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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Drittes Buch.
schien ihn beruhigen zu wollen, dass er jenen unvergleichlichen
Ort verlassen. Die Statue war in einer kleinen marmornen Loggia,
unter hohem Bogen; durch die Seitenöffnungen mit Brüstungen
genoss man einen Blick auf die Cypressen (verdes obeliscos 1)
der borghesischen Gärten. Die Loggia war wie ausgedacht
als Rahmen dafür. Durchs Epheulaub dringt das grelle Licht
der getünchten Wand; es klingt wieder in den weissschimmern-
den Gebäuden der Villa gegenüber.

An dieser Vedute freut sich ein Cavalier in dunklem Hut
und Mantel. Im Vordergrund steht ein grosser, nachlässig an-
gezogener Mann mit Halskrause, langem Mantel und weissem
Kopftuch, zu einem Arbeiter in Hemdsärmeln gewandt, der sich
verbeugend mit grossen Schritten herankommt. Vielleicht stellt
er ihn zu Rede, was der Hund von forastiere da mache. -- Die
Statue der Ariadne befindet sich jetzt sehr restaurirt im Palast
Pitti, in dem grossen Saal des Giovanni di S. Giovanni. Eine
dritte Wiederholung kam später nach Madrid und ist im Erdge-
schoss des Prado aufgestellt.

Das Motiv des zweiten Bildchens ist der Contrast einer
weissgetünchten Halle, bekrönt von einer Marmor-Balustrade,
mit den tiefdunklen Steineichenmassen darüber, durch welche in
schmalen Spalten das weissglühende Licht des Himmels bricht.
Die dreifache Oeffnung der Wand mit dem auf jonischen Säulen
ruhenden Bogen in der Mitte, ganz ähnlich jener Loggia, ist mit
einem elenden Bretterverschlag vernagelt; rechts in der Nische
eine Statue. Es ist die Halle vor der Terrasse des Belvedere,
wo jetzt die Copien der Niobiden stehen, vom Parterre aus
gesehn.3) Steht man vor dieser Wand, unter den grossen Pinien,
so schneidet der Palast den Anblick und das Geräusch der
Stadt völlig ab. Andre hätten einen solchen Punkt von den unwür-
digen Zuthaten und dem gemeinen Volk gesäubert, mit feiner Ge-
sellschaft, bunt wie die Blumenparterres staffirt. Der Spanier
giebt uns die freilich auch mit zum genius loci gehörende Ver-
nachlässigung und Verbauerung, der diese fürstlichen Anlagen
dort im zweiten Geschlecht zu verfallen pflegten. Auf der

1 Lope in der Comödie Si no vieran las mugeres.
3) A mount planted with cypress, representing a forteress with a good foun-
tain in the midst. Here is also a row balustrated with white marble, covered ever
with the natural shrubs, ivy, and other perennial greens, divers statues and heads,
being placed as in niches. Evelyn's Diary.

Drittes Buch.
schien ihn beruhigen zu wollen, dass er jenen unvergleichlichen
Ort verlassen. Die Statue war in einer kleinen marmornen Loggia,
unter hohem Bogen; durch die Seitenöffnungen mit Brüstungen
genoss man einen Blick auf die Cypressen (verdes obeliscos 1)
der borghesischen Gärten. Die Loggia war wie ausgedacht
als Rahmen dafür. Durchs Epheulaub dringt das grelle Licht
der getünchten Wand; es klingt wieder in den weissschimmern-
den Gebäuden der Villa gegenüber.

An dieser Vedute freut sich ein Cavalier in dunklem Hut
und Mantel. Im Vordergrund steht ein grosser, nachlässig an-
gezogener Mann mit Halskrause, langem Mantel und weissem
Kopftuch, zu einem Arbeiter in Hemdsärmeln gewandt, der sich
verbeugend mit grossen Schritten herankommt. Vielleicht stellt
er ihn zu Rede, was der Hund von forastiere da mache. — Die
Statue der Ariadne befindet sich jetzt sehr restaurirt im Palast
Pitti, in dem grossen Saal des Giovanni di S. Giovanni. Eine
dritte Wiederholung kam später nach Madrid und ist im Erdge-
schoss des Prado aufgestellt.

