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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Juan de las Roelas.
karmin), die duftig bläuliche, lichte Thalmulde mit den Bergen
dahinter erinnert noch mehr als an Ribera, an Quinten Metsys.
Ich hörte dort äussern: Diese Apostelgestalt ist kein Spanier.
In Folge eines Streites über das Honorar wurde das Bild nach
Flandern geschickt: man schätzte es dort zu einem dreifach
höheren Preis (3000 Dukaten) als der vom Künstler gestellte war.

Die Befreiung des Petrus (in dessen Kirche) ist von einer
michelangelesken Grossheit und Breite der Figuren, die hier
von einem visionären gelblichen Halblicht übergossen sind. Von
ferne glaubt man erst den versinkenden Petrus vor dem Heiland
zu sehn: es ist der Ausbruch des Dankgefühls; Spätere wie
Spagnoletto malten hier nur das Aufschrecken aus dem Schlafe.

Sein Pfingsten (im Hospital de la Sangre) ist dort unerreicht
als Darstellung einer Versammlung voll apostolischer Würde,
aber unter der Maske der unverfälschtesten Volkstypen. Keine
Rhetorik der Geberden, keine Treibhausschwärmerei: nur jenes
fast heitere Hochgefühl, welches die wahre Steigerung der geistigen
Potenz begleitet. Der ausserordentliche göttliche Zustand, der
in jenem Lichterguss über sie gekommen ist, erscheint nach
aussen in einem ruhigen, seligen Behagen. Hier fällt ein warmes
mildes Licht aus der Stralensonne auf den Halbkreis des Vor-
dergrunds, während die dahinter in Dämmerung eintauchen.

Zuweilen hat er auch Scenen mit einer wunderlichen Mischung
mystischer Symbolik und häuslich vertraulicher Motive, die so
sehr im Geschmacke der Zeit war und durch die Kupferstiche
jener Niederländer verbreitet wurde. Das Kind Maria, einen
Miniatur-Codex am Schooss der Mutter Anna studirend, in himmel-
blauem sternbesätem Kleid und mit goldenem Krönchen; Rosen,
Nelken und Vergissmeinnicht, Zuckerwerk auf der Kommode, in
deren Schubladen man reichen Spitzenschmuck entdeckt, diess ist
das Bild (im Museum), welches ihm die Censur des bigotten und
eifersüchtigen Pacheco zuzog. Er nennt ihn geübt (ducho) in der
Farbe, aber mangelhaft im Decorum (II, 198).

Sein Meisterwerk aber, und das höchste was die Malerei in
Sevilla vor Murillo geschaffen, ist das Mittelbild im grandiosen
Retablo der ehemaligen Jesuiten- jetzt Universitätskirche; das
Mysterium des Neujahrstags. Es wäre ein vollkommenes Bild,
wenn es einfacher wäre, aber es sind eigentlich fünf Bilder in
eins geschmiedet. Besonders die Gemälde mit Glorien nehmen
sich bei Roelas immer aus wie der Blick in den Durchschnitt
eines Hauses. Aber die Maria ist ein wonniges Bild zarter, hoher

Juan de las Roelas.
karmin), die duftig bläuliche, lichte Thalmulde mit den Bergen
dahinter erinnert noch mehr als an Ribera, an Quinten Metsys.
Ich hörte dort äussern: Diese Apostelgestalt ist kein Spanier.
In Folge eines Streites über das Honorar wurde das Bild nach
Flandern geschickt: man schätzte es dort zu einem dreifach
höheren Preis (3000 Dukaten) als der vom Künstler gestellte war.

Die Befreiung des Petrus (in dessen Kirche) ist von einer
michelangelesken Grossheit und Breite der Figuren, die hier
von einem visionären gelblichen Halblicht übergossen sind. Von
ferne glaubt man erst den versinkenden Petrus vor dem Heiland
zu sehn: es ist der Ausbruch des Dankgefühls; Spätere wie
Spagnoletto malten hier nur das Aufschrecken aus dem Schlafe.

Sein Pfingsten (im Hospital de la Sangre) ist dort unerreicht
als Darstellung einer Versammlung voll apostolischer Würde,
aber unter der Maske der unverfälschtesten Volkstypen. Keine
Rhetorik der Geberden, keine Treibhausschwärmerei: nur jenes
fast heitere Hochgefühl, welches die wahre Steigerung der geistigen
Potenz begleitet. Der ausserordentliche göttliche Zustand, der
in jenem Lichterguss über sie gekommen ist, erscheint nach
aussen in einem ruhigen, seligen Behagen. Hier fällt ein warmes
mildes Licht aus der Stralensonne auf den Halbkreis des Vor-
dergrunds, während die dahinter in Dämmerung eintauchen.

