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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Erstes Buch.
Phantasie, die Gelegenheit Schönheit zu verewigen so wenig be-
nutzt haben, wenige auch für das Verlangen der menschlichen
Natur nach jenem Nichtseienden, das uns für die Wirklichkeit
tröstet, so wenig gesorgt haben.

Aber seine Porträts, Landschaften, Jagdstücke und alles was
er gemacht hat, kann als Vergleichungspunkt gebraucht werden,
an dem man die Grade oder Reste conventioneller Schlacke in
andern abmisst. Das Medium, durch welches er die Natur sah,
verschlang, um ein physikalisches Bild zu gebrauchen, weniger
Farbenelemente als das anderer. Wie neben dem elektrischen
Licht auch sonst weiss scheinende Flammen farbig aussehen, so
verlieren neben den seinigen die Werke der Naturalisten; neben
Velazquez erscheint Tizians Colorit conventionell, Rembrandt
phantastisch und Rubens mit einer Dosis manierirter Unnatur
behaftet.

Wenn er weniger als alle anderen in die Dinge hineinlegte,
so zog er dafür mehr als alle aus ihnen heraus. Niemand hat
wie er mit Dürers Grundsatz Ernst gemacht, dass "wahrhaftig
die Kunst in der Natur steckt; wer sie heraus kann reissen, der
hat sie". Darauf beruht ihr Rang. Unter dem Eindruck der spa-
nischen Galerie des Louvre schrieb ein Deutscher: "Wenn es ihm an
Flügeln fehlte, um sich über die Wolken emporzuschwingen, und
den übermenschlichen Ausdruck dieser Regionen zu vergegenwär-
tigen, so war er vielleicht der grösste von allen, deren Füsse je
die Erde berührten. Seine Gemälde wurden erhaben durch
Ausdruck und Charakter, und bekamen oft eine hochpoetische
Farbe, wo er nichts als wahr und naturgetreu sein wollte. Ve-
lazquez legte in das einfachste Portrait mehr Poesie und Schwung,
als viele anderen Historienmaler in ihre symbolischen Composi-
tionen hineinlegen"1).

Was er nun sah, das brachte er auf die Leinwand mit stets
wechselnden, ja vom Augenblick eingegebenen Mitteln, die dem
Praktiker oft ein Räthsel sind. Uebrigens, wie er die Erschei-
nung sah, war das Ungewöhnliche, weniger aber ein besonderes
Geheimniss der Technik. Seine Mittel waren oft überaus einfach,
wie die durch welche Rembrandt in seinen Radirungen jene
unnachahmlichen Effekte erzielte. Man hat gesagt, "das geistige
Wollen des Künstlers sei aufs engste an das technische Vermö-
gen der Darstellung gebunden", aber ebenso wahr ist, dass dem

1) E. C. (Koloff) im Kunstblatt 1839, S. 157.

Erstes Buch.
Phantasie, die Gelegenheit Schönheit zu verewigen so wenig be-
nutzt haben, wenige auch für das Verlangen der menschlichen
Natur nach jenem Nichtseienden, das uns für die Wirklichkeit
tröstet, so wenig gesorgt haben.

Aber seine Porträts, Landschaften, Jagdstücke und alles was
er gemacht hat, kann als Vergleichungspunkt gebraucht werden,
an dem man die Grade oder Reste conventioneller Schlacke in
andern abmisst. Das Medium, durch welches er die Natur sah,
verschlang, um ein physikalisches Bild zu gebrauchen, weniger
Farbenelemente als das anderer. Wie neben dem elektrischen
Licht auch sonst weiss scheinende Flammen farbig aussehen, so
verlieren neben den seinigen die Werke der Naturalisten; neben
Velazquez erscheint Tizians Colorit conventionell, Rembrandt
phantastisch und Rubens mit einer Dosis manierirter Unnatur
behaftet.

