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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Drittes Buch.

Der so schroff spanische Charakter des Bildnisses der In-
fantin Maria fällt noch mehr auf, wenn man es mit dem ihrer
Schwester von Frankreich vergleicht. Von Anne d'Autriche,
die meist nur in wenig ansprechenden Porträts ihres corpulenten
Witwenstandes verbreitet ist, giebt es auch ein jugendlicheres Bild-
niss, von keinem geringeren als Rubens. Er muss dieses Bild-
niss in einer seiner glücklichsten Stunden gemalt haben und, nach
der seltenen Abwesenheit seiner Manier in Frauenbildern, mehr
als sonst bei hohen Herrschaften üblich, in Gegenwart des Ori-
ginals.

Wie doch aus den einander so ähnlichen Schwestern durch
den Geschmack zweier Nationen so völlig unähnliche Erschei-
nungen werden konnten!

Viel lebenswärmer als auf Roth musste die blonde Gestalt her-
vortreten auf dem dunkelgrünen Vorhang mit den goldenen Lilien!
Am Hof von Paris durfte der schönste Hals und Nacken frei
sich zeigen, umrahmt von den Curven des Kelchs eines fächer-
förmig emporstehenden Spitzenkragens; während der Kopf der
Schwester abgeschnitten auf dem Tüllkragen liegt. Ein milder,
anspruchsloser, gütiger Blick galt nicht für der Würde nach-
theilig; und eben so wenig ein bequem vornehmes Sitzen, statt
jenes fast militärisch strammen Stands. Das dunkle Kleid mit
der schlichten Schleife, das Perlenhalsband beweist, dass man
bereits Einfachheit für den besten Schmuck der Schönheit, selbst
der gekrönten, hielt.

Rubens durfte endlich die wunderschönen Hände der Königin
förmlich ausstellen, ohne jeden Ring oder Armband. Von ihnen
sagte Madame de Motteville: "ihre Hände und Arme waren von
erstaunlicher Schönheit, und ganz Europa hat ihr Lob verkün-
digen hören, sie hatten, ohne Uebertreibung, die Weisse des
Schnees". Man sehe nun die Hand, welche sich bei Velazquez
über die Armlehne legt. Sie ist eckig und kümmerlich, das Ge-
gentheil schöner Linien, und erinnert fast an eine im Krampf
gekrümmte Hand.

Und so erscheint also hier die phlegmatischere und beschränk-
tere Anna belebt und verschönert durch französische Grazie und
eine keinen beengenden Vorschriften unterworfene Kunst, wäh-
rend die Reize der lebhafteren und aufgeweckteren Maria in der
Erstarrung altspanischer Etiquette wie gebunden blieben 1).


1) Das Bildniss der Königin Anna war eine der ersten Zierden der Galerie
Drittes Buch.

Der so schroff spanische Charakter des Bildnisses der In-
fantin Maria fällt noch mehr auf, wenn man es mit dem ihrer
Schwester von Frankreich vergleicht. Von Anne d’Autriche,
die meist nur in wenig ansprechenden Porträts ihres corpulenten
Witwenstandes verbreitet ist, giebt es auch ein jugendlicheres Bild-
niss, von keinem geringeren als Rubens. Er muss dieses Bild-
niss in einer seiner glücklichsten Stunden gemalt haben und, nach
der seltenen Abwesenheit seiner Manier in Frauenbildern, mehr
als sonst bei hohen Herrschaften üblich, in Gegenwart des Ori-
ginals.

Wie doch aus den einander so ähnlichen Schwestern durch
den Geschmack zweier Nationen so völlig unähnliche Erschei-
nungen werden konnten!

Viel lebenswärmer als auf Roth musste die blonde Gestalt her-
vortreten auf dem dunkelgrünen Vorhang mit den goldenen Lilien!
Am Hof von Paris durfte der schönste Hals und Nacken frei
sich zeigen, umrahmt von den Curven des Kelchs eines fächer-
förmig emporstehenden Spitzenkragens; während der Kopf der
Schwester abgeschnitten auf dem Tüllkragen liegt. Ein milder,
anspruchsloser, gütiger Blick galt nicht für der Würde nach-
theilig; und eben so wenig ein bequem vornehmes Sitzen, statt
jenes fast militärisch strammen Stands. Das dunkle Kleid mit
der schlichten Schleife, das Perlenhalsband beweist, dass man
bereits Einfachheit für den besten Schmuck der Schönheit, selbst
der gekrönten, hielt.

