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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Zweites Buch.
abgewann. Letzterem hatte sie ganz besonderes Vergnügen ge-
macht: er liess sie in seinem Sommerschlafzimmer aufhängen.
Vielleicht stellte er in Aussicht, im klassischen Land mehr
solcher Göttergeschichten liefern zu können. Man hat also nicht
ohne Wahrscheinlichkeit vermuthet, dass ihm unter jener Form
die Reiseunterstützung gewährt wurde, die Pacheco auf gerade
400 Dukaten angiebt 1).

Dieses Werk ist schon als Seltenheit schätzbar: das einzige
Saufstück des Velazquez, man kann hinzusetzen (wenn man nur
gute Bilder berücksichtigt) der spanischen Schule. Man denkt
sich die Spanier in der Regel als Antipoden der Deutschen und
Niederländer in diesem Punkt. Den Spaniern sei Trunkenheit
noch verächtlicher als den Italienern und Franzosen. Borracho
war einst dort ein so böses Wort wie Hahnrei und schlimmer
als Narr 2). Es gehörte zu den Beleidigungen, die, wie der Schlag
ins Gesicht mit Hand, Hut oder Schnupftuch, nicht durch Zwei-
kampf, sondern durch Todtschlag gerächt wurden. Pasquillanten
fanden keinen kränkenderen Ekelnamen für den verhassten Mi-
nister 3). Es genügte Jemanden nur einen Fall von Betrunkenheit
zu beweisen, um seine Verwerfung als Zeuge zu bewirken 4).

Allein selbst die Spanier haben jederzeit verstanden, auch
dieses Laster scherzhaft zu nehmen. In der Fundgrube volks-
mässigen Humors, den Schelmenromanen, fehlt nicht das Trink-
gelage mit äusserster Deroute. Die Andalusier, hierin weniger
streng denkend (wie die Perser im Islam) werden von den Ca-
stiliern u. a. borrachos genannt. Die Lieder des Baltasar del
Alcazar sind allerdings eine Rarität in der spanischen Lyrik,
aber hinreichend zum Beleg, dass die Ader da ist 5). Der Hof
Philipp IV war auch in diesem Punkt freidenkender. Wie Kö-
nigin Bessy an dem dicken Ritter Geschmack fand und selbst
eine Falstaffiade veranlasste: so liest man in Briefen aus der
Residenz von hohen Belustigungen, wo man Rüpel aus den
corrales (Höfen der Comödienhäuser) in den Palast holte und

1) Arte de la pintura I, 136.
2) Hasta aqui loco estaba, ya esta borracho Calderon, afectos de odio y
amor
II.
3) Zuan Corner, Depesche vom 1. Juli 1632.
4) Mad. d'Aulnoy, Voyage en Espagne, Xe & XIe lettre.
5) Arguijo's Sonett an Bacchus könnte man als Unterschrift gebrauchen: Ora
te mire la festiva gente En sus convites dulce y regalado A ti, de alegres vides
coronado, Baco, gran padre domador de oriente, He de cantar.

Zweites Buch.
abgewann. Letzterem hatte sie ganz besonderes Vergnügen ge-
macht: er liess sie in seinem Sommerschlafzimmer aufhängen.
Vielleicht stellte er in Aussicht, im klassischen Land mehr
solcher Göttergeschichten liefern zu können. Man hat also nicht
ohne Wahrscheinlichkeit vermuthet, dass ihm unter jener Form
die Reiseunterstützung gewährt wurde, die Pacheco auf gerade
400 Dukaten angiebt 1).

Dieses Werk ist schon als Seltenheit schätzbar: das einzige
Saufstück des Velazquez, man kann hinzusetzen (wenn man nur
gute Bilder berücksichtigt) der spanischen Schule. Man denkt
sich die Spanier in der Regel als Antipoden der Deutschen und
Niederländer in diesem Punkt. Den Spaniern sei Trunkenheit
noch verächtlicher als den Italienern und Franzosen. Borracho
war einst dort ein so böses Wort wie Hahnrei und schlimmer
als Narr 2). Es gehörte zu den Beleidigungen, die, wie der Schlag
ins Gesicht mit Hand, Hut oder Schnupftuch, nicht durch Zwei-
kampf, sondern durch Todtschlag gerächt wurden. Pasquillanten
fanden keinen kränkenderen Ekelnamen für den verhassten Mi-
nister 3). Es genügte Jemanden nur einen Fall von Betrunkenheit
zu beweisen, um seine Verwerfung als Zeuge zu bewirken 4).

