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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.

Oder der neunzehnjährige Cardinalinfant. Velazquez hat
ihn um diese Zeit als Jäger, Rubens in Cardinalstracht mit dem
Brevier dargestellt. Dort ein bleicher, etwas blutleerer, aufge-
schosster Jüngling von strammer Haltung, aus dessen vom Fieber
ermatteten Augen jedoch klarer Verstand spricht, die Keime der
tüchtigen Eigenschaften, die später so überraschend hervortraten.
Und nun sehe man den Rubensschen Cardinal mit dem gebeug-
ten Nacken, den sinnlich vorquellenden Augen, hinter denen
kein Gedanke liegt, dem dicken, weichen Mund: das Bild eines
schlaffen Genussmenschen.

Der König selbst ist zwar wiederkennbar an den constanten
Zügen, aber die Ecken der bei ihm so auffallenden Familienmaske
sind verflacht, die Blässe des sinkenden Geschlechts, die mit ihm
gleichsam verwachsene steife Grandeza, der kalte, verschlossene,
phlegmatische Stolz, wo ist er geblieben in diesem frischen ob-
wol etwas indolenten Lebemann?

Velazquez hat seine Menschen im Aeussern und Innern
durchstudirt, ihre Erscheinung aufgefasst nach jener indivi-
duellen Gesetzmässigkeit, die selbst dem Missgeformten etwas
Nothwendiges verleiht: Temperament, tonus der Nerven, Mischung
der Säfte ihnen abgesehen, die eigenartige spanische morgue
darüber gelegt. Bei ihm fühlt man sich vor einer Realität, vor
Menschen einer uns neuen Art, wenn auch vielleicht nicht sym-
pathisch, doch anreizend, sie zu deuten. In Rubens vermisst
man diese Achtung vor der Besonderheit: er passt die Züge, je
nachdem verschönernd oder herabziehend, dem seine Phantasie
beherrschenden Formentypus an; er ertheilt ihnen dieselbe phy-
sische Constitution, denselben Ausdruck sinnlichen Wohlbefindens
und gutmüthiger Offenheit. Man sagt, ein schöner Rubens, und
sagt damit alles. Wir sollten denken, diese Bildnisse brauchte
Velazquez nicht zu fürchten, kaum zu studiren. Was er schätzte
war Verdad, no pintura. Hier sah er nur pintura, eine blendende,
berauschende freilich, aber wie man damals sagte, eine Malerei
de pratica. Eine Kunst, die in allen Stücken auf die stärksten Wir-
kungen aus war, immer etwas die Grenzen der natürlichen Wahr-
heit überschreitend, in Farbe, Licht, Charakter und Mimik. Der
Spanier wird sie betrachtet haben, etwa wie der Geschichtschreiber
einen historischen Roman. Dieser wird vielleicht höflich sagen: So
etwas könnte ich nicht machen; und bescheiden verschweigen,
dass er so etwas nicht machen wollte, wenn er es könnte. Un-
gefähr so scheint sich Velazquez geäussert zu haben; denn Pa-

Zweites Buch.

Oder der neunzehnjährige Cardinalinfant. Velazquez hat
ihn um diese Zeit als Jäger, Rubens in Cardinalstracht mit dem
Brevier dargestellt. Dort ein bleicher, etwas blutleerer, aufge-
schosster Jüngling von strammer Haltung, aus dessen vom Fieber
ermatteten Augen jedoch klarer Verstand spricht, die Keime der
tüchtigen Eigenschaften, die später so überraschend hervortraten.
Und nun sehe man den Rubensschen Cardinal mit dem gebeug-
ten Nacken, den sinnlich vorquellenden Augen, hinter denen
kein Gedanke liegt, dem dicken, weichen Mund: das Bild eines
schlaffen Genussmenschen.

Der König selbst ist zwar wiederkennbar an den constanten
Zügen, aber die Ecken der bei ihm so auffallenden Familienmaske
sind verflacht, die Blässe des sinkenden Geschlechts, die mit ihm
gleichsam verwachsene steife Grandeza, der kalte, verschlossene,
phlegmatische Stolz, wo ist er geblieben in diesem frischen ob-
wol etwas indolenten Lebemann?

