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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Drittes Buch.
sagen. Es ist also der "kritische Wendepunkt" zwischen zwei
Bewegungen; denn bevor eine Minute vergeht, wird es Car-
ramba!
hervordonnern, und der Hammer auf den Amboss nieder-
schlagen -- in Ermangelung des Kopfes des abwesenden Haus-
freundes. Denn eine so griechische Rache, wie die welche der
homerische Hephästos sich gönnte, wird man diesem mageren
Eckkopf mit den harten Backenknochen und schwarzen Glotz-
augen schwerlich zutrauen.

Der Gegenstand ist uns nirgends sonst vorgekommen. Wie
er darauf verfiel? Philipp, den sein Bacchus so entzückt hatte, wird
mit König Theseus im Sommernachtstraum gesagt haben: "Noch
'mal brüllen!" und da Velazquez keinen Bacchus mehr hatte, so
dachte er an einen seiner göttlichen Vettern. Das Schema der
Composition ist dasselbe, ein offener Halbkreis von Figuren rechts,
eine Hauptperson davortretend. In dem dargestellten Affekt lag
ein noch feineres komisches Motiv. Auch erwartete man von
einem Romfahrer Studien des Nackten in mannichfaltiger Bewe-
gung. Dafür hatte man längst zu der Cyklopenschmiede gegriffen:
Tizians Gemälde in Brescia, welches im Stich Cornelius Corts erhal-
ten ist, das Caravaggio's im Cabinet De Reynst, von Jeremias
Falck gestochen, waren ihm wohl bekannt. Vielleicht hat er
die Skizze schon aus Madrid mitgebracht.

Als Maler lag ihm das besonders Anziehende dieses
Stoffes selbstverständlich in den Ansichten des Nackten. Die
Sorgfalt der Arbeit verräth unverkennbar, dass es seine
Absicht war, sich hier, in der Freiheit und Musse Roms, unter
dem Eindruck der Kapelle Michelangelo's, einmal völliges Ge-
nüge zu thun in Darstellung des menschlichen Körpers. Später
fand er wohl kaum wieder die Musse zu einer solchen Arbeit.
Seine Modelle sind gemeine, kräftige Kerle, ähnlich in Grösse,
Verhältnissen und Körperfülle, verschieden in Alter, Stellungen
und Ansichten, mit feiner Abwechslung in Ton der Haut und Be-
leuchtung. Apollo hat die gewähltesten und jugendlichsten For-
men, Vulcan die eines hageren Alten. Der vom Rücken gesehene
Cyclop ist augenscheinlich auf gut Glück aufgerafft; hier sind die
Beine nicht gut gestellt, der Schwerpunkt im rechten zu weit
nach links geschoben. Es ist ein Bild ganz nach des Künstlers
Herzen, ein Bild wie es sich der Maler wünscht, wenn er einmal
frei athmen und die Kunst um der Kunst willen ausüben will.
Sein und Schein, die Kenntniss der Muskulatur und die Wahr-
heit der äusseren Schale, sind in gleicher Weise berücksichtigt;

Drittes Buch.
sagen. Es ist also der „kritische Wendepunkt“ zwischen zwei
Bewegungen; denn bevor eine Minute vergeht, wird es Car-
ramba!
hervordonnern, und der Hammer auf den Amboss nieder-
schlagen — in Ermangelung des Kopfes des abwesenden Haus-
freundes. Denn eine so griechische Rache, wie die welche der
homerische Hephästos sich gönnte, wird man diesem mageren
Eckkopf mit den harten Backenknochen und schwarzen Glotz-
augen schwerlich zutrauen.

Der Gegenstand ist uns nirgends sonst vorgekommen. Wie
er darauf verfiel? Philipp, den sein Bacchus so entzückt hatte, wird
mit König Theseus im Sommernachtstraum gesagt haben: „Noch
’mal brüllen!“ und da Velazquez keinen Bacchus mehr hatte, so
dachte er an einen seiner göttlichen Vettern. Das Schema der
Composition ist dasselbe, ein offener Halbkreis von Figuren rechts,
eine Hauptperson davortretend. In dem dargestellten Affekt lag
ein noch feineres komisches Motiv. Auch erwartete man von
einem Romfahrer Studien des Nackten in mannichfaltiger Bewe-
gung. Dafür hatte man längst zu der Cyklopenschmiede gegriffen:
Tizians Gemälde in Brescia, welches im Stich Cornelius Corts erhal-
ten ist, das Caravaggio’s im Cabinet De Reynst, von Jeremias
Falck gestochen, waren ihm wohl bekannt. Vielleicht hat er
die Skizze schon aus Madrid mitgebracht.

