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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Die Manieristen.
irrungen, die in der Geschichte der neueren Kunst beispiellos
dastehen. Die Verzerrungen und Convulsionen jenes Berruguete
im Retablo von S. Benito, die schwerfälligen Verrenkungen eines
Juan de Juni, die entsetzlichen Vampyrgestalten des Morales, die
Gespenster und Kautschukfiguren des Greco, letztere in zahl-
losen Wiederholungen verbreitet, beweisen, wie rasch sich ihr
mitgebrachtes Kapital von Kenntnissen und Geschmack er-
schöpfte, und wie sie auf die Naivetät ihres Publikums lossündi-
gen konnten1). Vielleicht aber auch, dass sie der Gleichgültigkeit,
der ihr gelehrter Stil begegnete, durch kräftige Reizmittel bei-
zukommen suchten. Während in der Kunst des vorigen Jahr-
hunderts der Weihrauchduft sich mit einem frischen Hauch von
Gegenwart und Leben mischt, so kämpft hier sinnlicher Reiz
mit fleischabtödtendem Asketismus.

Wenn sie unter dem erdrückenden Einfluss der Italiener
Sinn und Takt für das Nationale verloren hatten, so musste früher
oder später der Widerspruch erwachen, der im siebzehnten
Jahrhundert zum Wiederaufleben des spanischen Geistes ge-
führt hat. Schon Felipe de Guevara, ein Zeitgenosse Karl V.
hatte die Nachahmung als Hauptverderb (estrago) der Talente
Spaniens bezeichnet.

Am Schlusse des sechszehnten Jahrhunderts ruht diese
Malerei nur noch auf den schwachen Schultern von Nachzüglern
wie Pacheco und Alonso Vazquez. Die letzte That des Diez
y seis
war der Tumulo Philipp II, bei dem die besten Kräfte der
drei Künste und der Poesie vereint wirkten; es war auch die
Leichenfeier der Epoche. In der Vierung der Kathedrale erhob
sich ein mächtig ernster Bau im Herrerastil; über dorischem
Untergeschoss eine kreuzförmige jonische Säulenhalle und dann
das Achteck mit Bogen, Kuppel, Laterne, Obelisk und der
Weltkugel mit dem Phönix, alles belebt mit Gemälden und Bild-
säulen. Die besten Statuen waren von einem jungen Bildschnitzer,
Martines Montannes. Diesem war es beschieden, den Geist der
erlöschenden Schule in anderer Gestalt in das kommende Jahr-
hundert hinüberzuführen. Seine von klassisch geläutertem Formen-
sinn und schwermüthigem Ernst beseelten, wenn auch etwas ein-
förmigen Figuren und Gruppen gewannen aber einen dem italieni-
schen System fremden, neuen und volksthümlichen Reiz durch die
Anwendung einer goldschimmernden Bemalung mit Oelfarben.


1) F. de Guevara, comentarios de la pintura 14: hallan horma de su zapato.

Die Manieristen.
irrungen, die in der Geschichte der neueren Kunst beispiellos
dastehen. Die Verzerrungen und Convulsionen jenes Berruguete
im Retablo von S. Benito, die schwerfälligen Verrenkungen eines
Juan de Juni, die entsetzlichen Vampyrgestalten des Morales, die
Gespenster und Kautschukfiguren des Greco, letztere in zahl-
losen Wiederholungen verbreitet, beweisen, wie rasch sich ihr
mitgebrachtes Kapital von Kenntnissen und Geschmack er-
schöpfte, und wie sie auf die Naivetät ihres Publikums lossündi-
gen konnten1). Vielleicht aber auch, dass sie der Gleichgültigkeit,
der ihr gelehrter Stil begegnete, durch kräftige Reizmittel bei-
zukommen suchten. Während in der Kunst des vorigen Jahr-
hunderts der Weihrauchduft sich mit einem frischen Hauch von
Gegenwart und Leben mischt, so kämpft hier sinnlicher Reiz
mit fleischabtödtendem Asketismus.

Wenn sie unter dem erdrückenden Einfluss der Italiener
Sinn und Takt für das Nationale verloren hatten, so musste früher
oder später der Widerspruch erwachen, der im siebzehnten
Jahrhundert zum Wiederaufleben des spanischen Geistes ge-
führt hat. Schon Felipe de Guevara, ein Zeitgenosse Karl V.
hatte die Nachahmung als Hauptverderb (estrago) der Talente
Spaniens bezeichnet.