Allein selbst die Spanier haben jederzeit verstanden, auch
dieses Laster scherzhaft zu nehmen. In der Fundgrube volks-
mässigen Humors, den Schelmenromanen, fehlt nicht das Trink-
gelage mit äusserster Deroute. Die Andalusier, hierin weniger
streng denkend (wie die Perser im Islam) werden von den Ca-
stiliern u. a. borrachos genannt. Die Lieder des Baltasar del
Alcazar sind allerdings eine Rarität in der spanischen Lyrik,
aber hinreichend zum Beleg, dass die Ader da ist 5). Der Hof
Philipp IV war auch in diesem Punkt freidenkender. Wie Kö-
nigin Bessy an dem dicken Ritter Geschmack fand und selbst
eine Falstaffiade veranlasste: so liest man in Briefen aus der
Residenz von hohen Belustigungen, wo man Rüpel aus den
corrales (Höfen der Comödienhäuser) in den Palast holte und

1) Arte de la pintura I, 136.
2) Hasta aquí loco estaba, ya está borracho Calderon, afectos de odio y
amor
II.
3) Zuan Corner, Depesche vom 1. Juli 1632.
4) Mad. d’Aulnoy, Voyage en Espagne, Xe & XIe lettre.
5) Arguijo’s Sonett an Bacchus könnte man als Unterschrift gebrauchen: Ora
te mire la festiva gente En sus convites dulce y regalado A ti, de alegres vides
coronado, Baco, gran padre domador de oriente, He de cantar.
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[256/0280] Zweites Buch. abgewann. Letzterem hatte sie ganz besonderes Vergnügen ge- macht: er liess sie in seinem Sommerschlafzimmer aufhängen. Vielleicht stellte er in Aussicht, im klassischen Land mehr solcher Göttergeschichten liefern zu können. Man hat also nicht ohne Wahrscheinlichkeit vermuthet, dass ihm unter jener Form die Reiseunterstützung gewährt wurde, die Pacheco auf gerade 400 Dukaten angiebt 1). Dieses Werk ist schon als Seltenheit schätzbar: das einzige Saufstück des Velazquez, man kann hinzusetzen (wenn man nur gute Bilder berücksichtigt) der spanischen Schule. Man denkt sich die Spanier in der Regel als Antipoden der Deutschen und Niederländer in diesem Punkt. Den Spaniern sei Trunkenheit noch verächtlicher als den Italienern und Franzosen. Borracho war einst dort ein so böses Wort wie Hahnrei und schlimmer als Narr 2). Es gehörte zu den Beleidigungen, die, wie der Schlag ins Gesicht mit Hand, Hut oder Schnupftuch, nicht durch Zwei- kampf, sondern durch Todtschlag gerächt wurden. Pasquillanten fanden keinen kränkenderen Ekelnamen für den verhassten Mi- nister 3). Es genügte Jemanden nur einen Fall von Betrunkenheit zu beweisen, um seine Verwerfung als Zeuge zu bewirken 4). Allein selbst die Spanier haben jederzeit verstanden, auch dieses Laster scherzhaft zu nehmen. In der Fundgrube volks- mässigen Humors, den Schelmenromanen, fehlt nicht das Trink- gelage mit äusserster Deroute. Die Andalusier, hierin weniger streng denkend (wie die Perser im Islam) werden von den Ca- stiliern u. a. borrachos genannt. Die Lieder des Baltasar del Alcazar sind allerdings eine Rarität in der spanischen Lyrik, aber hinreichend zum Beleg, dass die Ader da ist 5). Der Hof Philipp IV war auch in diesem Punkt freidenkender. Wie Kö- nigin Bessy an dem dicken Ritter Geschmack fand und selbst eine Falstaffiade veranlasste: so liest man in Briefen aus der Residenz von hohen Belustigungen, wo man Rüpel aus den corrales (Höfen der Comödienhäuser) in den Palast holte und 1) Arte de la pintura I, 136. 2) Hasta aquí loco estaba, ya está borracho Calderon, afectos de odio y amor II. 3) Zuan Corner, Depesche vom 1. Juli 1632. 4) Mad. d’Aulnoy, Voyage en Espagne, Xe & XIe lettre. 5) Arguijo’s Sonett an Bacchus könnte man als Unterschrift gebrauchen: Ora te mire la festiva gente En sus convites dulce y regalado A ti, de alegres vides coronado, Baco, gran padre domador de oriente, He de cantar.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/280>, abgerufen am 19.04.2024.