Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

El Greco.
Mehrmals hat er die Tempelreinigung dargestellt: ein grosses
Exemplar, einst in der Sammlung Buckinghams, ist jetzt im
Besitz der Gräfin Yarborough als Paul Veronese1). Seine um-
fangreichste Schöpfung aber ist die Entkleidung des Heilandes
auf dem Kalvarienberg, früher in der Galerie Manfrin, Barocci
genannt. Christus steht in der Mitte, ein Bild erhabener Erge-
bung, die grossen glänzenden Augen emporgewandt; zur Linken,
tiefer, drei edle Frauengestalten, zur Rechten ein Mann mit dem
Bohrer über das Kreuz gebückt. Dahinter thürmen sich die
Köpfe und Büsten der nachdrängenden Schaar auf, in eisenklir-
render Bewegung; ihr Führer, der gepanzerte Hauptmann, steht
zur Rechten Christi, der Mensch, welcher den rothen Mantel
packt, zur Linken2). Es dürfte sich schwerlich ein Werk der
venezianischen Schule finden, welches diesen Espolio an Reich-
thum von Gesichtsstudien überträfe.

Dass er damals ein Bildnissmaler erster Ordnung war, be-
weist die Halbfigur des Miniaturmalers Julio Clovio (+ 1578)
in den Studj zu Neapel, welche in Parma als Selbstportrait galt.
Ebenso die Studie eines Lichteffekts: Der Knabe welcher
eine Kohle anbläst3). Jenes Bildniss giebt eine Vermuthung
an die Hand über die bisher völlig dunklen Schicksale Domenicos
in Italien. Vielleicht hatte er sich bei dem hochbejahrten Clovio,
der sich einen Macedonier nennt, als stammverwandt eingeführt.
Eines seiner vorzüglichsten Jugendwerke, eine Wiederholung
jener Tempelreinigung in kleinem Maassstab, mit besonderer Pracht
der Architektur und kunstreichen Details, verräth den Miniatur-
maler4). In dem vorhin erwähnten grossen Exemplar sieht man
in der Ecke rechts vier Halbfiguren, nämlich den alten Tizian,
Michelangelo, einen Greis, wahrscheinlich Clovio, und einen jun-
gen Mann, der mit dem Zeigefinger auf sein Gesicht weist: er
selbst? Will er jene als die Männer bezeichnen, denen er sich zu
Dank verpflichtet fühlt? Sein Jugendleben war jedenfalls ein

1) By del Greco. Christ driving the traders out of the temple. There are
about 32 figures in this picture, four whereof are the pictures of Titian, Ra-
phael etc. A catalogue of the curious collection of pictures of G. Villiers, Duke of
Buckingham. London 1758. p. 3.
2) Galerie Manfrin 42. F. Barocci, Gesu spogliato al Calvario. Tavola 1. m.
0,44. a. m. 0,73. Die Composition erinnert an eine Mosaik im Dom zu Monreale.
3) G. Campori, Raccolta di cataloghi p. 231. 207. Museum von Neapel,
venez. Schule 48 u. 34.
4) In der Sammlung von Sir Francis Cook zu Richmond.

El Greco.
Mehrmals hat er die Tempelreinigung dargestellt: ein grosses
Exemplar, einst in der Sammlung Buckinghams, ist jetzt im
Besitz der Gräfin Yarborough als Paul Veronese1). Seine um-
fangreichste Schöpfung aber ist die Entkleidung des Heilandes
auf dem Kalvarienberg, früher in der Galerie Manfrin, Barocci
genannt. Christus steht in der Mitte, ein Bild erhabener Erge-
bung, die grossen glänzenden Augen emporgewandt; zur Linken,
tiefer, drei edle Frauengestalten, zur Rechten ein Mann mit dem
Bohrer über das Kreuz gebückt. Dahinter thürmen sich die
Köpfe und Büsten der nachdrängenden Schaar auf, in eisenklir-
render Bewegung; ihr Führer, der gepanzerte Hauptmann, steht
zur Rechten Christi, der Mensch, welcher den rothen Mantel
packt, zur Linken2). Es dürfte sich schwerlich ein Werk der
venezianischen Schule finden, welches diesen Espolio an Reich-
thum von Gesichtsstudien überträfe.

