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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Diego de Silva
Velazquez

dieser Name war vor hundert Jahren diesseits der Pyrenäen
noch wenig gehört worden, am wenigsten in Deutschland. Der
Kreis der Maler erster Ordnung schien längst geschlossen, und
Niemand ahnte, dass im fernen Westen, in den Schlössern von
Madrid und Buen Retiro die Rechtstitel eines Künstlers verborgen
waren, der auf einen Sitz unter jenen oberen Göttern vollen An-
spruch hatte. Er war freilich aus dem spanischen Vasari in die
Abrisse der Künstlerleben übergegangen; aber erst im späten
achtzehnten Jahrhundert hat ein deutscher Maler zuerst ihm Platz
und Provinz in der Universalkarte der neueren Malerei gegeben.
Raphael Mengs, der in seinen Schriften die klassischen Meister
pries und zergliederte und eine Neugeburt der Kunst durch deren
Verschmelzung und durch das Studium der Antike träumte, wäh-
rend er in seinen Werken einer der letzten und mattesten Eklek-
tiker blieb, als er im Jahre 1761 den königlichen Gemäldeschatz
musterte, sah sich nicht ohne Aufregung (denn er hatte das Auge
des Malers) Einem gegenüber, der von allen die ihm bisher vor-
gekommen, ihm selbst am unähnlichsten war. In dem was der
Sachse den "Stil der Natur" nannte, fand er ihn selbst denjenigen
über, welche ihm bisher als dessen Bannerträger gegolten
hatten, Tizian, Rembrandt, Gerhard Dow. "Die besten Muster des
natürlichen Stils, so schrieb er im Jahre 1776 an Anton Ponz,
den Periegeten spanischer Kunst, sind die Werke des Diego
Velazquez, durch das Verständniss von Licht und Schatten, durch
die Luft zwischen den Dingen, welche das wichtigste Stück sind
in diesem Stil, weil sie die Vorstellung der Wahrheit geben."

Was hier Mengs in seiner Weise aussprach, ist schon der
Eindruck der Zeitgenossen gewesen. Als der Kammermaler
Philipps IV das Bildniss seines Sklaven Juan Pareja im Jahr des
Jubiläums im Pantheon zu Rom ausstellte, sagten die Maler nach

Diego de Silva
Velazquez

dieser Name war vor hundert Jahren diesseits der Pyrenäen
noch wenig gehört worden, am wenigsten in Deutschland. Der
Kreis der Maler erster Ordnung schien längst geschlossen, und
Niemand ahnte, dass im fernen Westen, in den Schlössern von
Madrid und Buen Retiro die Rechtstitel eines Künstlers verborgen
waren, der auf einen Sitz unter jenen oberen Göttern vollen An-
spruch hatte. Er war freilich aus dem spanischen Vasari in die
Abrisse der Künstlerleben übergegangen; aber erst im späten
achtzehnten Jahrhundert hat ein deutscher Maler zuerst ihm Platz
und Provinz in der Universalkarte der neueren Malerei gegeben.
Raphael Mengs, der in seinen Schriften die klassischen Meister
pries und zergliederte und eine Neugeburt der Kunst durch deren
Verschmelzung und durch das Studium der Antike träumte, wäh-
rend er in seinen Werken einer der letzten und mattesten Eklek-
tiker blieb, als er im Jahre 1761 den königlichen Gemäldeschatz
musterte, sah sich nicht ohne Aufregung (denn er hatte das Auge
des Malers) Einem gegenüber, der von allen die ihm bisher vor-
gekommen, ihm selbst am unähnlichsten war. In dem was der
Sachse den „Stil der Natur“ nannte, fand er ihn selbst denjenigen
über, welche ihm bisher als dessen Bannerträger gegolten
hatten, Tizian, Rembrandt, Gerhard Dow. „Die besten Muster des
natürlichen Stils, so schrieb er im Jahre 1776 an Anton Ponz,
den Periegeten spanischer Kunst, sind die Werke des Diego
Velazquez, durch das Verständniss von Licht und Schatten, durch
die Luft zwischen den Dingen, welche das wichtigste Stück sind
in diesem Stil, weil sie die Vorstellung der Wahrheit geben.“

Was hier Mengs in seiner Weise aussprach, ist schon der
Eindruck der Zeitgenossen gewesen. Als der Kammermaler
Philipps IV das Bildniss seines Sklaven Juan Pareja im Jahr des
Jubiläums im Pantheon zu Rom ausstellte, sagten die Maler nach

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[[3]/0023] Diego de Silva Velazquez dieser Name war vor hundert Jahren diesseits der Pyrenäen noch wenig gehört worden, am wenigsten in Deutschland. Der Kreis der Maler erster Ordnung schien längst geschlossen, und Niemand ahnte, dass im fernen Westen, in den Schlössern von Madrid und Buen Retiro die Rechtstitel eines Künstlers verborgen waren, der auf einen Sitz unter jenen oberen Göttern vollen An- spruch hatte. Er war freilich aus dem spanischen Vasari in die Abrisse der Künstlerleben übergegangen; aber erst im späten achtzehnten Jahrhundert hat ein deutscher Maler zuerst ihm Platz und Provinz in der Universalkarte der neueren Malerei gegeben. Raphael Mengs, der in seinen Schriften die klassischen Meister pries und zergliederte und eine Neugeburt der Kunst durch deren Verschmelzung und durch das Studium der Antike träumte, wäh- rend er in seinen Werken einer der letzten und mattesten Eklek- tiker blieb, als er im Jahre 1761 den königlichen Gemäldeschatz musterte, sah sich nicht ohne Aufregung (denn er hatte das Auge des Malers) Einem gegenüber, der von allen die ihm bisher vor- gekommen, ihm selbst am unähnlichsten war. In dem was der Sachse den „Stil der Natur“ nannte, fand er ihn selbst denjenigen über, welche ihm bisher als dessen Bannerträger gegolten hatten, Tizian, Rembrandt, Gerhard Dow. „Die besten Muster des natürlichen Stils, so schrieb er im Jahre 1776 an Anton Ponz, den Periegeten spanischer Kunst, sind die Werke des Diego Velazquez, durch das Verständniss von Licht und Schatten, durch die Luft zwischen den Dingen, welche das wichtigste Stück sind in diesem Stil, weil sie die Vorstellung der Wahrheit geben.“ Was hier Mengs in seiner Weise aussprach, ist schon der Eindruck der Zeitgenossen gewesen. Als der Kammermaler Philipps IV das Bildniss seines Sklaven Juan Pareja im Jahr des Jubiläums im Pantheon zu Rom ausstellte, sagten die Maler nach

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. [3]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/23>, abgerufen am 28.03.2024.