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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
sehend mit seinen Principien, ganz in seiner Praxis aufgehend, ohne
Sinn für fremde Art, besonders der Vergangenheit. Die Annalen der
Kunst haben für ihn Interesse höchstens als Fundgrube für Zeug-
nisse der Ehren, die den Künstlern gebühren. Seine Schilderung
Italiens aus dem Munde eines zurückgekehrten Reisenden, mit der
er sein Buch eröffnet, ist aus Vasari excerpirt; aber der Spanier
Pacheco wusste weit mehr von Florenz, als dieser Florentiner.
Seine Unwissenheit über das "moderne Athen, die wahre Her-
berge unsrer Kunst", ist schülerhaft. Er schreibt den Glockenthurm
von S. Maria del fiore dem Cimabue, den Perseus dem Bramante
zu, und nennt Fiesole unter den Bildhauern. Und wie ist er im
Leben seines vergötterten Michelangelo zu Hause! Er lässt seinen
Reisenden die Statue Julius II. an S. Petronio in Bologna sehen,
nennt die Statue Lorenzo's de' Medici Octaviano (S. 50) und
hält den David für "gleich bewundernswürdig" mit dem Hercules
des Bandinelli.

Die äussere Veranlassung des Buchs war folgende. Die
Maler Castiliens wurden seit dreissig Jahren von Zeit zu Zeit in
Aufregung versetzt durch die Ansprüche der Steuerbeamten, sie
zu einer Auflage heranzuziehen, die in Castilien bei allen Kauf-
geschäften vom Preis erhoben wurde. Diese alcabala war nach
Morosini's Relation unter Philipp II zu einer unerträglichen Höhe
aufgeschraubt worden. Sie betrug 8 bis 10 Prozent von jeder Kauf-
summe, bis herab auf Eier und Salat, und derselbe Gegenstand ver-
fiel ihr wol mehremale am selben Tag. Die Folge war, dass die
Gemeinden sich mit der Finanzbehörde zu einer Abfindungssumme
einigten, die dem Staate im Jahre 1581 immer noch viertehalb
Millionen in Gold eintrug. -- Die Steuerbeamten der Ortschaften
belästigten auch die Maler. Domenico Theotocopuli, als er 1600
nach Illescas berufen worden war, hatte sich zuerst dem dortigen
alcabalero wiedersetzt, und von dem Finanzrath (Consejo de ha-
cienda
) zu Madrid Recht bekommen. Das Widerwärtige dieser
Steuer für die Künstler lag nicht bloss in der Geldschädigung,
mehr noch in der Gleichstellung ihrer, wie sie glaubten, freien
Kunst mit der Lohnkunst. Das Verhängniss dieses Volks war
seit der Zeit der Gothen die Geringschätzung von Handel und Ge-
werbe: die Künstler, welche in intime Berührung mit den Grossen
und dem Hof kamen, brachten solche Steuern in die peinlichsten
Lagen. Juristischer Scharfsinn, historische Belesenheit, Metaphysik
der schönen Künste wurden in Bewegung gesetzt, die besten
Federn der angesehensten Ingenios de la corte gewonnen, um sie

Zweites Buch.
sehend mit seinen Principien, ganz in seiner Praxis aufgehend, ohne
Sinn für fremde Art, besonders der Vergangenheit. Die Annalen der
Kunst haben für ihn Interesse höchstens als Fundgrube für Zeug-
nisse der Ehren, die den Künstlern gebühren. Seine Schilderung
Italiens aus dem Munde eines zurückgekehrten Reisenden, mit der
er sein Buch eröffnet, ist aus Vasari excerpirt; aber der Spanier
Pacheco wusste weit mehr von Florenz, als dieser Florentiner.
Seine Unwissenheit über das „moderne Athen, die wahre Her-
berge unsrer Kunst“, ist schülerhaft. Er schreibt den Glockenthurm
von S. Maria del fiore dem Cimabue, den Perseus dem Bramante
zu, und nennt Fiesole unter den Bildhauern. Und wie ist er im
Leben seines vergötterten Michelangelo zu Hause! Er lässt seinen
Reisenden die Statue Julius II. an S. Petronio in Bologna sehen,
nennt die Statue Lorenzo’s de’ Medici Octaviano (S. 50) und
hält den David für „gleich bewundernswürdig“ mit dem Hercules
des Bandinelli.

