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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Francisco Herrera.
Den Spaniern gilt er als Schöpfer ihres Nationalstils. Diese seine
Bedeutung scheint zuerst im Zeitalter des Raphael Mengs ent-
deckt worden zu sein. "Er war, sagt Cean Bermudez, der erste,
welcher in Andalusien jene furchtsame Mache abschüttelte, an
der unsere Maler solange klebten, und sich einen neuen Stil
schuf, welcher den Geist der Nation offenbart". Deshalb hat
man unter sein Bildnis in der Biblioteca Colombina gesetzt:
Formo un nuevo estilo, propio del genio nacional. Man hat diesen
Wink dann am Schreibtisch weiter ausgesponnen: "Keine Spur
italienischer Nachahmung, kein Zugeständniss an die Kunst der
Vergangenheit"; "die Befreiung der Schule von Sevilla ist der
Gedanke seines Lebens"1). Schon als Jüngling ein wilder Men-
schenfeind, hat er sich in der Einsamkeit autodidaktisch gebildet,
ein reiner Naturalist von Haus aus, voll Verachtung der eng-
herzigen, kleinlichen Theorie der Schule des Vargas, die ihm bei
seinem Lehrer Luis Fernandez geboten wurde. Noch in der
neuesten Geschichte der Schule2) wird man umrauscht von
Titanisch, Genius, Wunder und Michelangelo. "Alle enthält er
bereits in sich, Velazquez, Murillo, Cano, wenn auch in etwas
roher (tosca) Form, aber mit der Kraft und Würde des Genius.
Er ist der erste der dort die Pforten des Naturalismus aufschloss."

Man versteht diese Eingenommenheit, wenn man liest, wie
Herrera sich vor der Staffelei geberdet haben soll. "Er zeich-
nete mit angebrannten Rohrstäben und malte mit Borstenpinseln
(brochas). Ja, wenn er einmal von seinen Schülern im Stich ge-
lassen wurde, was zuweilen der Fall war, so liess er die Lein-
wand von einer Magd untermalen (bosquejar), welche jene mit
Riesenpinseln und Besen (brochones y escobas, man denkt an
den balai ivre Eugene Delacroix'), beschmierte, und ehe die
Farbe trocknete, formte er dann mit dem Pinsel Gestalten und
Gewänder."

Vollendet wird das Bild dieses Patriarchen der Impressionisten
durch den Charakter des Menschen. Denn so rauh, hart und
unverträglich war er (rigido e indigesto, de poca piedad nach
Palomino), dass seine eigenen Kinder der Hölle dieses Vater-
hauses entflohen: die Tochter ging ins Kloster, der Sohn Franz
nach Italien, -- wobei er sechstausend pesos mitnahm. Seine Ge-

1) Gazette des Beaux-Arts 1859. III, 169 ff.
2) Narciso Sentenach, La Pintura en Sevilla. S. 1885 S. 52 ff. W. Bürger:
Jamais le Caravage ni Ribera, ces deux grands praticiens, n'ont eu une execution
plus ferme, un dessin plus arrete, une couleur plus puissante.

Francisco Herrera.
Den Spaniern gilt er als Schöpfer ihres Nationalstils. Diese seine
Bedeutung scheint zuerst im Zeitalter des Raphael Mengs ent-
deckt worden zu sein. „Er war, sagt Cean Bermudez, der erste,
welcher in Andalusien jene furchtsame Mache abschüttelte, an
der unsere Maler solange klebten, und sich einen neuen Stil
schuf, welcher den Geist der Nation offenbart“. Deshalb hat
man unter sein Bildnis in der Biblioteca Colombina gesetzt:
Formó un nuevo estilo, propio del genio nacional. Man hat diesen
Wink dann am Schreibtisch weiter ausgesponnen: „Keine Spur
italienischer Nachahmung, kein Zugeständniss an die Kunst der
Vergangenheit“; „die Befreiung der Schule von Sevilla ist der
Gedanke seines Lebens“1). Schon als Jüngling ein wilder Men-
schenfeind, hat er sich in der Einsamkeit autodidaktisch gebildet,
ein reiner Naturalist von Haus aus, voll Verachtung der eng-
herzigen, kleinlichen Theorie der Schule des Vargas, die ihm bei
seinem Lehrer Luis Fernandez geboten wurde. Noch in der
neuesten Geschichte der Schule2) wird man umrauscht von
Titanisch, Genius, Wunder und Michelangelo. „Alle enthält er
bereits in sich, Velazquez, Murillo, Cano, wenn auch in etwas
roher (tosca) Form, aber mit der Kraft und Würde des Genius.
Er ist der erste der dort die Pforten des Naturalismus aufschloss.“

