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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
seinen Marsch zur politischen Ohnmacht beschleunigte. Seine
Majestät der Zufall, die Verachtung der "Barbarenschätze" ironisch
beim Wort nehmend, wollte, dass zur selben Zeit die Kunde von
der Wegnahme der Silberflotte durch die Holländer, bei den
azorischen Inseln, eintraf. --

Eine solche Begebenheit, weit vertheilt in Raum und Zeit,
mit Ursächlichkeiten entfernter und verwickelter Natur, konnte
natürlich nur durch eine repräsentative, wo nicht allegorische
Aktion vorgestellt werden, und dazu gehörte Einbildungskraft.
Die Italiener hatten gesagt: "Wenn ein solcher Praktiker eine
Sache eigener Erfindung und aus eigenem Fond machen soll, ohne
die Natur vor Augen, wenn Gedächtniss und Phantasie den Hän-
den Gelegenheit geben sollen, das Vermögen ihres Herrn zu zeigen:
wie baar und bloss enthüllt sich dann seine Dürftigkeit und ge-
ringes Wissen!" 1). Diess war hier der Fall: Philipp III war
todt, Velazquez hatte ihn nie gesehen, das Kostüm war veraltet,
der Schauplatz, die Meeresküste fern. Auf der andern Seite
war es ein spanischer Stoff, manche gab es, die die Personen
und Scenen noch gesehen hatten. Mit Maschinen nach den
Recepten eines Caxesischen Agamemnon wäre diesen schwerlich
gedient gewesen.

In dem Gemälde stand der König in der Mitte, in Rüstung
und weissem Anzug, ihm zur Rechten eine Figur der Hispania
in römischer Tracht, thronend am Fuss eines Gebäudes, in der
Rechten Schild und Speer, in der Linken Aehren, -- wohl
die einzige allegorische Figur, die Velazquez gemalt hat. Phi-
lipp III weist mit dem Kommandostab nach der Küste. Dorthin
werden Mauren jedes Alters und Geschlechts, wehklagend, von
Soldaten escortirt. Die Einschiffung geht im Hintergrund vor sich.

Zu Schiedsrichtern waren, als Bürgschaft der Unparteilich-
keit, ein Spanier und ein Italiener gewählt worden: der Domi-
nikaner aus Toledo, Maino, und der Römer Crescenzi, die beide
in den Kunstangelegenheiten des Hofs viel zu sagen hatten.

Gio. Battista Crescenzi, einer römischen Adelsfamilie ent-
sprossen, hatte selbst die Malerei bei Pomarancio gelernt; später
aber der Baukunst sich zugewandt. Der liebenswürdige junge
Edelmann gewann sich die Gunst Paul V, der ihn zum Soprain-
tendente
seiner Bauten machte. Baglioni 2) rühmt seine Höflich-

1) Dialogos IV. S. 127.
2) G. Baglioni, Le Vite de' pittori. Roma 1642. S. 364 ff.

Zweites Buch.
seinen Marsch zur politischen Ohnmacht beschleunigte. Seine
Majestät der Zufall, die Verachtung der „Barbarenschätze“ ironisch
beim Wort nehmend, wollte, dass zur selben Zeit die Kunde von
der Wegnahme der Silberflotte durch die Holländer, bei den
azorischen Inseln, eintraf. —

Eine solche Begebenheit, weit vertheilt in Raum und Zeit,
mit Ursächlichkeiten entfernter und verwickelter Natur, konnte
natürlich nur durch eine repräsentative, wo nicht allegorische
Aktion vorgestellt werden, und dazu gehörte Einbildungskraft.
Die Italiener hatten gesagt: „Wenn ein solcher Praktiker eine
Sache eigener Erfindung und aus eigenem Fond machen soll, ohne
die Natur vor Augen, wenn Gedächtniss und Phantasie den Hän-
den Gelegenheit geben sollen, das Vermögen ihres Herrn zu zeigen:
wie baar und bloss enthüllt sich dann seine Dürftigkeit und ge-
ringes Wissen!“ 1). Diess war hier der Fall: Philipp III war
todt, Velazquez hatte ihn nie gesehen, das Kostüm war veraltet,
der Schauplatz, die Meeresküste fern. Auf der andern Seite
war es ein spanischer Stoff, manche gab es, die die Personen
und Scenen noch gesehen hatten. Mit Maschinen nach den
Recepten eines Caxesischen Agamemnon wäre diesen schwerlich
gedient gewesen.