Velazquez hat seine Menschen im Aeussern und Innern
durchstudirt, ihre Erscheinung aufgefasst nach jener indivi-
duellen Gesetzmässigkeit, die selbst dem Missgeformten etwas
Nothwendiges verleiht: Temperament, tonus der Nerven, Mischung
der Säfte ihnen abgesehen, die eigenartige spanische morgue
darüber gelegt. Bei ihm fühlt man sich vor einer Realität, vor
Menschen einer uns neuen Art, wenn auch vielleicht nicht sym-
pathisch, doch anreizend, sie zu deuten. In Rubens vermisst
man diese Achtung vor der Besonderheit: er passt die Züge, je
nachdem verschönernd oder herabziehend, dem seine Phantasie
beherrschenden Formentypus an; er ertheilt ihnen dieselbe phy-
sische Constitution, denselben Ausdruck sinnlichen Wohlbefindens
und gutmüthiger Offenheit. Man sagt, ein schöner Rubens, und
sagt damit alles. Wir sollten denken, diese Bildnisse brauchte
Velazquez nicht zu fürchten, kaum zu studiren. Was er schätzte
war Verdad, no pintura. Hier sah er nur pintura, eine blendende,
berauschende freilich, aber wie man damals sagte, eine Malerei
de pratica. Eine Kunst, die in allen Stücken auf die stärksten Wir-
kungen aus war, immer etwas die Grenzen der natürlichen Wahr-
heit überschreitend, in Farbe, Licht, Charakter und Mimik. Der
Spanier wird sie betrachtet haben, etwa wie der Geschichtschreiber
einen historischen Roman. Dieser wird vielleicht höflich sagen: So
etwas könnte ich nicht machen; und bescheiden verschweigen,
dass er so etwas nicht machen wollte, wenn er es könnte. Un-
gefähr so scheint sich Velazquez geäussert zu haben; denn Pa-

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[252/0276] Zweites Buch. Oder der neunzehnjährige Cardinalinfant. Velazquez hat ihn um diese Zeit als Jäger, Rubens in Cardinalstracht mit dem Brevier dargestellt. Dort ein bleicher, etwas blutleerer, aufge- schosster Jüngling von strammer Haltung, aus dessen vom Fieber ermatteten Augen jedoch klarer Verstand spricht, die Keime der tüchtigen Eigenschaften, die später so überraschend hervortraten. Und nun sehe man den Rubensschen Cardinal mit dem gebeug- ten Nacken, den sinnlich vorquellenden Augen, hinter denen kein Gedanke liegt, dem dicken, weichen Mund: das Bild eines schlaffen Genussmenschen. Der König selbst ist zwar wiederkennbar an den constanten Zügen, aber die Ecken der bei ihm so auffallenden Familienmaske sind verflacht, die Blässe des sinkenden Geschlechts, die mit ihm gleichsam verwachsene steife Grandeza, der kalte, verschlossene, phlegmatische Stolz, wo ist er geblieben in diesem frischen ob- wol etwas indolenten Lebemann? Velazquez hat seine Menschen im Aeussern und Innern durchstudirt, ihre Erscheinung aufgefasst nach jener indivi- duellen Gesetzmässigkeit, die selbst dem Missgeformten etwas Nothwendiges verleiht: Temperament, tonus der Nerven, Mischung der Säfte ihnen abgesehen, die eigenartige spanische morgue darüber gelegt. Bei ihm fühlt man sich vor einer Realität, vor Menschen einer uns neuen Art, wenn auch vielleicht nicht sym- pathisch, doch anreizend, sie zu deuten. In Rubens vermisst man diese Achtung vor der Besonderheit: er passt die Züge, je nachdem verschönernd oder herabziehend, dem seine Phantasie beherrschenden Formentypus an; er ertheilt ihnen dieselbe phy- sische Constitution, denselben Ausdruck sinnlichen Wohlbefindens und gutmüthiger Offenheit. Man sagt, ein schöner Rubens, und sagt damit alles. Wir sollten denken, diese Bildnisse brauchte Velazquez nicht zu fürchten, kaum zu studiren. Was er schätzte war Verdad, no pintura. Hier sah er nur pintura, eine blendende, berauschende freilich, aber wie man damals sagte, eine Malerei de pratica. Eine Kunst, die in allen Stücken auf die stärksten Wir- kungen aus war, immer etwas die Grenzen der natürlichen Wahr- heit überschreitend, in Farbe, Licht, Charakter und Mimik. Der Spanier wird sie betrachtet haben, etwa wie der Geschichtschreiber einen historischen Roman. Dieser wird vielleicht höflich sagen: So etwas könnte ich nicht machen; und bescheiden verschweigen, dass er so etwas nicht machen wollte, wenn er es könnte. Un- gefähr so scheint sich Velazquez geäussert zu haben; denn Pa-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/276>, abgerufen am 19.04.2024.