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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Quellen und Literatur.
Museum zu vereinigen (1819), das andere die Zerstreuung eines Theils
seiner Gemälde seit den Kriegszeiten über Frankreich und England. Selbst
auf das schon früher im Ausland vorhandene ist man erst seitdem aufmerk-
sam geworden: manche Bilder in Frankreich und Italien, in den Schlös-
sern des österreichischen Kaiserhauses, in der Dresdener Galerie u. a.
waren früher theils unzugänglich oder liefen unter falschen Bezeichnun-
gen, besonders des Rubens; nur der Pabst im Palast Pamfili hat stets
den richtigen Namen behalten.

Seitdem wissen von Velazquez auch noch andere als die Gelehrten:
er ist in den Kunstkreisen von Paris und London eine wolbekannte und
vielgenannte Persönlichkeit geworden, welche die ausübenden Künstler
mindestens ebenso wie die Kenner, die Käufer und die Dokumenten-
sucher beschäftigt.

Voran ging England, Dank dem lebhaften Reiseverkehr und einer
Vorliebe für die spanische Schule, die schon im vorigen Jahrhundert in
Privatgalerien nicht fehlte. Richard Cumberland der Maler schildert
uns noch den Eindruck der Velazquez im neuen Bourbonenpalast. Die
erste lesbare Biographie verdankt man Sir William Stirling Maxwell,
einem schottischen Baronet (geb. 1818, + 1878). Sie erschien in den
"Annalen der Künstler Spaniens", London 1848, S. 576--688, dann
in besonderer Ausgabe. Stirling ist auch als Schriftsteller ein Edelmann
im grossen Stil, nicht bloss darin, dass er seine Bücher nicht in den
Handel gab. Sein Werk gehört zu denen, wo man sich immer in der
besten Gesellschaft fühlt. Es wendet sich allerdings an den verwöhnten
Geschmack des englischen Publicums, und liest sich wie ein Essay
Macaulay's, ist "boudoirfähig"; aber er citirt mit der Gewissenhaftigkeit
eines geschulten Historikers. Auf kleinem Raum giebt er erstaunlich
viel entlegene, immer interessante Daten und Curiosa: wie sie nur ein
solcher Bibliophile (seine spanische Bibliothek war (und ist) ohne gleichen
in Europa) zusammenbringen konnte; "eine Olla potrida, sagt Ford,
stuffed with savouries, den nationalen Knoblauch nicht zu vergessen".
Doch war Sir William weit mehr Historiker, Heraldiker und Literator
als Kenner, wiewol ein geschickter Zeichner. Er verweilt lieber bei
graphischen Schilderungen grosser Staatsaktionen und Feste, als bei
künstlerischen Verfahrungsweisen, die Prosper Merimee unter seinen zahl-
reichen Notizen vermisste1). Diese Annalen, die er übrigens sehr jung
verfasste, sind doch nur eine elegante Umschreibung jener Palomino und
Bermudez, in englischer Sauce, im Grund nichts andres, als was der
arme Fiorillo einst in Göttingen zu stande brachte (1806); nur belebt

1) Revue des deux mondes 1848. XXIV, 639 ff.

Quellen und Literatur.
Museum zu vereinigen (1819), das andere die Zerstreuung eines Theils
seiner Gemälde seit den Kriegszeiten über Frankreich und England. Selbst
auf das schon früher im Ausland vorhandene ist man erst seitdem aufmerk-
sam geworden: manche Bilder in Frankreich und Italien, in den Schlös-
sern des österreichischen Kaiserhauses, in der Dresdener Galerie u. a.
waren früher theils unzugänglich oder liefen unter falschen Bezeichnun-
gen, besonders des Rubens; nur der Pabst im Palast Pamfili hat stets
den richtigen Namen behalten.

Seitdem wissen von Velazquez auch noch andere als die Gelehrten:
er ist in den Kunstkreisen von Paris und London eine wolbekannte und
vielgenannte Persönlichkeit geworden, welche die ausübenden Künstler
mindestens ebenso wie die Kenner, die Käufer und die Dokumenten-
sucher beschäftigt.