In dem Gemälde stand der König in der Mitte, in Rüstung
und weissem Anzug, ihm zur Rechten eine Figur der Hispania
in römischer Tracht, thronend am Fuss eines Gebäudes, in der
Rechten Schild und Speer, in der Linken Aehren, — wohl
die einzige allegorische Figur, die Velazquez gemalt hat. Phi-
lipp III weist mit dem Kommandostab nach der Küste. Dorthin
werden Mauren jedes Alters und Geschlechts, wehklagend, von
Soldaten escortirt. Die Einschiffung geht im Hintergrund vor sich.

Zu Schiedsrichtern waren, als Bürgschaft der Unparteilich-
keit, ein Spanier und ein Italiener gewählt worden: der Domi-
nikaner aus Toledo, Maino, und der Römer Crescenzi, die beide
in den Kunstangelegenheiten des Hofs viel zu sagen hatten.

Gio. Battista Crescenzi, einer römischen Adelsfamilie ent-
sprossen, hatte selbst die Malerei bei Pomarancio gelernt; später
aber der Baukunst sich zugewandt. Der liebenswürdige junge
Edelmann gewann sich die Gunst Paul V, der ihn zum Soprain-
tendente
seiner Bauten machte. Baglioni 2) rühmt seine Höflich-

1) Diálogos IV. S. 127.
2) G. Baglioni, Le Vite de’ pittori. Roma 1642. S. 364 ff.
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[232/0256] Zweites Buch. seinen Marsch zur politischen Ohnmacht beschleunigte. Seine Majestät der Zufall, die Verachtung der „Barbarenschätze“ ironisch beim Wort nehmend, wollte, dass zur selben Zeit die Kunde von der Wegnahme der Silberflotte durch die Holländer, bei den azorischen Inseln, eintraf. — Eine solche Begebenheit, weit vertheilt in Raum und Zeit, mit Ursächlichkeiten entfernter und verwickelter Natur, konnte natürlich nur durch eine repräsentative, wo nicht allegorische Aktion vorgestellt werden, und dazu gehörte Einbildungskraft. Die Italiener hatten gesagt: „Wenn ein solcher Praktiker eine Sache eigener Erfindung und aus eigenem Fond machen soll, ohne die Natur vor Augen, wenn Gedächtniss und Phantasie den Hän- den Gelegenheit geben sollen, das Vermögen ihres Herrn zu zeigen: wie baar und bloss enthüllt sich dann seine Dürftigkeit und ge- ringes Wissen!“ 1). Diess war hier der Fall: Philipp III war todt, Velazquez hatte ihn nie gesehen, das Kostüm war veraltet, der Schauplatz, die Meeresküste fern. Auf der andern Seite war es ein spanischer Stoff, manche gab es, die die Personen und Scenen noch gesehen hatten. Mit Maschinen nach den Recepten eines Caxesischen Agamemnon wäre diesen schwerlich gedient gewesen. In dem Gemälde stand der König in der Mitte, in Rüstung und weissem Anzug, ihm zur Rechten eine Figur der Hispania in römischer Tracht, thronend am Fuss eines Gebäudes, in der Rechten Schild und Speer, in der Linken Aehren, — wohl die einzige allegorische Figur, die Velazquez gemalt hat. Phi- lipp III weist mit dem Kommandostab nach der Küste. Dorthin werden Mauren jedes Alters und Geschlechts, wehklagend, von Soldaten escortirt. Die Einschiffung geht im Hintergrund vor sich. Zu Schiedsrichtern waren, als Bürgschaft der Unparteilich- keit, ein Spanier und ein Italiener gewählt worden: der Domi- nikaner aus Toledo, Maino, und der Römer Crescenzi, die beide in den Kunstangelegenheiten des Hofs viel zu sagen hatten. Gio. Battista Crescenzi, einer römischen Adelsfamilie ent- sprossen, hatte selbst die Malerei bei Pomarancio gelernt; später aber der Baukunst sich zugewandt. Der liebenswürdige junge Edelmann gewann sich die Gunst Paul V, der ihn zum Soprain- tendente seiner Bauten machte. Baglioni 2) rühmt seine Höflich- 1) Diálogos IV. S. 127. 2) G. Baglioni, Le Vite de’ pittori. Roma 1642. S. 364 ff.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/256>, abgerufen am 29.03.2024.