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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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wurde, und die Silberflotten erst hier, später in San Lucar und
Cadiz aus- und einliefen. Hier wurden die Wimpel und Stan-
darten gemalt, welche Spaniens Schild über die Weltmeere tru-
gen. Die Casa de Contratacion hatte die Gerichtsbarkeit über
den Verkehr mit den Colonien, und die grossen Kaufherren das
Monopol des überseeischen Handels. Sie beherrschten die alten
Handelsstädte der Mittelmeerländer und selbst des Nordens,
deren Kaufleute ihre Waaren nach diesem Hauptstapelplatz
der damals weltbeherrschenden Halbinsel brachten. "Sevilla,
sagt Thomas Moncada, ist die Hauptstadt aller Kaufleute der
Welt: vor kurzem noch lag Andalusien am Ende der Erde, jetzt
ist es ihr Mittelpunkt geworden"1). Die Einkünfte und Zollein-
nahmen, der Werth des Besitzes, die Volkszahl stieg. Dieser Han-
del hatte ganz neue Bevölkerungsschichten herangezogen. Es
gab nun drei scharf unterschiedene Klassen: die Eingeborenen,
Nachkommen der Colonisten und der Reste der alten Einwohner,
Adel und Volk, gemessen, tapfer, begütert, von ihren Einkünften
oder ihrer Hände Arbeit lebend, die nicht ausser Land gingen.
Die fremden Geschäftsleute: von ihren Kolonien sind noch die
Strassennamen übrig: deutsche, vlämische, französische, italieni-
sche. Endlich die Müssiggänger, die Fracasso's, die Spieler,
aus denen gelegentlich Banden zum Kampfe gegen die Moris-
ken geformt wurden. Das alles fand kaum Platz: "Hier ist selbst
der Strom bewohnt, wie in China".

Eine allmähliche Umwandlung des Lebens und der Gestalt
der Stadt folgte. Die Schätze Indiens, sagt Zunniga2), zogen den
Handel aller Völker an, und brachten eine Ueberfülle alles dessen
was in der Welt köstlich heisst, in Kunst und Natur". Gerade die
Regierung Philipp III, in welche die Jugend des Velazquez fällt,
bezeichnet der Chronist als die Epoche dieser Veränderung, es
war die Zeit der grossen Stiftungen, der Hochfluth des Unter-
nehmungsgeistes. "Bald, sagt er, begann sich in allen Stücken
eine andere Welt zu zeigen". Das waren seine halcyonischen
Tage!

Das Reich erblickte in Sevilla, wo, wie Lope sagt, "zweimal
alljährlich der gesammte Unterhalt Spaniens landet3)," seine allge-
meine Hülfe (socorro) und die gemeinsame Hoffnung seiner Städte4).

1) Weiss, L'Espagne I. 24.
2) Zunniga, Anales de Sevilla, zum Jahr 1564 und 1599.
3) Lope, el peregrino de su patria. Obras sueltas V, 320.
4) Jornada que S. M. hizo a la Andaluzia 1624.

Sevilla.
wurde, und die Silberflotten erst hier, später in San Lucar und
Cadiz aus- und einliefen. Hier wurden die Wimpel und Stan-
darten gemalt, welche Spaniens Schild über die Weltmeere tru-
gen. Die Casa de Contratacion hatte die Gerichtsbarkeit über
den Verkehr mit den Colonien, und die grossen Kaufherren das
Monopol des überseeischen Handels. Sie beherrschten die alten
Handelsstädte der Mittelmeerländer und selbst des Nordens,
deren Kaufleute ihre Waaren nach diesem Hauptstapelplatz
der damals weltbeherrschenden Halbinsel brachten. „Sevilla,
sagt Thomas Moncada, ist die Hauptstadt aller Kaufleute der
Welt: vor kurzem noch lag Andalusien am Ende der Erde, jetzt
ist es ihr Mittelpunkt geworden“1). Die Einkünfte und Zollein-
nahmen, der Werth des Besitzes, die Volkszahl stieg. Dieser Han-
del hatte ganz neue Bevölkerungsschichten herangezogen. Es
gab nun drei scharf unterschiedene Klassen: die Eingeborenen,
Nachkommen der Colonisten und der Reste der alten Einwohner,
Adel und Volk, gemessen, tapfer, begütert, von ihren Einkünften
oder ihrer Hände Arbeit lebend, die nicht ausser Land gingen.
Die fremden Geschäftsleute: von ihren Kolonien sind noch die
Strassennamen übrig: deutsche, vlämische, französische, italieni-
sche. Endlich die Müssiggänger, die Fracasso’s, die Spieler,
aus denen gelegentlich Banden zum Kampfe gegen die Moris-
ken geformt wurden. Das alles fand kaum Platz: „Hier ist selbst
der Strom bewohnt, wie in China“.

