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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Viertes Buch.

Man liest, jedoch nicht bei den alten Biographen, er habe auch
nach Italien gewollt; Velazquez habe ihm auch hierzu seine Un-
terstützung angeboten. Nun, für ihn wäre es wol nichts so ausser-
ordentliches gewesen, auch diese Reise zu wagen. Wo die In-
dienfahrer gingen und kamen, was waren da Civitavecchia und
Neapel. Aber früh hinein getrieben ins Schaffen, konnte er je
länger je weniger bloss geniessend und studirend den Pinsel
führen. Zwei Jahre hatte er es ausgehalten, dann war er von
dieser seiner ersten und letzten Reise nach der Heimath zurück-
gekehrt. Die Kritiker Mengs'scher Confession sagten, dass ihm
die italienische Reise allein gefehlt habe, um der spanische
Raphael zu werden. Die Geschichte lässt eine andre Lehre
durchblicken. Jene Vargas, Cespedes, die sich dort ihren welt-
bürgerlichen Stil geholt, die Welt hat sie nie bemerken wollen.
Murillo, dem nur in seiner Provinz wol war, der nur für seine
Nachbarn arbeitete, aus ihnen seine Ideale holte, der am
wenigsten nichtspanisches in sich aufnahm, er ist der interna-
tionalste Maler seiner Nation geworden.

Diess ist der Maler, der die finstern Ringmauern ihrer
Klöster und die dämmrigen Pfeilerwälder der Kirchen schon
vor fast zwei Jahrhunderten durchbrochen hat und seinen Umzug
durch die Welt gehalten. Denn er hat jedenfalls die Kunst
besessen sich die Gunst aller zu gewinnen, die Gabe der
Sprache, welche allen Nationen und Zeiten, allen Ständen und
selbst Glaubenssekten verständlich klingt. Er entdeckte in den
Gestalten seines Volks zuerst das was dauernd und überall ge-
liebt werden kann; er nahm dem Wunder das Widernatürliche
und der Schwärmerei das Krankhafte; unter seiner anmuthigen
Hand wurde aus den Gesichten, den Verzückungen und Mönchs-
grillen etwas das wie allgemein menschlich aussieht. In einer Zeit
der Lüge und Verschrobenheit ist er stets wahr geblieben; in
einem Jahrhundert verschnörkelten Ungeschmacks hat er uns
Gestalten reiner ungekünstelter Natur gezeigt, Bewohner glück-
licher arkadischer Gefilde, die uns von seinem Hispanien ein ganz
andres Bild geben, als das den traurigen Annalen seiner Geschichte
entnommene.



Viertes Buch.

Man liest, jedoch nicht bei den alten Biographen, er habe auch
nach Italien gewollt; Velazquez habe ihm auch hierzu seine Un-
terstützung angeboten. Nun, für ihn wäre es wol nichts so ausser-
ordentliches gewesen, auch diese Reise zu wagen. Wo die In-
dienfahrer gingen und kamen, was waren da Civitavecchia und
Neapel. Aber früh hinein getrieben ins Schaffen, konnte er je
länger je weniger bloss geniessend und studirend den Pinsel
führen. Zwei Jahre hatte er es ausgehalten, dann war er von
dieser seiner ersten und letzten Reise nach der Heimath zurück-
gekehrt. Die Kritiker Mengs’scher Confession sagten, dass ihm
die italienische Reise allein gefehlt habe, um der spanische
Raphael zu werden. Die Geschichte lässt eine andre Lehre
durchblicken. Jene Vargas, Céspedes, die sich dort ihren welt-
bürgerlichen Stil geholt, die Welt hat sie nie bemerken wollen.
Murillo, dem nur in seiner Provinz wol war, der nur für seine
Nachbarn arbeitete, aus ihnen seine Ideale holte, der am
wenigsten nichtspanisches in sich aufnahm, er ist der interna-
tionalste Maler seiner Nation geworden.

Diess ist der Maler, der die finstern Ringmauern ihrer
Klöster und die dämmrigen Pfeilerwälder der Kirchen schon
vor fast zwei Jahrhunderten durchbrochen hat und seinen Umzug
durch die Welt gehalten. Denn er hat jedenfalls die Kunst
besessen sich die Gunst aller zu gewinnen, die Gabe der
Sprache, welche allen Nationen und Zeiten, allen Ständen und
selbst Glaubenssekten verständlich klingt. Er entdeckte in den
Gestalten seines Volks zuerst das was dauernd und überall ge-
liebt werden kann; er nahm dem Wunder das Widernatürliche
und der Schwärmerei das Krankhafte; unter seiner anmuthigen
Hand wurde aus den Gesichten, den Verzückungen und Mönchs-
grillen etwas das wie allgemein menschlich aussieht. In einer Zeit
der Lüge und Verschrobenheit ist er stets wahr geblieben; in
einem Jahrhundert verschnörkelten Ungeschmacks hat er uns
Gestalten reiner ungekünstelter Natur gezeigt, Bewohner glück-
licher arkadischer Gefilde, die uns von seinem Hispanien ein ganz
andres Bild geben, als das den traurigen Annalen seiner Geschichte
entnommene.



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[414/0442] Viertes Buch. Man liest, jedoch nicht bei den alten Biographen, er habe auch nach Italien gewollt; Velazquez habe ihm auch hierzu seine Un- terstützung angeboten. Nun, für ihn wäre es wol nichts so ausser- ordentliches gewesen, auch diese Reise zu wagen. Wo die In- dienfahrer gingen und kamen, was waren da Civitavecchia und Neapel. Aber früh hinein getrieben ins Schaffen, konnte er je länger je weniger bloss geniessend und studirend den Pinsel führen. Zwei Jahre hatte er es ausgehalten, dann war er von dieser seiner ersten und letzten Reise nach der Heimath zurück- gekehrt. Die Kritiker Mengs’scher Confession sagten, dass ihm die italienische Reise allein gefehlt habe, um der spanische Raphael zu werden. Die Geschichte lässt eine andre Lehre durchblicken. Jene Vargas, Céspedes, die sich dort ihren welt- bürgerlichen Stil geholt, die Welt hat sie nie bemerken wollen. Murillo, dem nur in seiner Provinz wol war, der nur für seine Nachbarn arbeitete, aus ihnen seine Ideale holte, der am wenigsten nichtspanisches in sich aufnahm, er ist der interna- tionalste Maler seiner Nation geworden. Diess ist der Maler, der die finstern Ringmauern ihrer Klöster und die dämmrigen Pfeilerwälder der Kirchen schon vor fast zwei Jahrhunderten durchbrochen hat und seinen Umzug durch die Welt gehalten. Denn er hat jedenfalls die Kunst besessen sich die Gunst aller zu gewinnen, die Gabe der Sprache, welche allen Nationen und Zeiten, allen Ständen und selbst Glaubenssekten verständlich klingt. Er entdeckte in den Gestalten seines Volks zuerst das was dauernd und überall ge- liebt werden kann; er nahm dem Wunder das Widernatürliche und der Schwärmerei das Krankhafte; unter seiner anmuthigen Hand wurde aus den Gesichten, den Verzückungen und Mönchs- grillen etwas das wie allgemein menschlich aussieht. In einer Zeit der Lüge und Verschrobenheit ist er stets wahr geblieben; in einem Jahrhundert verschnörkelten Ungeschmacks hat er uns Gestalten reiner ungekünstelter Natur gezeigt, Bewohner glück- licher arkadischer Gefilde, die uns von seinem Hispanien ein ganz andres Bild geben, als das den traurigen Annalen seiner Geschichte entnommene.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/442>, abgerufen am 25.04.2024.