eine so vollkom- mene Selbstbeherrschung, dass man ihn, ungeachtet seines eigentlich lebhaften Temperaments, kaum je zornig oder ausge- lassen gesehen hat. Eine ungetrübte, fast zärtliche Freundschaft verband ihn mit seinen Geschwistern. Man hatte noch keinen spanischen König gesehen, der so human gegen seine Diener war (familiare soavità). „Die Güte, sagt Zane, hat ihn sich er- koren, ihr eigenes Bild zu formen.“ Er hatte nichts vom Des- poten; als er, ein zwanzigjähriger Jüngling, bei seiner Ankunft 1) Basadonna, Relazione di 1653.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/214>, abgerufen am 23.04.2024.