Am Schlusse des sechszehnten Jahrhunderts ruht diese
Malerei nur noch auf den schwachen Schultern von Nachzüglern
wie Pacheco und Alonso Vazquez. Die letzte That des Diez
y seis
war der Tumulo Philipp II, bei dem die besten Kräfte der
drei Künste und der Poesie vereint wirkten; es war auch die
Leichenfeier der Epoche. In der Vierung der Kathedrale erhob
sich ein mächtig ernster Bau im Herrerastil; über dorischem
Untergeschoss eine kreuzförmige jonische Säulenhalle und dann
das Achteck mit Bogen, Kuppel, Laterne, Obelisk und der
Weltkugel mit dem Phönix, alles belebt mit Gemälden und Bild-
säulen. Die besten Statuen waren von einem jungen Bildschnitzer,
Martines Montañés. Diesem war es beschieden, den Geist der
erlöschenden Schule in anderer Gestalt in das kommende Jahr-
hundert hinüberzuführen. Seine von klassisch geläutertem Formen-
sinn und schwermüthigem Ernst beseelten, wenn auch etwas ein-
förmigen Figuren und Gruppen gewannen aber einen dem italieni-
schen System fremden, neuen und volksthümlichen Reiz durch die
Anwendung einer goldschimmernden Bemalung mit Oelfarben.


1) F. de Guevara, comentarios de la pintura 14: hallan horma de su zapato.
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[51/0071] Die Manieristen. irrungen, die in der Geschichte der neueren Kunst beispiellos dastehen. Die Verzerrungen und Convulsionen jenes Berruguete im Retablo von S. Benito, die schwerfälligen Verrenkungen eines Juan de Juni, die entsetzlichen Vampyrgestalten des Morales, die Gespenster und Kautschukfiguren des Greco, letztere in zahl- losen Wiederholungen verbreitet, beweisen, wie rasch sich ihr mitgebrachtes Kapital von Kenntnissen und Geschmack er- schöpfte, und wie sie auf die Naivetät ihres Publikums lossündi- gen konnten 1). Vielleicht aber auch, dass sie der Gleichgültigkeit, der ihr gelehrter Stil begegnete, durch kräftige Reizmittel bei- zukommen suchten. Während in der Kunst des vorigen Jahr- hunderts der Weihrauchduft sich mit einem frischen Hauch von Gegenwart und Leben mischt, so kämpft hier sinnlicher Reiz mit fleischabtödtendem Asketismus. Wenn sie unter dem erdrückenden Einfluss der Italiener Sinn und Takt für das Nationale verloren hatten, so musste früher oder später der Widerspruch erwachen, der im siebzehnten Jahrhundert zum Wiederaufleben des spanischen Geistes ge- führt hat. Schon Felipe de Guevara, ein Zeitgenosse Karl V. hatte die Nachahmung als Hauptverderb (estrago) der Talente Spaniens bezeichnet. Am Schlusse des sechszehnten Jahrhunderts ruht diese Malerei nur noch auf den schwachen Schultern von Nachzüglern wie Pacheco und Alonso Vazquez. Die letzte That des Diez y seis war der Tumulo Philipp II, bei dem die besten Kräfte der drei Künste und der Poesie vereint wirkten; es war auch die Leichenfeier der Epoche. In der Vierung der Kathedrale erhob sich ein mächtig ernster Bau im Herrerastil; über dorischem Untergeschoss eine kreuzförmige jonische Säulenhalle und dann das Achteck mit Bogen, Kuppel, Laterne, Obelisk und der Weltkugel mit dem Phönix, alles belebt mit Gemälden und Bild- säulen. Die besten Statuen waren von einem jungen Bildschnitzer, Martines Montañés. Diesem war es beschieden, den Geist der erlöschenden Schule in anderer Gestalt in das kommende Jahr- hundert hinüberzuführen. Seine von klassisch geläutertem Formen- sinn und schwermüthigem Ernst beseelten, wenn auch etwas ein- förmigen Figuren und Gruppen gewannen aber einen dem italieni- schen System fremden, neuen und volksthümlichen Reiz durch die Anwendung einer goldschimmernden Bemalung mit Oelfarben. 1) F. de Guevara, comentarios de la pintura 14: hallan horma de su zapato.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/71>, abgerufen am 25.04.2024.