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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Drittes Buch.
gestellt knieend vor der h. Jungfrau, die von vielen Heiligen umgeben
ist. Alle Wände und auch die Gewölbe sind von Meister Andrea aus
Mantua [Mantegna] in Fresko ausgemalt. Man sieht da einen prächtigen
Garten, in dem viele Höflinge beschäftigt sind die königliche Tafel
(des Herodes) anzurichten und mit Laubgewinden und Blumen zu be-
kränzen, in der Mitte ist ein prachtvoller Credenztisch mit goldenen
Schüsseln. Damit beschloss ich mein heutiges Tagewerk; wir gingen
hinaus durch den boscareccio." --

Ueber den weitern Verlauf von Velazquez' römischem Leben
lassen wir seinen Schwiegervater reden 1). "Als er den Palast und
die Vigna der Medici auf Trinita de' monti gesehn, fand er, dass
hier der beste Platz sei für Studium und Sommeraufenthalt.
Denn es ist der höchste und luftigste Ort, und sehr vorzügliche
Statuen zum kopiren giebt es auch. Und so ersuchte er den
Grafen Monterey, er möge doch bei dem Herzog von Florenz zu
erreichen suchen, dass ihm dort zu wohnen gestattet werde.
Zwar war es nothwendig, an den Herzog selbst zu schreiben,
dieser aber erlaubte es. Zwei Monate wohnte er dort, bis ihn
ein Tercianfieber zwang hinunterzuziehen in die Nähe der Woh-
nung des Grafen. Dieser nahm sich seiner während der Tage
der Krankheit sehr an, sandte ihm seinen Arzt und Arzneien auf
eigene Rechnung, und befahl dass ihm alles nach seinem Wunsche
in seinem Hause hergerichtet werde, ausser vielen Geschenken
von Delicatessen und öftern Andenken (recuerdos)." --

Nicht weit von dem hispanischen pintor de camara, auf dem
Monte Pincio, wohnte ein andrer fremder Maler, premier peintre
du Roy
. Ob Nicolaus Poussin und Diego Velazquez, wie Stir-
ling ausmalt, einander nahegekommen sind? Oertlich, wol mög-
lich. Jene Studien römischer Villen und Ruinen versetzen uns
an Punkte, wo von jeher Fremde aller Nationen und Schulen
sich befreundet haben. Velazquez hat zwar nie heroische Land-
schaften komponirt, aber über den weiten, einsamen, menschen-
leeren, tiefblauen Gebirgsthälern, von den schroffen und kah-
len Höhenzügen seiner Sierren herab weht ein ähnlicher nur
wilderer Geist, wie in Poussins römischen Landschaften, obwol
an diesen die ordnende Kunst ungleich mehr Antheil hat.

Allein es ist nicht wahrscheinlich, dass sie sich gekannt
haben. Beide suchten die Kollegenschaft nicht auf. Die grossen
Männer wandeln eben auf dieser Erde noch nicht Arm in Arm

1) Arte de la Pintura I, 138.

Drittes Buch.
gestellt knieend vor der h. Jungfrau, die von vielen Heiligen umgeben
ist. Alle Wände und auch die Gewölbe sind von Meister Andrea aus
Mantua [Mantegna] in Fresko ausgemalt. Man sieht da einen prächtigen
Garten, in dem viele Höflinge beschäftigt sind die königliche Tafel
(des Herodes) anzurichten und mit Laubgewinden und Blumen zu be-
kränzen, in der Mitte ist ein prachtvoller Credenztisch mit goldenen
Schüsseln. Damit beschloss ich mein heutiges Tagewerk; wir gingen
hinaus durch den boscareccio.“ —

Ueber den weitern Verlauf von Velazquez’ römischem Leben
lassen wir seinen Schwiegervater reden 1). „Als er den Palast und
die Vigna der Medici auf Trinità de’ monti gesehn, fand er, dass
hier der beste Platz sei für Studium und Sommeraufenthalt.
Denn es ist der höchste und luftigste Ort, und sehr vorzügliche
Statuen zum kopiren giebt es auch. Und so ersuchte er den
Grafen Monterey, er möge doch bei dem Herzog von Florenz zu
erreichen suchen, dass ihm dort zu wohnen gestattet werde.
Zwar war es nothwendig, an den Herzog selbst zu schreiben,
dieser aber erlaubte es. Zwei Monate wohnte er dort, bis ihn
ein Tercianfieber zwang hinunterzuziehen in die Nähe der Woh-
nung des Grafen. Dieser nahm sich seiner während der Tage
der Krankheit sehr an, sandte ihm seinen Arzt und Arzneien auf
eigene Rechnung, und befahl dass ihm alles nach seinem Wunsche
in seinem Hause hergerichtet werde, ausser vielen Geschenken
von Delicatessen und öftern Andenken (recuerdos).“ —

