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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Viertes Buch.
Nuntius Panciroli gekommen war, und unser alter Freund Alonso
Cano, der, wie bereits erzählt, wegen eines blutigen Handels im
Jahre 1637 hatte das Weite suchen müssen. In beider Lebens-
buch geben solche Mordgeschichten die Veranlassungen der Sce-
nenwechsel.

Alonso war von seinem Schulkameraden Velazquez, den er
laut eigenem Zeugniss seit 1614 kannte, wol aufgenommen und dem
Minister empfohlen worden. Er verschaffte ihm gothische Königs-
figuren für den alten Comödien-, auch Bildnisssaal genannt, sowie
Gemälde für die von Philipp IV erbaute Hauptkirche S. Isidro.
Er wurde pintor del rey, und sogar Zeichenlehrer des Kronprin-
zen. Madrid wurde also der zweite, mittlere Schauplatz seiner
Thätigkeit, wie Sevilla der erste gewesen, und Granada der letzte
sein sollte. Sein Credit bei Hofe war gross 1).

Keiner jener Maler gehörte in dem Maasse wie Cano in die
Hauptstadt; nur hier fand er Elnbogenraum für sein Treiben,
Beschäftigung für seinen unruhigen, der Anregung bedürftigen
Geist. Er schien aus einem jener Mantel- und Degenstücke zu
kommen, deren Cavaliere, wenn sie aus dem Hause gehn wollen,
erst ihr Testament machen müssen. Bei dem allen war er sehr
devot, er erscheint bald als Majordomus der Bruderschaft U. L. F.
der Schmerzen; wenn er einem penitenciado des hl. Uffiz begeg-
nete, wich er der Berührung aus, und schleuderte seinen Mantel
zu Boden, wenn letzterer eine solche Befleckung davongetragen
hatte 2). Nur der Künstlerstolz setzte seiner Devotion Schranken:
er verfiel in hundert Dukaten Strafe, weil er die Procession der
heiligen Woche nicht mitmachen wollte, wo die Maler mit den
alguaziles de corte zu gehn hatten. Dabei war er noch immer
galant, und von unbegrenzter Liebenswürdigkeit gegen Freunde
und Schüler, denen er gelegentlich seine Entwürfe überliess und
ihre Bilder vollendete.

Auch die national-standesgemässe Faulheit fehlte diesem
Spiegel der huidalguia nicht. Hätte er eine mässige Rente ge-

1) In einem Gutachten des Architekten Juan Gomez de Mora bei Gelegenheit
einer Bewerbung, wird er genannt "pintor grande en esta facultad; traca para todo
genero de retablos y otras obras de ensamblage y adornos con grande primor."
(Simancas, Junta de obras y bosques, 26. August 1643.)
2) Mr. Charles Blanc in der Histoire des peintres, der in passivum und
activum nicht sattelfest scheint, verwechselt penitenciado mit penitenciario, und
macht aus Cano einen grossen Hasser des heil. Uffiz, zur Erbauung seiner Leser.

Viertes Buch.
Nuntius Panciroli gekommen war, und unser alter Freund Alonso
Cano, der, wie bereits erzählt, wegen eines blutigen Handels im
Jahre 1637 hatte das Weite suchen müssen. In beider Lebens-
buch geben solche Mordgeschichten die Veranlassungen der Sce-
nenwechsel.

Alonso war von seinem Schulkameraden Velazquez, den er
laut eigenem Zeugniss seit 1614 kannte, wol aufgenommen und dem
Minister empfohlen worden. Er verschaffte ihm gothische Königs-
figuren für den alten Comödien-, auch Bildnisssaal genannt, sowie
Gemälde für die von Philipp IV erbaute Hauptkirche S. Isidro.
Er wurde pintor del rey, und sogar Zeichenlehrer des Kronprin-
zen. Madrid wurde also der zweite, mittlere Schauplatz seiner
Thätigkeit, wie Sevilla der erste gewesen, und Granada der letzte
sein sollte. Sein Credit bei Hofe war gross 1).