Dass er damals ein Bildnissmaler erster Ordnung war, be-
weist die Halbfigur des Miniaturmalers Julio Clovio († 1578)
in den Studj zu Neapel, welche in Parma als Selbstportrait galt.
Ebenso die Studie eines Lichteffekts: Der Knabe welcher
eine Kohle anbläst3). Jenes Bildniss giebt eine Vermuthung
an die Hand über die bisher völlig dunklen Schicksale Domenicos
in Italien. Vielleicht hatte er sich bei dem hochbejahrten Clovio,
der sich einen Macedonier nennt, als stammverwandt eingeführt.
Eines seiner vorzüglichsten Jugendwerke, eine Wiederholung
jener Tempelreinigung in kleinem Maassstab, mit besonderer Pracht
der Architektur und kunstreichen Details, verräth den Miniatur-
maler4). In dem vorhin erwähnten grossen Exemplar sieht man
in der Ecke rechts vier Halbfiguren, nämlich den alten Tizian,
Michelangelo, einen Greis, wahrscheinlich Clovio, und einen jun-
gen Mann, der mit dem Zeigefinger auf sein Gesicht weist: er
selbst? Will er jene als die Männer bezeichnen, denen er sich zu
Dank verpflichtet fühlt? Sein Jugendleben war jedenfalls ein