Nicht weit von dem hispanischen pintor de cámara, auf dem
Monte Pincio, wohnte ein andrer fremder Maler, premier peintre
du Roy
. Ob Nicolaus Poussin und Diego Velazquez, wie Stir-
ling ausmalt, einander nahegekommen sind? Oertlich, wol mög-
lich. Jene Studien römischer Villen und Ruinen versetzen uns
an Punkte, wo von jeher Fremde aller Nationen und Schulen
sich befreundet haben. Velazquez hat zwar nie heroische Land-
schaften komponirt, aber über den weiten, einsamen, menschen-
leeren, tiefblauen Gebirgsthälern, von den schroffen und kah-
len Höhenzügen seiner Sierren herab weht ein ähnlicher nur
wilderer Geist, wie in Poussins römischen Landschaften, obwol
an diesen die ordnende Kunst ungleich mehr Antheil hat.

Allein es ist nicht wahrscheinlich, dass sie sich gekannt
haben. Beide suchten die Kollegenschaft nicht auf. Die grossen
Männer wandeln eben auf dieser Erde noch nicht Arm in Arm

1) Arte de la Pintura I, 138.
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[290/0316] Drittes Buch. gestellt knieend vor der h. Jungfrau, die von vielen Heiligen umgeben ist. Alle Wände und auch die Gewölbe sind von Meister Andrea aus Mantua [Mantegna] in Fresko ausgemalt. Man sieht da einen prächtigen Garten, in dem viele Höflinge beschäftigt sind die königliche Tafel (des Herodes) anzurichten und mit Laubgewinden und Blumen zu be- kränzen, in der Mitte ist ein prachtvoller Credenztisch mit goldenen Schüsseln. Damit beschloss ich mein heutiges Tagewerk; wir gingen hinaus durch den boscareccio.“ — Ueber den weitern Verlauf von Velazquez’ römischem Leben lassen wir seinen Schwiegervater reden 1). „Als er den Palast und die Vigna der Medici auf Trinità de’ monti gesehn, fand er, dass hier der beste Platz sei für Studium und Sommeraufenthalt. Denn es ist der höchste und luftigste Ort, und sehr vorzügliche Statuen zum kopiren giebt es auch. Und so ersuchte er den Grafen Monterey, er möge doch bei dem Herzog von Florenz zu erreichen suchen, dass ihm dort zu wohnen gestattet werde. Zwar war es nothwendig, an den Herzog selbst zu schreiben, dieser aber erlaubte es. Zwei Monate wohnte er dort, bis ihn ein Tercianfieber zwang hinunterzuziehen in die Nähe der Woh- nung des Grafen. Dieser nahm sich seiner während der Tage der Krankheit sehr an, sandte ihm seinen Arzt und Arzneien auf eigene Rechnung, und befahl dass ihm alles nach seinem Wunsche in seinem Hause hergerichtet werde, ausser vielen Geschenken von Delicatessen und öftern Andenken (recuerdos).“ — Nicht weit von dem hispanischen pintor de cámara, auf dem Monte Pincio, wohnte ein andrer fremder Maler, premier peintre du Roy. Ob Nicolaus Poussin und Diego Velazquez, wie Stir- ling ausmalt, einander nahegekommen sind? Oertlich, wol mög- lich. Jene Studien römischer Villen und Ruinen versetzen uns an Punkte, wo von jeher Fremde aller Nationen und Schulen sich befreundet haben. Velazquez hat zwar nie heroische Land- schaften komponirt, aber über den weiten, einsamen, menschen- leeren, tiefblauen Gebirgsthälern, von den schroffen und kah- len Höhenzügen seiner Sierren herab weht ein ähnlicher nur wilderer Geist, wie in Poussins römischen Landschaften, obwol an diesen die ordnende Kunst ungleich mehr Antheil hat. Allein es ist nicht wahrscheinlich, dass sie sich gekannt haben. Beide suchten die Kollegenschaft nicht auf. Die grossen Männer wandeln eben auf dieser Erde noch nicht Arm in Arm 1) Arte de la Pintura I, 138.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/316>, abgerufen am 25.04.2024.