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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
und so tragisch von grossen "Kämpfen" gesprochen worden,
als in dem unsrigen. Es schien zuweilen als ob von dem Erfolg
einer neuen Manier nicht nur die Gesundheit der Kunst, sondern
die Moral und die Zukunft von Nation und Menschheit abhänge.
Hier haben wir auch einen Kampf, der mit den tiefsten Prin-
cipiendebatten hätte ausgefochten werden können. Die Art wie
es geschehen ist, hatte jedenfalls den Vortheil, dass die heutzu-
tage unvermeidliche Wort- und Papiervergeudung erspart blieb.
Nichts vom Qualm hochtönender Phrasen, aus denen Verfolgungs-
und Grössenwahn herausklingt; nichts von der Malerei der "Neu-
zeit", der messianischen Zeit, die in jedem Menschenalter ange-
kündigt wird und noch ehe ihre Propheten graue Haare bekom-
men, schon ein kleiner grauer Ring in dem Dämmerungskreis
der alten Zeit geworden ist, wo nicht in Nacht des Vergessens
versunken. Nur die Herstellung eines Meisterwerkes.

Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn Carducho's
Wunsch, eine Akademie in Madrid zu gründen (Dialogos 38), ver-
wirklicht gewesen wäre. Obwol es nicht geschah, hat sich doch
die Madrider Schule bis ans Ende des Jahrhunderts so ziemlich
auf der Höhe gehalten, nicht arm an eigenthümlichen Gesichtern.
Boshaft wäre es zu behaupten, dass sie diess dem Aufschub
jenes Planes verdanke. Nachdem es nämlich im achtzehnten
Jahrhundert unter den Bourbonen, und in Sevilla schon in diesem
geschehn, soll fortan von grossen Malern dort weniger mehr
gehört worden sein als zuvor; auch sollen Akademien zu Zeiten
Conservatorien abgewirthschafteter Manieren gewesen sein, Para-
siten des Kunstlebens gleichsam, Tummelplätze für solche, die
neben dem Talent für Farbe ein noch grösseres für "Einflüsse"
haben.

Velazquez hat sich gewiss nicht als Parteihaupt gefühlt,
nach Art der Modernen, die Rembrandts "Anatomie" nicht be-
wundern können, ohne einen Seitenblick auf Raphaels "Philo-
sophie" zu werfen 1). Er vertrat nur seine persönliche Art, neben
der er noch vielen andern Platz gönnte. Drei Jahre nach seinem
Sieg über diese Italiener hat er eine Studienreise nach Rom
gemacht. Beim Anblick der sixtinischen Kapelle hat er gewiss
nicht, wie sein gefeierter lebender Landsmann, bloss gesagt:
esto no sirve. Die langen Beziehungen zu seinem Lehrer, Vater

1) W. Burger, Musees de la Hollande. Paris 1858 S. 203. Vergl. G. Droz,
Babolain S. 153.

Zweites Buch.
und so tragisch von grossen „Kämpfen“ gesprochen worden,
als in dem unsrigen. Es schien zuweilen als ob von dem Erfolg
einer neuen Manier nicht nur die Gesundheit der Kunst, sondern
die Moral und die Zukunft von Nation und Menschheit abhänge.
Hier haben wir auch einen Kampf, der mit den tiefsten Prin-
cipiendebatten hätte ausgefochten werden können. Die Art wie
es geschehen ist, hatte jedenfalls den Vortheil, dass die heutzu-
tage unvermeidliche Wort- und Papiervergeudung erspart blieb.
Nichts vom Qualm hochtönender Phrasen, aus denen Verfolgungs-
und Grössenwahn herausklingt; nichts von der Malerei der „Neu-
zeit“, der messianischen Zeit, die in jedem Menschenalter ange-
kündigt wird und noch ehe ihre Propheten graue Haare bekom-
men, schon ein kleiner grauer Ring in dem Dämmerungskreis
der alten Zeit geworden ist, wo nicht in Nacht des Vergessens
versunken. Nur die Herstellung eines Meisterwerkes.

Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn Carducho’s
Wunsch, eine Akademie in Madrid zu gründen (Diálogos 38), ver-
wirklicht gewesen wäre. Obwol es nicht geschah, hat sich doch
die Madrider Schule bis ans Ende des Jahrhunderts so ziemlich
auf der Höhe gehalten, nicht arm an eigenthümlichen Gesichtern.
Boshaft wäre es zu behaupten, dass sie diess dem Aufschub
jenes Planes verdanke. Nachdem es nämlich im achtzehnten
Jahrhundert unter den Bourbonen, und in Sevilla schon in diesem
geschehn, soll fortan von grossen Malern dort weniger mehr
gehört worden sein als zuvor; auch sollen Akademien zu Zeiten
Conservatorien abgewirthschafteter Manieren gewesen sein, Para-
siten des Kunstlebens gleichsam, Tummelplätze für solche, die
neben dem Talent für Farbe ein noch grösseres für „Einflüsse“
haben.

Velazquez hat sich gewiss nicht als Parteihaupt gefühlt,
nach Art der Modernen, die Rembrandts „Anatomie“ nicht be-
wundern können, ohne einen Seitenblick auf Raphaels „Philo-
sophie“ zu werfen 1). Er vertrat nur seine persönliche Art, neben
der er noch vielen andern Platz gönnte. Drei Jahre nach seinem
Sieg über diese Italiener hat er eine Studienreise nach Rom
gemacht. Beim Anblick der sixtinischen Kapelle hat er gewiss
nicht, wie sein gefeierter lebender Landsmann, bloss gesagt:
esto no sirve. Die langen Beziehungen zu seinem Lehrer, Vater

1) W. Burger, Musées de la Hollande. Paris 1858 S. 203. Vergl. G. Droz,
Babolain S. 153.
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[234/0258] Zweites Buch. und so tragisch von grossen „Kämpfen“ gesprochen worden, als in dem unsrigen. Es schien zuweilen als ob von dem Erfolg einer neuen Manier nicht nur die Gesundheit der Kunst, sondern die Moral und die Zukunft von Nation und Menschheit abhänge. Hier haben wir auch einen Kampf, der mit den tiefsten Prin- cipiendebatten hätte ausgefochten werden können. Die Art wie es geschehen ist, hatte jedenfalls den Vortheil, dass die heutzu- tage unvermeidliche Wort- und Papiervergeudung erspart blieb. Nichts vom Qualm hochtönender Phrasen, aus denen Verfolgungs- und Grössenwahn herausklingt; nichts von der Malerei der „Neu- zeit“, der messianischen Zeit, die in jedem Menschenalter ange- kündigt wird und noch ehe ihre Propheten graue Haare bekom- men, schon ein kleiner grauer Ring in dem Dämmerungskreis der alten Zeit geworden ist, wo nicht in Nacht des Vergessens versunken. Nur die Herstellung eines Meisterwerkes. Vielleicht wäre es anders gekommen, wenn Carducho’s Wunsch, eine Akademie in Madrid zu gründen (Diálogos 38), ver- wirklicht gewesen wäre. Obwol es nicht geschah, hat sich doch die Madrider Schule bis ans Ende des Jahrhunderts so ziemlich auf der Höhe gehalten, nicht arm an eigenthümlichen Gesichtern. Boshaft wäre es zu behaupten, dass sie diess dem Aufschub jenes Planes verdanke. Nachdem es nämlich im achtzehnten Jahrhundert unter den Bourbonen, und in Sevilla schon in diesem geschehn, soll fortan von grossen Malern dort weniger mehr gehört worden sein als zuvor; auch sollen Akademien zu Zeiten Conservatorien abgewirthschafteter Manieren gewesen sein, Para- siten des Kunstlebens gleichsam, Tummelplätze für solche, die neben dem Talent für Farbe ein noch grösseres für „Einflüsse“ haben. Velazquez hat sich gewiss nicht als Parteihaupt gefühlt, nach Art der Modernen, die Rembrandts „Anatomie“ nicht be- wundern können, ohne einen Seitenblick auf Raphaels „Philo- sophie“ zu werfen 1). Er vertrat nur seine persönliche Art, neben der er noch vielen andern Platz gönnte. Drei Jahre nach seinem Sieg über diese Italiener hat er eine Studienreise nach Rom gemacht. Beim Anblick der sixtinischen Kapelle hat er gewiss nicht, wie sein gefeierter lebender Landsmann, bloss gesagt: esto no sirve. Die langen Beziehungen zu seinem Lehrer, Vater 1) W. Burger, Musées de la Hollande. Paris 1858 S. 203. Vergl. G. Droz, Babolain S. 153.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/258>, abgerufen am 29.03.2024.