Wenn er weniger als alle anderen in die Dinge hineinlegte,
so zog er dafür mehr als alle aus ihnen heraus. Niemand hat
wie er mit Dürers Grundsatz Ernst gemacht, dass „wahrhaftig
die Kunst in der Natur steckt; wer sie heraus kann reissen, der
hat sie“. Darauf beruht ihr Rang. Unter dem Eindruck der spa-
nischen Galerie des Louvre schrieb ein Deutscher: „Wenn es ihm an
Flügeln fehlte, um sich über die Wolken emporzuschwingen, und
den übermenschlichen Ausdruck dieser Regionen zu vergegenwär-
tigen, so war er vielleicht der grösste von allen, deren Füsse je
die Erde berührten. Seine Gemälde wurden erhaben durch
Ausdruck und Charakter, und bekamen oft eine hochpoetische
Farbe, wo er nichts als wahr und naturgetreu sein wollte. Ve-
lazquez legte in das einfachste Portrait mehr Poesie und Schwung,
als viele anderen Historienmaler in ihre symbolischen Composi-
tionen hineinlegen“1).

Was er nun sah, das brachte er auf die Leinwand mit stets
wechselnden, ja vom Augenblick eingegebenen Mitteln, die dem
Praktiker oft ein Räthsel sind. Uebrigens, wie er die Erschei-
nung sah, war das Ungewöhnliche, weniger aber ein besonderes
Geheimniss der Technik. Seine Mittel waren oft überaus einfach,
wie die durch welche Rembrandt in seinen Radirungen jene
unnachahmlichen Effekte erzielte. Man hat gesagt, „das geistige
Wollen des Künstlers sei aufs engste an das technische Vermö-
gen der Darstellung gebunden“, aber ebenso wahr ist, dass dem

1) E. C. (Koloff) im Kunstblatt 1839, S. 157.
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[8/0028] Erstes Buch. Phantasie, die Gelegenheit Schönheit zu verewigen so wenig be- nutzt haben, wenige auch für das Verlangen der menschlichen Natur nach jenem Nichtseienden, das uns für die Wirklichkeit tröstet, so wenig gesorgt haben. Aber seine Porträts, Landschaften, Jagdstücke und alles was er gemacht hat, kann als Vergleichungspunkt gebraucht werden, an dem man die Grade oder Reste conventioneller Schlacke in andern abmisst. Das Medium, durch welches er die Natur sah, verschlang, um ein physikalisches Bild zu gebrauchen, weniger Farbenelemente als das anderer. Wie neben dem elektrischen Licht auch sonst weiss scheinende Flammen farbig aussehen, so verlieren neben den seinigen die Werke der Naturalisten; neben Velazquez erscheint Tizians Colorit conventionell, Rembrandt phantastisch und Rubens mit einer Dosis manierirter Unnatur behaftet. Wenn er weniger als alle anderen in die Dinge hineinlegte, so zog er dafür mehr als alle aus ihnen heraus. Niemand hat wie er mit Dürers Grundsatz Ernst gemacht, dass „wahrhaftig die Kunst in der Natur steckt; wer sie heraus kann reissen, der hat sie“. Darauf beruht ihr Rang. Unter dem Eindruck der spa- nischen Galerie des Louvre schrieb ein Deutscher: „Wenn es ihm an Flügeln fehlte, um sich über die Wolken emporzuschwingen, und den übermenschlichen Ausdruck dieser Regionen zu vergegenwär- tigen, so war er vielleicht der grösste von allen, deren Füsse je die Erde berührten. Seine Gemälde wurden erhaben durch Ausdruck und Charakter, und bekamen oft eine hochpoetische Farbe, wo er nichts als wahr und naturgetreu sein wollte. Ve- lazquez legte in das einfachste Portrait mehr Poesie und Schwung, als viele anderen Historienmaler in ihre symbolischen Composi- tionen hineinlegen“ 1). Was er nun sah, das brachte er auf die Leinwand mit stets wechselnden, ja vom Augenblick eingegebenen Mitteln, die dem Praktiker oft ein Räthsel sind. Uebrigens, wie er die Erschei- nung sah, war das Ungewöhnliche, weniger aber ein besonderes Geheimniss der Technik. Seine Mittel waren oft überaus einfach, wie die durch welche Rembrandt in seinen Radirungen jene unnachahmlichen Effekte erzielte. Man hat gesagt, „das geistige Wollen des Künstlers sei aufs engste an das technische Vermö- gen der Darstellung gebunden“, aber ebenso wahr ist, dass dem 1) E. C. (Koloff) im Kunstblatt 1839, S. 157.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/28>, abgerufen am 25.04.2024.