Eine allmähliche Umwandlung des Lebens und der Gestalt
der Stadt folgte. Die Schätze Indiens, sagt Zúñiga2), zogen den
Handel aller Völker an, und brachten eine Ueberfülle alles dessen
was in der Welt köstlich heisst, in Kunst und Natur“. Gerade die
Regierung Philipp III, in welche die Jugend des Velazquez fällt,
bezeichnet der Chronist als die Epoche dieser Veränderung, es
war die Zeit der grossen Stiftungen, der Hochfluth des Unter-
nehmungsgeistes. „Bald, sagt er, begann sich in allen Stücken
eine andere Welt zu zeigen“. Das waren seine halcyonischen
Tage!

Das Reich erblickte in Sevilla, wo, wie Lope sagt, „zweimal
alljährlich der gesammte Unterhalt Spaniens landet3),“ seine allge-
meine Hülfe (socorro) und die gemeinsame Hoffnung seiner Städte4).

1) Weiss, L’Espagne I. 24.
2) Zúñiga, Anales de Sevilla, zum Jahr 1564 und 1599.
3) Lope, el peregrino de su patria. Obras sueltas V, 320.
4) Jornada que S. M. hizo á la Andaluzia 1624.
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[25/0045] Sevilla. wurde, und die Silberflotten erst hier, später in San Lucar und Cadiz aus- und einliefen. Hier wurden die Wimpel und Stan- darten gemalt, welche Spaniens Schild über die Weltmeere tru- gen. Die Casa de Contratacion hatte die Gerichtsbarkeit über den Verkehr mit den Colonien, und die grossen Kaufherren das Monopol des überseeischen Handels. Sie beherrschten die alten Handelsstädte der Mittelmeerländer und selbst des Nordens, deren Kaufleute ihre Waaren nach diesem Hauptstapelplatz der damals weltbeherrschenden Halbinsel brachten. „Sevilla, sagt Thomas Moncada, ist die Hauptstadt aller Kaufleute der Welt: vor kurzem noch lag Andalusien am Ende der Erde, jetzt ist es ihr Mittelpunkt geworden“ 1). Die Einkünfte und Zollein- nahmen, der Werth des Besitzes, die Volkszahl stieg. Dieser Han- del hatte ganz neue Bevölkerungsschichten herangezogen. Es gab nun drei scharf unterschiedene Klassen: die Eingeborenen, Nachkommen der Colonisten und der Reste der alten Einwohner, Adel und Volk, gemessen, tapfer, begütert, von ihren Einkünften oder ihrer Hände Arbeit lebend, die nicht ausser Land gingen. Die fremden Geschäftsleute: von ihren Kolonien sind noch die Strassennamen übrig: deutsche, vlämische, französische, italieni- sche. Endlich die Müssiggänger, die Fracasso’s, die Spieler, aus denen gelegentlich Banden zum Kampfe gegen die Moris- ken geformt wurden. Das alles fand kaum Platz: „Hier ist selbst der Strom bewohnt, wie in China“. Eine allmähliche Umwandlung des Lebens und der Gestalt der Stadt folgte. Die Schätze Indiens, sagt Zúñiga 2), zogen den Handel aller Völker an, und brachten eine Ueberfülle alles dessen was in der Welt köstlich heisst, in Kunst und Natur“. Gerade die Regierung Philipp III, in welche die Jugend des Velazquez fällt, bezeichnet der Chronist als die Epoche dieser Veränderung, es war die Zeit der grossen Stiftungen, der Hochfluth des Unter- nehmungsgeistes. „Bald, sagt er, begann sich in allen Stücken eine andere Welt zu zeigen“. Das waren seine halcyonischen Tage! Das Reich erblickte in Sevilla, wo, wie Lope sagt, „zweimal alljährlich der gesammte Unterhalt Spaniens landet 3),“ seine allge- meine Hülfe (socorro) und die gemeinsame Hoffnung seiner Städte 4). 1) Weiss, L’Espagne I. 24. 2) Zúñiga, Anales de Sevilla, zum Jahr 1564 und 1599. 3) Lope, el peregrino de su patria. Obras sueltas V, 320. 4) Jornada que S. M. hizo á la Andaluzia 1624.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/45>, abgerufen am 25.04.2024.