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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Viertes Buch.
weglich, die Gliedmassen straff, sie feuert die Lebensgeister an
und erhebt das Herz; in ihr verliert man die Scheu vor Blut
und das Grauen vor dem Tode." Kein Wunder wenn im mittel-
alterlich spanischen Staat, dessen erstes Geschäft ruheloser Krieg
war, die Jägerei eine sehr ernste Angelegenheit, der Oberjäger-
meister (montero mayor) die erste Person am Hof war. Jagd-
werke gehören zu den frühsten und umfangreichsten Denkmalen
der kastilischen Sprache. Neuerdings will man ein Jagdwerk
Sancho des Weisen von Navarra Los paramientos de la caza vom
Jahre 1180 in Pamplona entdeckt haben1). Alphons XI liess ein
Libro de monteria (um 1342--50) zusammenstellen, das auch eine
Geographie der zahlreichen Reviere von Castilien, Leon und
Granada enthält. Kein Literaturzweig weist soviele vornehme
Namen auf, von dem Prinzen Juan Manuel, dem Enkel Ferdinand
des Heiligen bis auf Argote de Molina und den Dichter Moratin.

Die Spanier hielten ihre Jagd für die kühnste und gewand-
teste (la mas brava y agil de todas). Der Cardinalinfant Ferdi-
nand, nachdem er in der Lombardei gejagt, konnte von dort an
seinen königlichen Bruder schreiben: "Gegen die Jagd in Aran-
juez und im Pardo ist alles hier nur Spass" (burla). Als er
freilich die Jagd in Brabant mitgemacht, meint er: die Jagd ist
hier weit tapferer als in Spanien; ich weiss nicht warum, denn
da es dort so viel heisser ist, erwartet man das Gegentheil2).

Alle spanischen Fürsten waren tüchtige Jäger, sie mochten
gelehrt oder unwissend, Staatsmänner oder Simpel, Gewaltmen-
schen wie Pedro I oder Schwächlinge wie Carl II sein. Juan I
von Aragon hiess El cazador. Auch von Carl V und Philipp II hat
die Jagdchronik gefährliche Abenteuer mit den groben Sauen
aufbewahrt3).

Auch die Damen betheiligten sich lebhaft. Es giebt Bild-
nisse königlicher Damen mit Treibjagen im Hintergrund. Als
Bären im Revier des Mansanares gemeldet wurden, erschienen
sofort Isabella die Katholische und Ferdinand mit Lanzen und
Wurfspiessen bewehrt am Platz. Die Töchter Philipp II, Isabella
und Catalina erschlugen die Wölfe (welche damals in Netze ge-

1) Biblioteca Venatoria de Gutierrez de la Vega. Vol. II, p. VII f.
2) Briefe des Cardinalinfanten vom 22. Oktober 1633 und vom 8. November
1639 an Philipp IV.
3) Gonzalo Argote de Molina, Discurso sobre la Monteria. Vol. IV obigen
Werks, p. 39 f.

Viertes Buch.
weglich, die Gliedmassen straff, sie feuert die Lebensgeister an
und erhebt das Herz; in ihr verliert man die Scheu vor Blut
und das Grauen vor dem Tode.“ Kein Wunder wenn im mittel-
alterlich spanischen Staat, dessen erstes Geschäft ruheloser Krieg
war, die Jägerei eine sehr ernste Angelegenheit, der Oberjäger-
meister (montero mayor) die erste Person am Hof war. Jagd-
werke gehören zu den frühsten und umfangreichsten Denkmalen
der kastilischen Sprache. Neuerdings will man ein Jagdwerk
Sancho des Weisen von Navarra Los paramientos de la caza vom
Jahre 1180 in Pamplona entdeckt haben1). Alphons XI liess ein
Libro de monteria (um 1342—50) zusammenstellen, das auch eine
Geographie der zahlreichen Reviere von Castilien, Leon und
Granada enthält. Kein Literaturzweig weist soviele vornehme
Namen auf, von dem Prinzen Juan Manuel, dem Enkel Ferdinand
des Heiligen bis auf Argote de Molina und den Dichter Moratin.

Die Spanier hielten ihre Jagd für die kühnste und gewand-
teste (la mas brava y agil de todas). Der Cardinalinfant Ferdi-
nand, nachdem er in der Lombardei gejagt, konnte von dort an
seinen königlichen Bruder schreiben: „Gegen die Jagd in Aran-
juez und im Pardo ist alles hier nur Spass“ (burla). Als er
freilich die Jagd in Brabant mitgemacht, meint er: die Jagd ist
hier weit tapferer als in Spanien; ich weiss nicht warum, denn
da es dort so viel heisser ist, erwartet man das Gegentheil2).