Rubens durfte endlich die wunderschönen Hände der Königin
förmlich ausstellen, ohne jeden Ring oder Armband. Von ihnen
sagte Madame de Motteville: „ihre Hände und Arme waren von
erstaunlicher Schönheit, und ganz Europa hat ihr Lob verkün-
digen hören, sie hatten, ohne Uebertreibung, die Weisse des
Schnees“. Man sehe nun die Hand, welche sich bei Velazquez
über die Armlehne legt. Sie ist eckig und kümmerlich, das Ge-
gentheil schöner Linien, und erinnert fast an eine im Krampf
gekrümmte Hand.

Und so erscheint also hier die phlegmatischere und beschränk-
tere Anna belebt und verschönert durch französische Grazie und
eine keinen beengenden Vorschriften unterworfene Kunst, wäh-
rend die Reize der lebhafteren und aufgeweckteren Maria in der
Erstarrung altspanischer Etiquette wie gebunden blieben 1).


1) Das Bildniss der Königin Anna war eine der ersten Zierden der Galerie
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[318/0344] Drittes Buch. Der so schroff spanische Charakter des Bildnisses der In- fantin Maria fällt noch mehr auf, wenn man es mit dem ihrer Schwester von Frankreich vergleicht. Von Anne d’Autriche, die meist nur in wenig ansprechenden Porträts ihres corpulenten Witwenstandes verbreitet ist, giebt es auch ein jugendlicheres Bild- niss, von keinem geringeren als Rubens. Er muss dieses Bild- niss in einer seiner glücklichsten Stunden gemalt haben und, nach der seltenen Abwesenheit seiner Manier in Frauenbildern, mehr als sonst bei hohen Herrschaften üblich, in Gegenwart des Ori- ginals. Wie doch aus den einander so ähnlichen Schwestern durch den Geschmack zweier Nationen so völlig unähnliche Erschei- nungen werden konnten! Viel lebenswärmer als auf Roth musste die blonde Gestalt her- vortreten auf dem dunkelgrünen Vorhang mit den goldenen Lilien! Am Hof von Paris durfte der schönste Hals und Nacken frei sich zeigen, umrahmt von den Curven des Kelchs eines fächer- förmig emporstehenden Spitzenkragens; während der Kopf der Schwester abgeschnitten auf dem Tüllkragen liegt. Ein milder, anspruchsloser, gütiger Blick galt nicht für der Würde nach- theilig; und eben so wenig ein bequem vornehmes Sitzen, statt jenes fast militärisch strammen Stands. Das dunkle Kleid mit der schlichten Schleife, das Perlenhalsband beweist, dass man bereits Einfachheit für den besten Schmuck der Schönheit, selbst der gekrönten, hielt. Rubens durfte endlich die wunderschönen Hände der Königin förmlich ausstellen, ohne jeden Ring oder Armband. Von ihnen sagte Madame de Motteville: „ihre Hände und Arme waren von erstaunlicher Schönheit, und ganz Europa hat ihr Lob verkün- digen hören, sie hatten, ohne Uebertreibung, die Weisse des Schnees“. Man sehe nun die Hand, welche sich bei Velazquez über die Armlehne legt. Sie ist eckig und kümmerlich, das Ge- gentheil schöner Linien, und erinnert fast an eine im Krampf gekrümmte Hand. Und so erscheint also hier die phlegmatischere und beschränk- tere Anna belebt und verschönert durch französische Grazie und eine keinen beengenden Vorschriften unterworfene Kunst, wäh- rend die Reize der lebhafteren und aufgeweckteren Maria in der Erstarrung altspanischer Etiquette wie gebunden blieben 1). 1) Das Bildniss der Königin Anna war eine der ersten Zierden der Galerie

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/344>, abgerufen am 29.03.2024.