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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
Vater nach dem Kriegsschauplatz begleitete, schilderte ein
Hofpoet "den neuen Adonis einer deutschen Venus, wie er mit
der Pike in der Hand einherziehe, so kühn wie schön (arrisgado
como bello
)". In diesem Alter, nach der Unterschrift vierzehn-
jährig, sieht man ihn in dem Stich des Juan de Noort in dem
mehrerwähnten ihm gewidmeten Jagdwerk. Es ist ein feiner,
sympathischer Kopf, nur der Mund hat den hässlichen Familien-
typus, wie in keinem Bilde vor- und nachher.

Wahrscheinlich im letzten Jahre seines Lebens vergegen-
wärtigt ihn das Bildniss im Prado (1083, 2,09 x 1,44). Es reiht
sich ganz an die seines Vaters und Oheims vor zwanzig Jahren.
Er steht nach rechts gewandt in ernster schwarzer Hoftracht
mit kurzem Mantel, die Linke an der rothen Stuhllehne, über die
theilweise der Vorhang fällt; die herabhängende Rechte hält
den Hut, in dem der andere Handschuh liegt. Die wolgewach-
sene Figur, auf dunkelgrauem Grund, ist fest gestellt, die Stirn
klar, die Farbe sonnengebräunt, die braunen Augen glanzlos, die
Schatten im Antlitz etwas dumpf. Von dieser letzten Figur kann
man weder gutes noch schlimmes sagen. Es ist eins der wenigen
gleichgültigen Bilder des Malers, das einzige in der Galerie,
an dem man in Gefahr ist, vorbeizugehen. Das blinkende Reiter-
chen, der kecke Waidmann scheint im Begriff, ein mittelmässiger
Thronfolger zu werden.

Kurz nach jener Verlobung, am Tag der zweijährigen Todten-
feier seiner Mutter (5. Oktober) in der Seo von Saragossa, er-
kältete er sich beim Pelotaspiel, und schon am neunten hatte
das Fieber, unter Beistand der spanischen Sangredos, seinem
jungen Leben ein Ende gemacht. Als der Kranke die verzwei-
felten Gesichter um sich sah, fragte er ob Lerida verloren sei?
Auf die beruhigende Antwort sagte er: Dann muss es mit mir
sehr schlimm stehn. Sein Herz ist dort beigesetzt, an der Evan-
gelienseite des Altars. Als der Sekretär die Nachricht an die
Statthalter aufsetzen wollte, versagte ihm die Hand, Thränen
stürzten aufs Papier. Da nahm ihm der Vater, es war eine Stunde
nach dem Tode des Prinzen, die Feder aus der Hand und schrieb
selbst die Depesche an Leganes. Er hätte, meint Giustiniani,
wol passendere Anlässe gehabt, seine Herrschaft über die Affekte
zu beweisen. Er schrieb: "Marques: wir alle müssen uns in den
Willen Gottes ergeben, und ich noch mehr als alle andern. Ihm
hat es gefallen mir meinen Sohn zu nehmen, vor einer Stunde
etwa. Mein ist nun der Schmerz, den Ihr ermessen könnt über

Fünftes Buch.
Vater nach dem Kriegsschauplatz begleitete, schilderte ein
Hofpoet „den neuen Adonis einer deutschen Venus, wie er mit
der Pike in der Hand einherziehe, so kühn wie schön (arrisgado
como bello
)“. In diesem Alter, nach der Unterschrift vierzehn-
jährig, sieht man ihn in dem Stich des Juan de Noort in dem
mehrerwähnten ihm gewidmeten Jagdwerk. Es ist ein feiner,
sympathischer Kopf, nur der Mund hat den hässlichen Familien-
typus, wie in keinem Bilde vor- und nachher.

Wahrscheinlich im letzten Jahre seines Lebens vergegen-
wärtigt ihn das Bildniss im Prado (1083, 2,09 × 1,44). Es reiht
sich ganz an die seines Vaters und Oheims vor zwanzig Jahren.
Er steht nach rechts gewandt in ernster schwarzer Hoftracht
mit kurzem Mantel, die Linke an der rothen Stuhllehne, über die
theilweise der Vorhang fällt; die herabhängende Rechte hält
den Hut, in dem der andere Handschuh liegt. Die wolgewach-
sene Figur, auf dunkelgrauem Grund, ist fest gestellt, die Stirn
klar, die Farbe sonnengebräunt, die braunen Augen glanzlos, die
Schatten im Antlitz etwas dumpf. Von dieser letzten Figur kann
man weder gutes noch schlimmes sagen. Es ist eins der wenigen
gleichgültigen Bilder des Malers, das einzige in der Galerie,
an dem man in Gefahr ist, vorbeizugehen. Das blinkende Reiter-
chen, der kecke Waidmann scheint im Begriff, ein mittelmässiger
Thronfolger zu werden.

