Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Erstes Buch.
von Empfindungen und Literaturformen innerhalb der uner-
schütterten katholischen Ueberlieferung. Mit jener Verkennung,
die jede Zeit für ihre nächste Vorgängerin hat, ging man oft an
den früheren dichterischen und künstlerischen Schöpfungen vorbei,
auch an dem was heute für uns allein den Zauber von Sevilla
ausmacht, vertiefte sich in die Erinnerung altrömischer Tage, und
vergoss poetische Thränen über deren Untergang. Rodrigo Caro
(aus Utrera, 1573 + 1647), der Geschichtsschreiber Sevillas und
seiner varones ilustres, lateinischer Epigraphiker, ist der Verfasser
einer Ode auf die Ruinen von Italica (Altsevilla), die Francisco
de Rioja nur umarbeitete und in einigen der besten Strophen
kopirte. Sie trauerten in der Todtenstille des verfallenen Amphi-
theaters und träumten von dem einstigen Beifallsbrausen des
"grossen Volkes", welches die Thaten der Fechtersclaven be-
jubelte! klagten über die "stolzen Statuen, welche die gewalt-
thätige Nemesis herabstürzte". Ein Sonett desselben Inhalts
dichtete Pedro de Quiros, und Juan de Arguijo besang die
Ruinen Carthago's, Troja's und den Tod Cicero's . . . .

Der gefeiertste Dichter Sevillas, Hernando de Herrera, el
divino
(1534 + 1597) folgte ganz den Pfaden Boscan's und Gar-
cilaso's, ihm zufolge des grössten spanischen Dichters, ausser dem,
nach Lomas de Cantoral (1578), Spanien kaum einen Dichter des
Namens werth hervorgebracht haben sollte. Nach Pacheco war
Herrera der erste, der die Sprache zu ihrer Höhe erhob. Der
Beneficiat von S. Andres fand auch seine Laura in Donna Leonor
de Milan, Gräfin von Gelvez, "welche, in Anbetracht dass er ein
so erhabener Dichter war, diese Huldigungen mit Gutheissen
ihres Gemahls gestattete". Ihm galt das Sonett als die schönste
dichterische Form spanischer wie italienischer Sprache.

Welche Titel! Gigantomachie (Herrera), Hercules, Psyche,
zwölf Bücher in rima suelta, Tod des Orpheus in Octaven (letzterer
von Malara), derselbe Gegenstand von Jauregui. In jenem Her-
kules in achtundvierzig Gesängen und in Octaven, dem Don
Carlos gewidmet, war "alles treffliche versammelt, was er in
griechischen und römischen Dichtern gefunden".

Pedro de Mexia (+ 1555), der einst in Salamanca die ge-
fürchtetste Klinge schlug, dem Carl V in Augsburg (1548) die
1)

1) Die meisten der hier zusammengestellten Züge, soweit sie nicht schon be-
kannt waren, sind dem biographischen Bildnisswerk des Pacheco entlehnt, der diese
Männer grösstentheils persönlich kannte: wir befinden uns also in der geistigen
Atmosphäre der Jugendzeit unseres Malers.

Erstes Buch.
von Empfindungen und Literaturformen innerhalb der uner-
schütterten katholischen Ueberlieferung. Mit jener Verkennung,
die jede Zeit für ihre nächste Vorgängerin hat, ging man oft an
den früheren dichterischen und künstlerischen Schöpfungen vorbei,
auch an dem was heute für uns allein den Zauber von Sevilla
ausmacht, vertiefte sich in die Erinnerung altrömischer Tage, und
vergoss poetische Thränen über deren Untergang. Rodrigo Caro
(aus Utrera, 1573 † 1647), der Geschichtsschreiber Sevillas und
seiner varones ilustres, lateinischer Epigraphiker, ist der Verfasser
einer Ode auf die Ruinen von Italica (Altsevilla), die Francisco
de Rioja nur umarbeitete und in einigen der besten Strophen
kopirte. Sie trauerten in der Todtenstille des verfallenen Amphi-
theaters und träumten von dem einstigen Beifallsbrausen des
„grossen Volkes“, welches die Thaten der Fechtersclaven be-
jubelte! klagten über die „stolzen Statuen, welche die gewalt-
thätige Nemesis herabstürzte“. Ein Sonett desselben Inhalts
dichtete Pedro de Quirós, und Juan de Arguijo besang die
Ruinen Carthago’s, Troja’s und den Tod Cicero’s . . . .