Zuweilen hat er auch Scenen mit einer wunderlichen Mischung
mystischer Symbolik und häuslich vertraulicher Motive, die so
sehr im Geschmacke der Zeit war und durch die Kupferstiche
jener Niederländer verbreitet wurde. Das Kind Maria, einen
Miniatur-Codex am Schooss der Mutter Anna studirend, in himmel-
blauem sternbesätem Kleid und mit goldenem Krönchen; Rosen,
Nelken und Vergissmeinnicht, Zuckerwerk auf der Kommode, in
deren Schubladen man reichen Spitzenschmuck entdeckt, diess ist
das Bild (im Museum), welches ihm die Censur des bigotten und
eifersüchtigen Pacheco zuzog. Er nennt ihn geübt (ducho) in der
Farbe, aber mangelhaft im Decorum (II, 198).

Sein Meisterwerk aber, und das höchste was die Malerei in
Sevilla vor Murillo geschaffen, ist das Mittelbild im grandiosen
Retablo der ehemaligen Jesuiten- jetzt Universitätskirche; das
Mysterium des Neujahrstags. Es wäre ein vollkommenes Bild,
wenn es einfacher wäre, aber es sind eigentlich fünf Bilder in
eins geschmiedet. Besonders die Gemälde mit Glorien nehmen
sich bei Roelas immer aus wie der Blick in den Durchschnitt
eines Hauses. Aber die Maria ist ein wonniges Bild zarter, hoher

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[55/0075] Juan de las Roelas. karmin), die duftig bläuliche, lichte Thalmulde mit den Bergen dahinter erinnert noch mehr als an Ribera, an Quinten Metsys. Ich hörte dort äussern: Diese Apostelgestalt ist kein Spanier. In Folge eines Streites über das Honorar wurde das Bild nach Flandern geschickt: man schätzte es dort zu einem dreifach höheren Preis (3000 Dukaten) als der vom Künstler gestellte war. Die Befreiung des Petrus (in dessen Kirche) ist von einer michelangelesken Grossheit und Breite der Figuren, die hier von einem visionären gelblichen Halblicht übergossen sind. Von ferne glaubt man erst den versinkenden Petrus vor dem Heiland zu sehn: es ist der Ausbruch des Dankgefühls; Spätere wie Spagnoletto malten hier nur das Aufschrecken aus dem Schlafe. Sein Pfingsten (im Hospital de la Sangre) ist dort unerreicht als Darstellung einer Versammlung voll apostolischer Würde, aber unter der Maske der unverfälschtesten Volkstypen. Keine Rhetorik der Geberden, keine Treibhausschwärmerei: nur jenes fast heitere Hochgefühl, welches die wahre Steigerung der geistigen Potenz begleitet. Der ausserordentliche göttliche Zustand, der in jenem Lichterguss über sie gekommen ist, erscheint nach aussen in einem ruhigen, seligen Behagen. Hier fällt ein warmes mildes Licht aus der Stralensonne auf den Halbkreis des Vor- dergrunds, während die dahinter in Dämmerung eintauchen. Zuweilen hat er auch Scenen mit einer wunderlichen Mischung mystischer Symbolik und häuslich vertraulicher Motive, die so sehr im Geschmacke der Zeit war und durch die Kupferstiche jener Niederländer verbreitet wurde. Das Kind Maria, einen Miniatur-Codex am Schooss der Mutter Anna studirend, in himmel- blauem sternbesätem Kleid und mit goldenem Krönchen; Rosen, Nelken und Vergissmeinnicht, Zuckerwerk auf der Kommode, in deren Schubladen man reichen Spitzenschmuck entdeckt, diess ist das Bild (im Museum), welches ihm die Censur des bigotten und eifersüchtigen Pacheco zuzog. Er nennt ihn geübt (ducho) in der Farbe, aber mangelhaft im Decorum (II, 198). Sein Meisterwerk aber, und das höchste was die Malerei in Sevilla vor Murillo geschaffen, ist das Mittelbild im grandiosen Retablo der ehemaligen Jesuiten- jetzt Universitätskirche; das Mysterium des Neujahrstags. Es wäre ein vollkommenes Bild, wenn es einfacher wäre, aber es sind eigentlich fünf Bilder in eins geschmiedet. Besonders die Gemälde mit Glorien nehmen sich bei Roelas immer aus wie der Blick in den Durchschnitt eines Hauses. Aber die Maria ist ein wonniges Bild zarter, hoher

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/75>, abgerufen am 23.04.2024.