1) By del Greco. Christ driving the traders out of the temple. There are
about 32 figures in this picture, four whereof are the pictures of Titian, Ra-
phael etc. A catalogue of the curious collection of pictures of G. Villiers, Duke of
Buckingham. London 1758. p. 3.
2) Galerie Manfrin 42. F. Barocci, Gesù spogliato al Calvario. Tavola 1. m.
0,44. a. m. 0,73. Die Composition erinnert an eine Mosaik im Dom zu Monreale.
3) G. Campori, Raccolta di cataloghi p. 231. 207. Museum von Neapel,
venez. Schule 48 u. 34.
4) In der Sammlung von Sir Francis Cook zu Richmond.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0097" n="77"/><fw place="top" type="header">El Greco.</fw><lb/>
Mehrmals hat er die Tempelreinigung dargestellt: ein grosses<lb/>
Exemplar, einst in der Sammlung Buckinghams, ist jetzt im<lb/>
Besitz der Gräfin Yarborough als Paul Veronese<note place="foot" n="1)">By del Greco. Christ driving the traders out of the temple. There are<lb/>
about 32 figures in this picture, four whereof are the pictures of Titian, Ra-<lb/>
phael etc. A catalogue of the curious collection of pictures of G. Villiers, Duke of<lb/>
Buckingham. London 1758. p. 3.</note>. Seine um-<lb/>
fangreichste Schöpfung aber ist die Entkleidung des Heilandes<lb/>
auf dem Kalvarienberg, früher in der Galerie Manfrin, Barocci<lb/>
genannt. Christus steht in der Mitte, ein Bild erhabener Erge-<lb/>
bung, die grossen glänzenden Augen emporgewandt; zur Linken,<lb/>
tiefer, drei edle Frauengestalten, zur Rechten ein Mann mit dem<lb/>
Bohrer über das Kreuz gebückt. Dahinter thürmen sich die<lb/>
Köpfe und Büsten der nachdrängenden Schaar auf, in eisenklir-<lb/>
render Bewegung; ihr Führer, der gepanzerte Hauptmann, steht<lb/>
zur Rechten Christi, der Mensch, welcher den rothen Mantel<lb/>
packt, zur Linken<note place="foot" n="2)">Galerie Manfrin 42. F. Barocci, Gesù spogliato al Calvario. Tavola 1. m.<lb/>
0,44. a. m. 0,73. Die Composition erinnert an eine Mosaik im Dom zu Monreale.</note>. Es dürfte sich schwerlich ein Werk der<lb/>
venezianischen Schule finden, welches diesen <hi rendition="#i">Espolio</hi> an Reich-<lb/>
thum von Gesichtsstudien überträfe.</p><lb/>
          <p>Dass er damals ein Bildnissmaler erster Ordnung war, be-<lb/>
weist die Halbfigur des Miniaturmalers Julio Clovio (&#x2020; 1578)<lb/>
in den Studj zu Neapel, welche in Parma als Selbstportrait galt.<lb/>
Ebenso die Studie eines Lichteffekts: Der Knabe welcher<lb/>
eine Kohle anbläst<note place="foot" n="3)">G. Campori, Raccolta di cataloghi p. 231. 207. Museum von Neapel,<lb/>
venez. Schule 48 u. 34.</note>. Jenes Bildniss giebt eine Vermuthung<lb/>
an die Hand über die bisher völlig dunklen Schicksale Domenicos<lb/>
in Italien. Vielleicht hatte er sich bei dem hochbejahrten Clovio,<lb/>
der sich einen Macedonier nennt, als stammverwandt eingeführt.<lb/>
Eines seiner vorzüglichsten Jugendwerke, eine Wiederholung<lb/>
jener Tempelreinigung in kleinem Maassstab, mit besonderer Pracht<lb/>
der Architektur und kunstreichen Details, verräth den Miniatur-<lb/>
maler<note place="foot" n="4)">In der Sammlung von Sir Francis Cook zu Richmond.</note>. In dem vorhin erwähnten grossen Exemplar sieht man<lb/>
in der Ecke rechts vier Halbfiguren, nämlich den alten Tizian,<lb/>
Michelangelo, einen Greis, wahrscheinlich Clovio, und einen jun-<lb/>
gen Mann, der mit dem Zeigefinger auf sein Gesicht weist: er<lb/>
selbst? Will er jene als die Männer bezeichnen, denen er sich zu<lb/>
Dank verpflichtet fühlt? Sein Jugendleben war jedenfalls ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0097] El Greco. Mehrmals hat er die Tempelreinigung dargestellt: ein grosses Exemplar, einst in der Sammlung Buckinghams, ist jetzt im Besitz der Gräfin Yarborough als Paul Veronese 1). Seine um- fangreichste Schöpfung aber ist die Entkleidung des Heilandes auf dem Kalvarienberg, früher in der Galerie Manfrin, Barocci genannt. Christus steht in der Mitte, ein Bild erhabener Erge- bung, die grossen glänzenden Augen emporgewandt; zur Linken, tiefer, drei edle Frauengestalten, zur Rechten ein Mann mit dem Bohrer über das Kreuz gebückt. Dahinter thürmen sich die Köpfe und Büsten der nachdrängenden Schaar auf, in eisenklir- render Bewegung; ihr Führer, der gepanzerte Hauptmann, steht zur Rechten Christi, der Mensch, welcher den rothen Mantel packt, zur Linken 2). Es dürfte sich schwerlich ein Werk der venezianischen Schule finden, welches diesen Espolio an Reich- thum von Gesichtsstudien überträfe. Dass er damals ein Bildnissmaler erster Ordnung war, be- weist die Halbfigur des Miniaturmalers Julio Clovio († 1578) in den Studj zu Neapel, welche in Parma als Selbstportrait galt. Ebenso die Studie eines Lichteffekts: Der Knabe welcher eine Kohle anbläst 3). Jenes Bildniss giebt eine Vermuthung an die Hand über die bisher völlig dunklen Schicksale Domenicos in Italien. Vielleicht hatte er sich bei dem hochbejahrten Clovio, der sich einen Macedonier nennt, als stammverwandt eingeführt. Eines seiner vorzüglichsten Jugendwerke, eine Wiederholung jener Tempelreinigung in kleinem Maassstab, mit besonderer Pracht der Architektur und kunstreichen Details, verräth den Miniatur- maler 4). In dem vorhin erwähnten grossen Exemplar sieht man in der Ecke rechts vier Halbfiguren, nämlich den alten Tizian, Michelangelo, einen Greis, wahrscheinlich Clovio, und einen jun- gen Mann, der mit dem Zeigefinger auf sein Gesicht weist: er selbst? Will er jene als die Männer bezeichnen, denen er sich zu Dank verpflichtet fühlt? Sein Jugendleben war jedenfalls ein 1) By del Greco. Christ driving the traders out of the temple. There are about 32 figures in this picture, four whereof are the pictures of Titian, Ra- phael etc. A catalogue of the curious collection of pictures of G. Villiers, Duke of Buckingham. London 1758. p. 3. 2) Galerie Manfrin 42. F. Barocci, Gesù spogliato al Calvario. Tavola 1. m. 0,44. a. m. 0,73. Die Composition erinnert an eine Mosaik im Dom zu Monreale. 3) G. Campori, Raccolta di cataloghi p. 231. 207. Museum von Neapel, venez. Schule 48 u. 34. 4) In der Sammlung von Sir Francis Cook zu Richmond.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/97
Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/97>, abgerufen am 28.03.2024.