Der gefeiertste Dichter Sevillas, Hernando de Herrera, el
divino
(1534 † 1597) folgte ganz den Pfaden Boscan’s und Gar-
cilaso’s, ihm zufolge des grössten spanischen Dichters, ausser dem,
nach Lomas de Cantorál (1578), Spanien kaum einen Dichter des
Namens werth hervorgebracht haben sollte. Nach Pacheco war
Herrera der erste, der die Sprache zu ihrer Höhe erhob. Der
Beneficiat von S. Andrés fand auch seine Laura in Doña Leonor
de Milan, Gräfin von Gelvez, „welche, in Anbetracht dass er ein
so erhabener Dichter war, diese Huldigungen mit Gutheissen
ihres Gemahls gestattete“. Ihm galt das Sonett als die schönste
dichterische Form spanischer wie italienischer Sprache.

Welche Titel! Gigantomachie (Herrera), Hercules, Psyche,
zwölf Bücher in rima suelta, Tod des Orpheus in Octaven (letzterer
von Malara), derselbe Gegenstand von Jauregui. In jenem Her-
kules in achtundvierzig Gesängen und in Octaven, dem Don
Carlos gewidmet, war „alles treffliche versammelt, was er in
griechischen und römischen Dichtern gefunden“.

Pedro de Mexia († 1555), der einst in Salamanca die ge-
fürchtetste Klinge schlug, dem Carl V in Augsburg (1548) die
1)