Alle spanischen Fürsten waren tüchtige Jäger, sie mochten
gelehrt oder unwissend, Staatsmänner oder Simpel, Gewaltmen-
schen wie Pedro I oder Schwächlinge wie Carl II sein. Juan I
von Aragon hiess El cazador. Auch von Carl V und Philipp II hat
die Jagdchronik gefährliche Abenteuer mit den groben Sauen
aufbewahrt3).

Auch die Damen betheiligten sich lebhaft. Es giebt Bild-
nisse königlicher Damen mit Treibjagen im Hintergrund. Als
Bären im Revier des Mansanares gemeldet wurden, erschienen
sofort Isabella die Katholische und Ferdinand mit Lanzen und
Wurfspiessen bewehrt am Platz. Die Töchter Philipp II, Isabella
und Catalina erschlugen die Wölfe (welche damals in Netze ge-

1) Biblioteca Venatoria de Gutierrez de la Vega. Vol. II, p. VII f.
2) Briefe des Cardinalinfanten vom 22. Oktober 1633 und vom 8. November
1639 an Philipp IV.
3) Gonzalo Argote de Molina, Discurso sobre la Montería. Vol. IV obigen
Werks, p. 39 f.
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[372/0400] Viertes Buch. weglich, die Gliedmassen straff, sie feuert die Lebensgeister an und erhebt das Herz; in ihr verliert man die Scheu vor Blut und das Grauen vor dem Tode.“ Kein Wunder wenn im mittel- alterlich spanischen Staat, dessen erstes Geschäft ruheloser Krieg war, die Jägerei eine sehr ernste Angelegenheit, der Oberjäger- meister (montero mayor) die erste Person am Hof war. Jagd- werke gehören zu den frühsten und umfangreichsten Denkmalen der kastilischen Sprache. Neuerdings will man ein Jagdwerk Sancho des Weisen von Navarra Los paramientos de la caza vom Jahre 1180 in Pamplona entdeckt haben 1). Alphons XI liess ein Libro de monteria (um 1342—50) zusammenstellen, das auch eine Geographie der zahlreichen Reviere von Castilien, Leon und Granada enthält. Kein Literaturzweig weist soviele vornehme Namen auf, von dem Prinzen Juan Manuel, dem Enkel Ferdinand des Heiligen bis auf Argote de Molina und den Dichter Moratin. Die Spanier hielten ihre Jagd für die kühnste und gewand- teste (la mas brava y agil de todas). Der Cardinalinfant Ferdi- nand, nachdem er in der Lombardei gejagt, konnte von dort an seinen königlichen Bruder schreiben: „Gegen die Jagd in Aran- juez und im Pardo ist alles hier nur Spass“ (burla). Als er freilich die Jagd in Brabant mitgemacht, meint er: die Jagd ist hier weit tapferer als in Spanien; ich weiss nicht warum, denn da es dort so viel heisser ist, erwartet man das Gegentheil 2). Alle spanischen Fürsten waren tüchtige Jäger, sie mochten gelehrt oder unwissend, Staatsmänner oder Simpel, Gewaltmen- schen wie Pedro I oder Schwächlinge wie Carl II sein. Juan I von Aragon hiess El cazador. Auch von Carl V und Philipp II hat die Jagdchronik gefährliche Abenteuer mit den groben Sauen aufbewahrt 3). Auch die Damen betheiligten sich lebhaft. Es giebt Bild- nisse königlicher Damen mit Treibjagen im Hintergrund. Als Bären im Revier des Mansanares gemeldet wurden, erschienen sofort Isabella die Katholische und Ferdinand mit Lanzen und Wurfspiessen bewehrt am Platz. Die Töchter Philipp II, Isabella und Catalina erschlugen die Wölfe (welche damals in Netze ge- 1) Biblioteca Venatoria de Gutierrez de la Vega. Vol. II, p. VII f. 2) Briefe des Cardinalinfanten vom 22. Oktober 1633 und vom 8. November 1639 an Philipp IV. 3) Gonzalo Argote de Molina, Discurso sobre la Montería. Vol. IV obigen Werks, p. 39 f.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/400>, abgerufen am 28.03.2024.