Keiner jener Maler gehörte in dem Maasse wie Cano in die
Hauptstadt; nur hier fand er Elnbogenraum für sein Treiben,
Beschäftigung für seinen unruhigen, der Anregung bedürftigen
Geist. Er schien aus einem jener Mantel- und Degenstücke zu
kommen, deren Cavaliere, wenn sie aus dem Hause gehn wollen,
erst ihr Testament machen müssen. Bei dem allen war er sehr
devot, er erscheint bald als Majordomus der Bruderschaft U. L. F.
der Schmerzen; wenn er einem penitenciado des hl. Uffiz begeg-
nete, wich er der Berührung aus, und schleuderte seinen Mantel
zu Boden, wenn letzterer eine solche Befleckung davongetragen
hatte 2). Nur der Künstlerstolz setzte seiner Devotion Schranken:
er verfiel in hundert Dukaten Strafe, weil er die Procession der
heiligen Woche nicht mitmachen wollte, wo die Maler mit den
alguaziles de corte zu gehn hatten. Dabei war er noch immer
galant, und von unbegrenzter Liebenswürdigkeit gegen Freunde
und Schüler, denen er gelegentlich seine Entwürfe überliess und
ihre Bilder vollendete.

Auch die national-standesgemässe Faulheit fehlte diesem
Spiegel der huidalguía nicht. Hätte er eine mässige Rente ge-

1) In einem Gutachten des Architekten Juan Gomez de Mora bei Gelegenheit
einer Bewerbung, wird er genannt „pintor grande en esta facultad; traça para todo
genero de retablos y otras obras de ensamblage y adornos con grande primor.“
(Simancas, Junta de obras y bosques, 26. August 1643.)
2) Mr. Charles Blanc in der Histoire des peintres, der in passivum und
activum nicht sattelfest scheint, verwechselt penitenciado mit penitenciario, und
macht aus Cano einen grossen Hasser des heil. Uffiz, zur Erbauung seiner Leser.
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[402/0430] Viertes Buch. Nuntius Panciroli gekommen war, und unser alter Freund Alonso Cano, der, wie bereits erzählt, wegen eines blutigen Handels im Jahre 1637 hatte das Weite suchen müssen. In beider Lebens- buch geben solche Mordgeschichten die Veranlassungen der Sce- nenwechsel. Alonso war von seinem Schulkameraden Velazquez, den er laut eigenem Zeugniss seit 1614 kannte, wol aufgenommen und dem Minister empfohlen worden. Er verschaffte ihm gothische Königs- figuren für den alten Comödien-, auch Bildnisssaal genannt, sowie Gemälde für die von Philipp IV erbaute Hauptkirche S. Isidro. Er wurde pintor del rey, und sogar Zeichenlehrer des Kronprin- zen. Madrid wurde also der zweite, mittlere Schauplatz seiner Thätigkeit, wie Sevilla der erste gewesen, und Granada der letzte sein sollte. Sein Credit bei Hofe war gross 1). Keiner jener Maler gehörte in dem Maasse wie Cano in die Hauptstadt; nur hier fand er Elnbogenraum für sein Treiben, Beschäftigung für seinen unruhigen, der Anregung bedürftigen Geist. Er schien aus einem jener Mantel- und Degenstücke zu kommen, deren Cavaliere, wenn sie aus dem Hause gehn wollen, erst ihr Testament machen müssen. Bei dem allen war er sehr devot, er erscheint bald als Majordomus der Bruderschaft U. L. F. der Schmerzen; wenn er einem penitenciado des hl. Uffiz begeg- nete, wich er der Berührung aus, und schleuderte seinen Mantel zu Boden, wenn letzterer eine solche Befleckung davongetragen hatte 2). Nur der Künstlerstolz setzte seiner Devotion Schranken: er verfiel in hundert Dukaten Strafe, weil er die Procession der heiligen Woche nicht mitmachen wollte, wo die Maler mit den alguaziles de corte zu gehn hatten. Dabei war er noch immer galant, und von unbegrenzter Liebenswürdigkeit gegen Freunde und Schüler, denen er gelegentlich seine Entwürfe überliess und ihre Bilder vollendete. Auch die national-standesgemässe Faulheit fehlte diesem Spiegel der huidalguía nicht. Hätte er eine mässige Rente ge- 1) In einem Gutachten des Architekten Juan Gomez de Mora bei Gelegenheit einer Bewerbung, wird er genannt „pintor grande en esta facultad; traça para todo genero de retablos y otras obras de ensamblage y adornos con grande primor.“ (Simancas, Junta de obras y bosques, 26. August 1643.) 2) Mr. Charles Blanc in der Histoire des peintres, der in passivum und activum nicht sattelfest scheint, verwechselt penitenciado mit penitenciario, und macht aus Cano einen grossen Hasser des heil. Uffiz, zur Erbauung seiner Leser.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/430>, abgerufen am 28.03.2024.