1) Die meisten der hier zusammengestellten Züge, soweit sie nicht schon be-
kannt waren, sind dem biographischen Bildnisswerk des Pacheco entlehnt, der diese
Männer grösstentheils persönlich kannte: wir befinden uns also in der geistigen
Atmosphäre der Jugendzeit unseres Malers.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0050" n="30"/><fw place="top" type="header">Erstes Buch.</fw><lb/>
von Empfindungen und Literaturformen innerhalb der uner-<lb/>
schütterten katholischen Ueberlieferung. Mit jener Verkennung,<lb/>
die jede Zeit für ihre nächste Vorgängerin hat, ging man oft an<lb/>
den früheren dichterischen und künstlerischen Schöpfungen vorbei,<lb/>
auch an dem was heute für uns allein den Zauber von Sevilla<lb/>
ausmacht, vertiefte sich in die Erinnerung altrömischer Tage, und<lb/>
vergoss poetische Thränen über deren Untergang. Rodrigo Caro<lb/>
(aus Utrera, 1573 &#x2020; 1647), der Geschichtsschreiber Sevillas und<lb/>
seiner <hi rendition="#i">varones ilustres</hi>, lateinischer Epigraphiker, ist der Verfasser<lb/>
einer Ode auf die Ruinen von Italica (Altsevilla), die Francisco<lb/>
de Rioja nur umarbeitete und in einigen der besten Strophen<lb/>
kopirte. Sie trauerten in der Todtenstille des verfallenen Amphi-<lb/>
theaters und träumten von dem einstigen Beifallsbrausen des<lb/>
&#x201E;grossen Volkes&#x201C;, welches die Thaten der Fechtersclaven be-<lb/>
jubelte! klagten über die &#x201E;stolzen Statuen, welche die gewalt-<lb/>
thätige Nemesis herabstürzte&#x201C;. Ein Sonett desselben Inhalts<lb/>
dichtete Pedro de Quirós, und Juan de Arguijo besang die<lb/>
Ruinen Carthago&#x2019;s, Troja&#x2019;s und den Tod Cicero&#x2019;s . . . .</p><lb/>
          <p>Der gefeiertste Dichter Sevillas, Hernando de Herrera, <hi rendition="#i">el<lb/>
divino</hi> (1534 &#x2020; 1597) folgte ganz den Pfaden Boscan&#x2019;s und Gar-<lb/>
cilaso&#x2019;s, ihm zufolge des grössten spanischen Dichters, ausser dem,<lb/>
nach Lomas de Cantorál (1578), Spanien kaum einen Dichter des<lb/>
Namens werth hervorgebracht haben sollte. Nach Pacheco war<lb/>
Herrera der erste, der die Sprache zu ihrer Höhe erhob. Der<lb/>
Beneficiat von S. Andrés fand auch seine Laura in Doña Leonor<lb/>
de Milan, Gräfin von Gelvez, &#x201E;welche, in Anbetracht dass er ein<lb/>
so erhabener Dichter war, diese Huldigungen mit Gutheissen<lb/>
ihres Gemahls gestattete&#x201C;. Ihm galt das Sonett als die schönste<lb/>
dichterische Form spanischer wie italienischer Sprache.</p><lb/>
          <p>Welche Titel! Gigantomachie (Herrera), Hercules, Psyche,<lb/>
zwölf Bücher in <hi rendition="#i">rima suelta</hi>, Tod des Orpheus in Octaven (letzterer<lb/>
von Malara), derselbe Gegenstand von Jauregui. In jenem Her-<lb/>
kules in achtundvierzig Gesängen und in Octaven, dem Don<lb/>
Carlos gewidmet, war &#x201E;alles treffliche versammelt, was er in<lb/>
griechischen und römischen Dichtern gefunden&#x201C;.</p><lb/>
          <p>Pedro de Mexia (&#x2020; 1555), der einst in Salamanca die ge-<lb/>
fürchtetste Klinge schlug, dem Carl V in Augsburg (1548) die<lb/><note place="foot" n="1)">Die meisten der hier zusammengestellten Züge, soweit sie nicht schon be-<lb/>
kannt waren, sind dem biographischen Bildnisswerk des Pacheco entlehnt, der diese<lb/>
Männer grösstentheils persönlich kannte: wir befinden uns also in der geistigen<lb/>
Atmosphäre der Jugendzeit unseres Malers.</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[30/0050] Erstes Buch. von Empfindungen und Literaturformen innerhalb der uner- schütterten katholischen Ueberlieferung. Mit jener Verkennung, die jede Zeit für ihre nächste Vorgängerin hat, ging man oft an den früheren dichterischen und künstlerischen Schöpfungen vorbei, auch an dem was heute für uns allein den Zauber von Sevilla ausmacht, vertiefte sich in die Erinnerung altrömischer Tage, und vergoss poetische Thränen über deren Untergang. Rodrigo Caro (aus Utrera, 1573 † 1647), der Geschichtsschreiber Sevillas und seiner varones ilustres, lateinischer Epigraphiker, ist der Verfasser einer Ode auf die Ruinen von Italica (Altsevilla), die Francisco de Rioja nur umarbeitete und in einigen der besten Strophen kopirte. Sie trauerten in der Todtenstille des verfallenen Amphi- theaters und träumten von dem einstigen Beifallsbrausen des „grossen Volkes“, welches die Thaten der Fechtersclaven be- jubelte! klagten über die „stolzen Statuen, welche die gewalt- thätige Nemesis herabstürzte“. Ein Sonett desselben Inhalts dichtete Pedro de Quirós, und Juan de Arguijo besang die Ruinen Carthago’s, Troja’s und den Tod Cicero’s . . . . Der gefeiertste Dichter Sevillas, Hernando de Herrera, el divino (1534 † 1597) folgte ganz den Pfaden Boscan’s und Gar- cilaso’s, ihm zufolge des grössten spanischen Dichters, ausser dem, nach Lomas de Cantorál (1578), Spanien kaum einen Dichter des Namens werth hervorgebracht haben sollte. Nach Pacheco war Herrera der erste, der die Sprache zu ihrer Höhe erhob. Der Beneficiat von S. Andrés fand auch seine Laura in Doña Leonor de Milan, Gräfin von Gelvez, „welche, in Anbetracht dass er ein so erhabener Dichter war, diese Huldigungen mit Gutheissen ihres Gemahls gestattete“. Ihm galt das Sonett als die schönste dichterische Form spanischer wie italienischer Sprache. Welche Titel! Gigantomachie (Herrera), Hercules, Psyche, zwölf Bücher in rima suelta, Tod des Orpheus in Octaven (letzterer von Malara), derselbe Gegenstand von Jauregui. In jenem Her- kules in achtundvierzig Gesängen und in Octaven, dem Don Carlos gewidmet, war „alles treffliche versammelt, was er in griechischen und römischen Dichtern gefunden“. Pedro de Mexia († 1555), der einst in Salamanca die ge- fürchtetste Klinge schlug, dem Carl V in Augsburg (1548) die 1) 1) Die meisten der hier zusammengestellten Züge, soweit sie nicht schon be- kannt waren, sind dem biographischen Bildnisswerk des Pacheco entlehnt, der diese Männer grösstentheils persönlich kannte: wir befinden uns also in der geistigen Atmosphäre der Jugendzeit unseres Malers.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/50
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/50>, abgerufen am 23.04.2024.