Voran ging England, Dank dem lebhaften Reiseverkehr und einer
Vorliebe für die spanische Schule, die schon im vorigen Jahrhundert in
Privatgalerien nicht fehlte. Richard Cumberland der Maler schildert
uns noch den Eindruck der Velazquez im neuen Bourbonenpalast. Die
erste lesbare Biographie verdankt man Sir William Stirling Maxwell,
einem schottischen Baronet (geb. 1818, † 1878). Sie erschien in den
„Annalen der Künstler Spaniens“, London 1848, S. 576—688, dann
in besonderer Ausgabe. Stirling ist auch als Schriftsteller ein Edelmann
im grossen Stil, nicht bloss darin, dass er seine Bücher nicht in den
Handel gab. Sein Werk gehört zu denen, wo man sich immer in der
besten Gesellschaft fühlt. Es wendet sich allerdings an den verwöhnten
Geschmack des englischen Publicums, und liest sich wie ein Essay
Macaulay’s, ist „boudoirfähig“; aber er citirt mit der Gewissenhaftigkeit
eines geschulten Historikers. Auf kleinem Raum giebt er erstaunlich
viel entlegene, immer interessante Daten und Curiosa: wie sie nur ein
solcher Bibliophile (seine spanische Bibliothek war (und ist) ohne gleichen
in Europa) zusammenbringen konnte; „eine Olla potrida, sagt Ford,
stuffed with savouries, den nationalen Knoblauch nicht zu vergessen“.
Doch war Sir William weit mehr Historiker, Heraldiker und Literator
als Kenner, wiewol ein geschickter Zeichner. Er verweilt lieber bei
graphischen Schilderungen grosser Staatsaktionen und Feste, als bei
künstlerischen Verfahrungsweisen, die Prosper Mérimée unter seinen zahl-
reichen Notizen vermisste1). Diese Annalen, die er übrigens sehr jung
verfasste, sind doch nur eine elegante Umschreibung jener Palomino und
Bermudez, in englischer Sauce, im Grund nichts andres, als was der
arme Fiorillo einst in Göttingen zu stande brachte (1806); nur belebt

1) Revue des deux mondes 1848. XXIV, 639 ff.
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[15/0035] Quellen und Literatur. Museum zu vereinigen (1819), das andere die Zerstreuung eines Theils seiner Gemälde seit den Kriegszeiten über Frankreich und England. Selbst auf das schon früher im Ausland vorhandene ist man erst seitdem aufmerk- sam geworden: manche Bilder in Frankreich und Italien, in den Schlös- sern des österreichischen Kaiserhauses, in der Dresdener Galerie u. a. waren früher theils unzugänglich oder liefen unter falschen Bezeichnun- gen, besonders des Rubens; nur der Pabst im Palast Pamfili hat stets den richtigen Namen behalten. Seitdem wissen von Velazquez auch noch andere als die Gelehrten: er ist in den Kunstkreisen von Paris und London eine wolbekannte und vielgenannte Persönlichkeit geworden, welche die ausübenden Künstler mindestens ebenso wie die Kenner, die Käufer und die Dokumenten- sucher beschäftigt. Voran ging England, Dank dem lebhaften Reiseverkehr und einer Vorliebe für die spanische Schule, die schon im vorigen Jahrhundert in Privatgalerien nicht fehlte. Richard Cumberland der Maler schildert uns noch den Eindruck der Velazquez im neuen Bourbonenpalast. Die erste lesbare Biographie verdankt man Sir William Stirling Maxwell, einem schottischen Baronet (geb. 1818, † 1878). Sie erschien in den „Annalen der Künstler Spaniens“, London 1848, S. 576—688, dann in besonderer Ausgabe. Stirling ist auch als Schriftsteller ein Edelmann im grossen Stil, nicht bloss darin, dass er seine Bücher nicht in den Handel gab. Sein Werk gehört zu denen, wo man sich immer in der besten Gesellschaft fühlt. Es wendet sich allerdings an den verwöhnten Geschmack des englischen Publicums, und liest sich wie ein Essay Macaulay’s, ist „boudoirfähig“; aber er citirt mit der Gewissenhaftigkeit eines geschulten Historikers. Auf kleinem Raum giebt er erstaunlich viel entlegene, immer interessante Daten und Curiosa: wie sie nur ein solcher Bibliophile (seine spanische Bibliothek war (und ist) ohne gleichen in Europa) zusammenbringen konnte; „eine Olla potrida, sagt Ford, stuffed with savouries, den nationalen Knoblauch nicht zu vergessen“. Doch war Sir William weit mehr Historiker, Heraldiker und Literator als Kenner, wiewol ein geschickter Zeichner. Er verweilt lieber bei graphischen Schilderungen grosser Staatsaktionen und Feste, als bei künstlerischen Verfahrungsweisen, die Prosper Mérimée unter seinen zahl- reichen Notizen vermisste 1). Diese Annalen, die er übrigens sehr jung verfasste, sind doch nur eine elegante Umschreibung jener Palomino und Bermudez, in englischer Sauce, im Grund nichts andres, als was der arme Fiorillo einst in Göttingen zu stande brachte (1806); nur belebt 1) Revue des deux mondes 1848. XXIV, 639 ff.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/35>, abgerufen am 24.04.2024.