Die äussere Veranlassung des Buchs war folgende. Die
Maler Castiliens wurden seit dreissig Jahren von Zeit zu Zeit in
Aufregung versetzt durch die Ansprüche der Steuerbeamten, sie
zu einer Auflage heranzuziehen, die in Castilien bei allen Kauf-
geschäften vom Preis erhoben wurde. Diese alcabala war nach
Morosini’s Relation unter Philipp II zu einer unerträglichen Höhe
aufgeschraubt worden. Sie betrug 8 bis 10 Prozent von jeder Kauf-
summe, bis herab auf Eier und Salat, und derselbe Gegenstand ver-
fiel ihr wol mehremale am selben Tag. Die Folge war, dass die
Gemeinden sich mit der Finanzbehörde zu einer Abfindungssumme
einigten, die dem Staate im Jahre 1581 immer noch viertehalb
Millionen in Gold eintrug. — Die Steuerbeamten der Ortschaften
belästigten auch die Maler. Domenico Theotocopuli, als er 1600
nach Illescas berufen worden war, hatte sich zuerst dem dortigen
alcabalero wiedersetzt, und von dem Finanzrath (Consejo de ha-
cienda
) zu Madrid Recht bekommen. Das Widerwärtige dieser
Steuer für die Künstler lag nicht bloss in der Geldschädigung,
mehr noch in der Gleichstellung ihrer, wie sie glaubten, freien
Kunst mit der Lohnkunst. Das Verhängniss dieses Volks war
seit der Zeit der Gothen die Geringschätzung von Handel und Ge-
werbe: die Künstler, welche in intime Berührung mit den Grossen
und dem Hof kamen, brachten solche Steuern in die peinlichsten
Lagen. Juristischer Scharfsinn, historische Belesenheit, Metaphysik
der schönen Künste wurden in Bewegung gesetzt, die besten
Federn der angesehensten Ingénios de la corte gewonnen, um sie

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[224/0246] Zweites Buch. sehend mit seinen Principien, ganz in seiner Praxis aufgehend, ohne Sinn für fremde Art, besonders der Vergangenheit. Die Annalen der Kunst haben für ihn Interesse höchstens als Fundgrube für Zeug- nisse der Ehren, die den Künstlern gebühren. Seine Schilderung Italiens aus dem Munde eines zurückgekehrten Reisenden, mit der er sein Buch eröffnet, ist aus Vasari excerpirt; aber der Spanier Pacheco wusste weit mehr von Florenz, als dieser Florentiner. Seine Unwissenheit über das „moderne Athen, die wahre Her- berge unsrer Kunst“, ist schülerhaft. Er schreibt den Glockenthurm von S. Maria del fiore dem Cimabue, den Perseus dem Bramante zu, und nennt Fiesole unter den Bildhauern. Und wie ist er im Leben seines vergötterten Michelangelo zu Hause! Er lässt seinen Reisenden die Statue Julius II. an S. Petronio in Bologna sehen, nennt die Statue Lorenzo’s de’ Medici Octaviano (S. 50) und hält den David für „gleich bewundernswürdig“ mit dem Hercules des Bandinelli. Die äussere Veranlassung des Buchs war folgende. Die Maler Castiliens wurden seit dreissig Jahren von Zeit zu Zeit in Aufregung versetzt durch die Ansprüche der Steuerbeamten, sie zu einer Auflage heranzuziehen, die in Castilien bei allen Kauf- geschäften vom Preis erhoben wurde. Diese alcabala war nach Morosini’s Relation unter Philipp II zu einer unerträglichen Höhe aufgeschraubt worden. Sie betrug 8 bis 10 Prozent von jeder Kauf- summe, bis herab auf Eier und Salat, und derselbe Gegenstand ver- fiel ihr wol mehremale am selben Tag. Die Folge war, dass die Gemeinden sich mit der Finanzbehörde zu einer Abfindungssumme einigten, die dem Staate im Jahre 1581 immer noch viertehalb Millionen in Gold eintrug. — Die Steuerbeamten der Ortschaften belästigten auch die Maler. Domenico Theotocopuli, als er 1600 nach Illescas berufen worden war, hatte sich zuerst dem dortigen alcabalero wiedersetzt, und von dem Finanzrath (Consejo de ha- cienda) zu Madrid Recht bekommen. Das Widerwärtige dieser Steuer für die Künstler lag nicht bloss in der Geldschädigung, mehr noch in der Gleichstellung ihrer, wie sie glaubten, freien Kunst mit der Lohnkunst. Das Verhängniss dieses Volks war seit der Zeit der Gothen die Geringschätzung von Handel und Ge- werbe: die Künstler, welche in intime Berührung mit den Grossen und dem Hof kamen, brachten solche Steuern in die peinlichsten Lagen. Juristischer Scharfsinn, historische Belesenheit, Metaphysik der schönen Künste wurden in Bewegung gesetzt, die besten Federn der angesehensten Ingénios de la corte gewonnen, um sie

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/246>, abgerufen am 19.04.2024.