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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Viertes Buch.
Buen Retiro.

Seit dem vierten Jahrzehnt des siebzehnten Jahrhunderts
kann man kaum spanische Geschichten lesen, ohne dem Namen
Buen Retiro zu begegnen. Die Chronik des Hofs und der
Stadt, die Werke der Dichter und Maler sind eng mit diesem
Lustort verknüpft. Als Calderon in der Johannisnacht 1636 hier
die grosse Comödie mit der Beschreibung der drei Welttheile
aufgeführt hatte, verlieh ihm Philipp IV das Ritterkreuz von
Santiago, "unter allgemeinem Beifall der Residenz"1). Hier hatte
sich das Treiben des burgundisch-spanischen Hofs, an dessen
Spitze ein zerstreuungsbedürftiger Fürst stand, den sein Mini-
ster nicht zu Athem kommen lassen wollte, eine den veränderten
Sitten entsprechende Bühne geschaffen. Die Phantasie der Inge-
nieure Toscana's und die Neuerungen seiner Musiker, das Genie der
spanischen Theaterdichter, die Gewandtheit der Madrider Maler,
die hier zu Decorateuren wurden, endlich die zum Kunstwerk
umgewandelte Natur, das alles wurde zu ephemeren, berauschen-
den Schöpfungen aufgeboten und vereinigt, nicht zum Heil der
einzelnen Künste. Die Schauspieler waren ausser denen von Fach,
zuweilen die Majestäten selbst und ihre Grossen, ja die Räthe
und Sekretäre. Auch die Historienmalerei hat zur Ausschmük-
kung der Gemächer mitgeholfen. Ihre Werke, wie die der
Dichtkunst am wenigsten kostend, waren wie diese das einzige von
höherem Werth -- fast das einzige auch was von Buen Retiro
übrig geblieben ist.

Noch am Schluss des Jahrhunderts sah man hier Werke
des Velazquez aus allen Zeiten seiner Künstlerlaufbahn: den
Wasserträger von Sevilla, die Schmiede des Vulcan, die grossen
Reiterbilder seines Königs und dessen Vaters mit ihren Ge-
mahlinnen, das des Kronprinzen; die Uebergabe von Breda; aus
seinen letzten Jahren auch die königlichen Frauengestalten,
welche dem Hof des alternden Monarchen Anmuth verliehen.

Seit Madrid Residenz war, befand sich sein beliebtester Spa-

1) Cosa que ha parecido mui bien a toda la corte, sagt der Chronist von
Madrid, Pinelo, zu diesem Jahre. Die Comödie war wahrscheinlich die von dem
Florentiner Serrano in seinem Brief vom 21. Juni beschriebene: Le fatiche e forze
di Ercole, wo drei Compagnien, zusammen vierzig Schauspieler mitwirkten, und die
Cosimo Lotti in Scene gesetzt hatte.
Viertes Buch.
Buen Retiro.

Seit dem vierten Jahrzehnt des siebzehnten Jahrhunderts
kann man kaum spanische Geschichten lesen, ohne dem Namen
Buen Retiro zu begegnen. Die Chronik des Hofs und der
Stadt, die Werke der Dichter und Maler sind eng mit diesem
Lustort verknüpft. Als Calderon in der Johannisnacht 1636 hier
die grosse Comödie mit der Beschreibung der drei Welttheile
aufgeführt hatte, verlieh ihm Philipp IV das Ritterkreuz von
Santiago, „unter allgemeinem Beifall der Residenz“1). Hier hatte
sich das Treiben des burgundisch-spanischen Hofs, an dessen
Spitze ein zerstreuungsbedürftiger Fürst stand, den sein Mini-
ster nicht zu Athem kommen lassen wollte, eine den veränderten
Sitten entsprechende Bühne geschaffen. Die Phantasie der Inge-
nieure Toscana’s und die Neuerungen seiner Musiker, das Genie der
spanischen Theaterdichter, die Gewandtheit der Madrider Maler,
die hier zu Decorateuren wurden, endlich die zum Kunstwerk
umgewandelte Natur, das alles wurde zu ephemeren, berauschen-
den Schöpfungen aufgeboten und vereinigt, nicht zum Heil der
einzelnen Künste. Die Schauspieler waren ausser denen von Fach,
zuweilen die Majestäten selbst und ihre Grossen, ja die Räthe
und Sekretäre. Auch die Historienmalerei hat zur Ausschmük-
kung der Gemächer mitgeholfen. Ihre Werke, wie die der
Dichtkunst am wenigsten kostend, waren wie diese das einzige von
höherem Werth — fast das einzige auch was von Buen Retiro
übrig geblieben ist.