Als Maler lag ihm das besonders Anziehende dieses
Stoffes selbstverständlich in den Ansichten des Nackten. Die
Sorgfalt der Arbeit verräth unverkennbar, dass es seine
Absicht war, sich hier, in der Freiheit und Musse Roms, unter
dem Eindruck der Kapelle Michelangelo’s, einmal völliges Ge-
nüge zu thun in Darstellung des menschlichen Körpers. Später
fand er wohl kaum wieder die Musse zu einer solchen Arbeit.
Seine Modelle sind gemeine, kräftige Kerle, ähnlich in Grösse,
Verhältnissen und Körperfülle, verschieden in Alter, Stellungen
und Ansichten, mit feiner Abwechslung in Ton der Haut und Be-
leuchtung. Apollo hat die gewähltesten und jugendlichsten For-
men, Vulcan die eines hageren Alten. Der vom Rücken gesehene
Cyclop ist augenscheinlich auf gut Glück aufgerafft; hier sind die
Beine nicht gut gestellt, der Schwerpunkt im rechten zu weit
nach links geschoben. Es ist ein Bild ganz nach des Künstlers
Herzen, ein Bild wie es sich der Maler wünscht, wenn er einmal
frei athmen und die Kunst um der Kunst willen ausüben will.
Sein und Schein, die Kenntniss der Muskulatur und die Wahr-
heit der äusseren Schale, sind in gleicher Weise berücksichtigt;

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[302/0328] Drittes Buch. sagen. Es ist also der „kritische Wendepunkt“ zwischen zwei Bewegungen; denn bevor eine Minute vergeht, wird es Car- ramba! hervordonnern, und der Hammer auf den Amboss nieder- schlagen — in Ermangelung des Kopfes des abwesenden Haus- freundes. Denn eine so griechische Rache, wie die welche der homerische Hephästos sich gönnte, wird man diesem mageren Eckkopf mit den harten Backenknochen und schwarzen Glotz- augen schwerlich zutrauen. Der Gegenstand ist uns nirgends sonst vorgekommen. Wie er darauf verfiel? Philipp, den sein Bacchus so entzückt hatte, wird mit König Theseus im Sommernachtstraum gesagt haben: „Noch ’mal brüllen!“ und da Velazquez keinen Bacchus mehr hatte, so dachte er an einen seiner göttlichen Vettern. Das Schema der Composition ist dasselbe, ein offener Halbkreis von Figuren rechts, eine Hauptperson davortretend. In dem dargestellten Affekt lag ein noch feineres komisches Motiv. Auch erwartete man von einem Romfahrer Studien des Nackten in mannichfaltiger Bewe- gung. Dafür hatte man längst zu der Cyklopenschmiede gegriffen: Tizians Gemälde in Brescia, welches im Stich Cornelius Corts erhal- ten ist, das Caravaggio’s im Cabinet De Reynst, von Jeremias Falck gestochen, waren ihm wohl bekannt. Vielleicht hat er die Skizze schon aus Madrid mitgebracht. Als Maler lag ihm das besonders Anziehende dieses Stoffes selbstverständlich in den Ansichten des Nackten. Die Sorgfalt der Arbeit verräth unverkennbar, dass es seine Absicht war, sich hier, in der Freiheit und Musse Roms, unter dem Eindruck der Kapelle Michelangelo’s, einmal völliges Ge- nüge zu thun in Darstellung des menschlichen Körpers. Später fand er wohl kaum wieder die Musse zu einer solchen Arbeit. Seine Modelle sind gemeine, kräftige Kerle, ähnlich in Grösse, Verhältnissen und Körperfülle, verschieden in Alter, Stellungen und Ansichten, mit feiner Abwechslung in Ton der Haut und Be- leuchtung. Apollo hat die gewähltesten und jugendlichsten For- men, Vulcan die eines hageren Alten. Der vom Rücken gesehene Cyclop ist augenscheinlich auf gut Glück aufgerafft; hier sind die Beine nicht gut gestellt, der Schwerpunkt im rechten zu weit nach links geschoben. Es ist ein Bild ganz nach des Künstlers Herzen, ein Bild wie es sich der Maler wünscht, wenn er einmal frei athmen und die Kunst um der Kunst willen ausüben will. Sein und Schein, die Kenntniss der Muskulatur und die Wahr- heit der äusseren Schale, sind in gleicher Weise berücksichtigt;

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/328>, abgerufen am 28.03.2024.