Man versteht diese Eingenommenheit, wenn man liest, wie
Herrera sich vor der Staffelei geberdet haben soll. „Er zeich-
nete mit angebrannten Rohrstäben und malte mit Borstenpinseln
(brochas). Ja, wenn er einmal von seinen Schülern im Stich ge-
lassen wurde, was zuweilen der Fall war, so liess er die Lein-
wand von einer Magd untermalen (bosquejar), welche jene mit
Riesenpinseln und Besen (brochones y escobas, man denkt an
den balai ivre Eugène Delacroix’), beschmierte, und ehe die
Farbe trocknete, formte er dann mit dem Pinsel Gestalten und
Gewänder.“

Vollendet wird das Bild dieses Patriarchen der Impressionisten
durch den Charakter des Menschen. Denn so rauh, hart und
unverträglich war er (rigido é indigesto, de poca piedad nach
Palomino), dass seine eigenen Kinder der Hölle dieses Vater-
hauses entflohen: die Tochter ging ins Kloster, der Sohn Franz
nach Italien, — wobei er sechstausend pesos mitnahm. Seine Ge-

1) Gazette des Beaux-Arts 1859. III, 169 ff.
2) Narciso Sentenach, La Pintura en Sevilla. S. 1885 S. 52 ff. W. Bürger:
Jamais le Caravage ni Ribera, ces deux grands praticiens, n’ont eu une exécution
plus ferme, un dessin plus arrêté, une couleur plus puissante.
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[57/0077] Francisco Herrera. Den Spaniern gilt er als Schöpfer ihres Nationalstils. Diese seine Bedeutung scheint zuerst im Zeitalter des Raphael Mengs ent- deckt worden zu sein. „Er war, sagt Cean Bermudez, der erste, welcher in Andalusien jene furchtsame Mache abschüttelte, an der unsere Maler solange klebten, und sich einen neuen Stil schuf, welcher den Geist der Nation offenbart“. Deshalb hat man unter sein Bildnis in der Biblioteca Colombina gesetzt: Formó un nuevo estilo, propio del genio nacional. Man hat diesen Wink dann am Schreibtisch weiter ausgesponnen: „Keine Spur italienischer Nachahmung, kein Zugeständniss an die Kunst der Vergangenheit“; „die Befreiung der Schule von Sevilla ist der Gedanke seines Lebens“ 1). Schon als Jüngling ein wilder Men- schenfeind, hat er sich in der Einsamkeit autodidaktisch gebildet, ein reiner Naturalist von Haus aus, voll Verachtung der eng- herzigen, kleinlichen Theorie der Schule des Vargas, die ihm bei seinem Lehrer Luis Fernandez geboten wurde. Noch in der neuesten Geschichte der Schule 2) wird man umrauscht von Titanisch, Genius, Wunder und Michelangelo. „Alle enthält er bereits in sich, Velazquez, Murillo, Cano, wenn auch in etwas roher (tosca) Form, aber mit der Kraft und Würde des Genius. Er ist der erste der dort die Pforten des Naturalismus aufschloss.“ Man versteht diese Eingenommenheit, wenn man liest, wie Herrera sich vor der Staffelei geberdet haben soll. „Er zeich- nete mit angebrannten Rohrstäben und malte mit Borstenpinseln (brochas). Ja, wenn er einmal von seinen Schülern im Stich ge- lassen wurde, was zuweilen der Fall war, so liess er die Lein- wand von einer Magd untermalen (bosquejar), welche jene mit Riesenpinseln und Besen (brochones y escobas, man denkt an den balai ivre Eugène Delacroix’), beschmierte, und ehe die Farbe trocknete, formte er dann mit dem Pinsel Gestalten und Gewänder.“ Vollendet wird das Bild dieses Patriarchen der Impressionisten durch den Charakter des Menschen. Denn so rauh, hart und unverträglich war er (rigido é indigesto, de poca piedad nach Palomino), dass seine eigenen Kinder der Hölle dieses Vater- hauses entflohen: die Tochter ging ins Kloster, der Sohn Franz nach Italien, — wobei er sechstausend pesos mitnahm. Seine Ge- 1) Gazette des Beaux-Arts 1859. III, 169 ff. 2) Narciso Sentenach, La Pintura en Sevilla. S. 1885 S. 52 ff. W. Bürger: Jamais le Caravage ni Ribera, ces deux grands praticiens, n’ont eu une exécution plus ferme, un dessin plus arrêté, une couleur plus puissante.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/77>, abgerufen am 19.04.2024.