Noch am Schluss des Jahrhunderts sah man hier Werke
des Velazquez aus allen Zeiten seiner Künstlerlaufbahn: den
Wasserträger von Sevilla, die Schmiede des Vulcan, die grossen
Reiterbilder seines Königs und dessen Vaters mit ihren Ge-
mahlinnen, das des Kronprinzen; die Uebergabe von Breda; aus
seinen letzten Jahren auch die königlichen Frauengestalten,
welche dem Hof des alternden Monarchen Anmuth verliehen.

Seit Madrid Residenz war, befand sich sein beliebtester Spa-

1) Cosa que ha parecido mui bien á toda la corte, sagt der Chronist von
Madrid, Pinelo, zu diesem Jahre. Die Comödie war wahrscheinlich die von dem
Florentiner Serrano in seinem Brief vom 21. Juni beschriebene: Le fatiche e forze
di Ercole, wo drei Compagnien, zusammen vierzig Schauspieler mitwirkten, und die
Cosimo Lotti in Scene gesetzt hatte.
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[334/0360] Viertes Buch. Buen Retiro. Seit dem vierten Jahrzehnt des siebzehnten Jahrhunderts kann man kaum spanische Geschichten lesen, ohne dem Namen Buen Retiro zu begegnen. Die Chronik des Hofs und der Stadt, die Werke der Dichter und Maler sind eng mit diesem Lustort verknüpft. Als Calderon in der Johannisnacht 1636 hier die grosse Comödie mit der Beschreibung der drei Welttheile aufgeführt hatte, verlieh ihm Philipp IV das Ritterkreuz von Santiago, „unter allgemeinem Beifall der Residenz“ 1). Hier hatte sich das Treiben des burgundisch-spanischen Hofs, an dessen Spitze ein zerstreuungsbedürftiger Fürst stand, den sein Mini- ster nicht zu Athem kommen lassen wollte, eine den veränderten Sitten entsprechende Bühne geschaffen. Die Phantasie der Inge- nieure Toscana’s und die Neuerungen seiner Musiker, das Genie der spanischen Theaterdichter, die Gewandtheit der Madrider Maler, die hier zu Decorateuren wurden, endlich die zum Kunstwerk umgewandelte Natur, das alles wurde zu ephemeren, berauschen- den Schöpfungen aufgeboten und vereinigt, nicht zum Heil der einzelnen Künste. Die Schauspieler waren ausser denen von Fach, zuweilen die Majestäten selbst und ihre Grossen, ja die Räthe und Sekretäre. Auch die Historienmalerei hat zur Ausschmük- kung der Gemächer mitgeholfen. Ihre Werke, wie die der Dichtkunst am wenigsten kostend, waren wie diese das einzige von höherem Werth — fast das einzige auch was von Buen Retiro übrig geblieben ist. Noch am Schluss des Jahrhunderts sah man hier Werke des Velazquez aus allen Zeiten seiner Künstlerlaufbahn: den Wasserträger von Sevilla, die Schmiede des Vulcan, die grossen Reiterbilder seines Königs und dessen Vaters mit ihren Ge- mahlinnen, das des Kronprinzen; die Uebergabe von Breda; aus seinen letzten Jahren auch die königlichen Frauengestalten, welche dem Hof des alternden Monarchen Anmuth verliehen. Seit Madrid Residenz war, befand sich sein beliebtester Spa- 1) Cosa que ha parecido mui bien á toda la corte, sagt der Chronist von Madrid, Pinelo, zu diesem Jahre. Die Comödie war wahrscheinlich die von dem Florentiner Serrano in seinem Brief vom 21. Juni beschriebene: Le fatiche e forze di Ercole, wo drei Compagnien, zusammen vierzig Schauspieler mitwirkten, und die Cosimo Lotti in Scene gesetzt hatte.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/360>, abgerufen am 29.03.2024.