Das Motiv des zweiten Bildchens ist der Contrast einer
weissgetünchten Halle, bekrönt von einer Marmor-Balustrade,
mit den tiefdunklen Steineichenmassen darüber, durch welche in
schmalen Spalten das weissglühende Licht des Himmels bricht.
Die dreifache Oeffnung der Wand mit dem auf jonischen Säulen
ruhenden Bogen in der Mitte, ganz ähnlich jener Loggia, ist mit
einem elenden Bretterverschlag vernagelt; rechts in der Nische
eine Statue. Es ist die Halle vor der Terrasse des Belvedere,
wo jetzt die Copien der Niobiden stehen, vom Parterre aus
gesehn.3) Steht man vor dieser Wand, unter den grossen Pinien,
so schneidet der Palast den Anblick und das Geräusch der
Stadt völlig ab. Andre hätten einen solchen Punkt von den unwür-
digen Zuthaten und dem gemeinen Volk gesäubert, mit feiner Ge-
sellschaft, bunt wie die Blumenparterres staffirt. Der Spanier
giebt uns die freilich auch mit zum genius loci gehörende Ver-
nachlässigung und Verbauerung, der diese fürstlichen Anlagen
dort im zweiten Geschlecht zu verfallen pflegten. Auf der

1 Lope in der Comödie Si no vieran las mugeres.
3) A mount planted with cypress, representing a forteress with a good foun-
tain in the midst. Here is also a row balustrated with white marble, covered ever
with the natural shrubs, ivy, and other perennial greens, divers statues and heads,
being placed as in niches. Evelyn’s Diary.
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[298/0324] Drittes Buch. schien ihn beruhigen zu wollen, dass er jenen unvergleichlichen Ort verlassen. Die Statue war in einer kleinen marmornen Loggia, unter hohem Bogen; durch die Seitenöffnungen mit Brüstungen genoss man einen Blick auf die Cypressen (verdes obeliscos 1) der borghesischen Gärten. Die Loggia war wie ausgedacht als Rahmen dafür. Durchs Epheulaub dringt das grelle Licht der getünchten Wand; es klingt wieder in den weissschimmern- den Gebäuden der Villa gegenüber. An dieser Vedute freut sich ein Cavalier in dunklem Hut und Mantel. Im Vordergrund steht ein grosser, nachlässig an- gezogener Mann mit Halskrause, langem Mantel und weissem Kopftuch, zu einem Arbeiter in Hemdsärmeln gewandt, der sich verbeugend mit grossen Schritten herankommt. Vielleicht stellt er ihn zu Rede, was der Hund von forastiere da mache. — Die Statue der Ariadne befindet sich jetzt sehr restaurirt im Palast Pitti, in dem grossen Saal des Giovanni di S. Giovanni. Eine dritte Wiederholung kam später nach Madrid und ist im Erdge- schoss des Prado aufgestellt. Das Motiv des zweiten Bildchens ist der Contrast einer weissgetünchten Halle, bekrönt von einer Marmor-Balustrade, mit den tiefdunklen Steineichenmassen darüber, durch welche in schmalen Spalten das weissglühende Licht des Himmels bricht. Die dreifache Oeffnung der Wand mit dem auf jonischen Säulen ruhenden Bogen in der Mitte, ganz ähnlich jener Loggia, ist mit einem elenden Bretterverschlag vernagelt; rechts in der Nische eine Statue. Es ist die Halle vor der Terrasse des Belvedere, wo jetzt die Copien der Niobiden stehen, vom Parterre aus gesehn. 3) Steht man vor dieser Wand, unter den grossen Pinien, so schneidet der Palast den Anblick und das Geräusch der Stadt völlig ab. Andre hätten einen solchen Punkt von den unwür- digen Zuthaten und dem gemeinen Volk gesäubert, mit feiner Ge- sellschaft, bunt wie die Blumenparterres staffirt. Der Spanier giebt uns die freilich auch mit zum genius loci gehörende Ver- nachlässigung und Verbauerung, der diese fürstlichen Anlagen dort im zweiten Geschlecht zu verfallen pflegten. Auf der 1 Lope in der Comödie Si no vieran las mugeres. 3) A mount planted with cypress, representing a forteress with a good foun- tain in the midst. Here is also a row balustrated with white marble, covered ever with the natural shrubs, ivy, and other perennial greens, divers statues and heads, being placed as in niches. Evelyn’s Diary.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/324>, abgerufen am 28.03.2024.