Kurz nach jener Verlobung, am Tag der zweijährigen Todten-
feier seiner Mutter (5. Oktober) in der Seo von Saragossa, er-
kältete er sich beim Pelotaspiel, und schon am neunten hatte
das Fieber, unter Beistand der spanischen Sangredos, seinem
jungen Leben ein Ende gemacht. Als der Kranke die verzwei-
felten Gesichter um sich sah, fragte er ob Lerida verloren sei?
Auf die beruhigende Antwort sagte er: Dann muss es mit mir
sehr schlimm stehn. Sein Herz ist dort beigesetzt, an der Evan-
gelienseite des Altars. Als der Sekretär die Nachricht an die
Statthalter aufsetzen wollte, versagte ihm die Hand, Thränen
stürzten aufs Papier. Da nahm ihm der Vater, es war eine Stunde
nach dem Tode des Prinzen, die Feder aus der Hand und schrieb
selbst die Depesche an Leganés. Er hätte, meint Giustiniani,
wol passendere Anlässe gehabt, seine Herrschaft über die Affekte
zu beweisen. Er schrieb: „Marques: wir alle müssen uns in den
Willen Gottes ergeben, und ich noch mehr als alle andern. Ihm
hat es gefallen mir meinen Sohn zu nehmen, vor einer Stunde
etwa. Mein ist nun der Schmerz, den Ihr ermessen könnt über

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[140/0160] Fünftes Buch. Vater nach dem Kriegsschauplatz begleitete, schilderte ein Hofpoet „den neuen Adonis einer deutschen Venus, wie er mit der Pike in der Hand einherziehe, so kühn wie schön (arrisgado como bello)“. In diesem Alter, nach der Unterschrift vierzehn- jährig, sieht man ihn in dem Stich des Juan de Noort in dem mehrerwähnten ihm gewidmeten Jagdwerk. Es ist ein feiner, sympathischer Kopf, nur der Mund hat den hässlichen Familien- typus, wie in keinem Bilde vor- und nachher. Wahrscheinlich im letzten Jahre seines Lebens vergegen- wärtigt ihn das Bildniss im Prado (1083, 2,09 × 1,44). Es reiht sich ganz an die seines Vaters und Oheims vor zwanzig Jahren. Er steht nach rechts gewandt in ernster schwarzer Hoftracht mit kurzem Mantel, die Linke an der rothen Stuhllehne, über die theilweise der Vorhang fällt; die herabhängende Rechte hält den Hut, in dem der andere Handschuh liegt. Die wolgewach- sene Figur, auf dunkelgrauem Grund, ist fest gestellt, die Stirn klar, die Farbe sonnengebräunt, die braunen Augen glanzlos, die Schatten im Antlitz etwas dumpf. Von dieser letzten Figur kann man weder gutes noch schlimmes sagen. Es ist eins der wenigen gleichgültigen Bilder des Malers, das einzige in der Galerie, an dem man in Gefahr ist, vorbeizugehen. Das blinkende Reiter- chen, der kecke Waidmann scheint im Begriff, ein mittelmässiger Thronfolger zu werden. Kurz nach jener Verlobung, am Tag der zweijährigen Todten- feier seiner Mutter (5. Oktober) in der Seo von Saragossa, er- kältete er sich beim Pelotaspiel, und schon am neunten hatte das Fieber, unter Beistand der spanischen Sangredos, seinem jungen Leben ein Ende gemacht. Als der Kranke die verzwei- felten Gesichter um sich sah, fragte er ob Lerida verloren sei? Auf die beruhigende Antwort sagte er: Dann muss es mit mir sehr schlimm stehn. Sein Herz ist dort beigesetzt, an der Evan- gelienseite des Altars. Als der Sekretär die Nachricht an die Statthalter aufsetzen wollte, versagte ihm die Hand, Thränen stürzten aufs Papier. Da nahm ihm der Vater, es war eine Stunde nach dem Tode des Prinzen, die Feder aus der Hand und schrieb selbst die Depesche an Leganés. Er hätte, meint Giustiniani, wol passendere Anlässe gehabt, seine Herrschaft über die Affekte zu beweisen. Er schrieb: „Marques: wir alle müssen uns in den Willen Gottes ergeben, und ich noch mehr als alle andern. Ihm hat es gefallen mir meinen Sohn zu nehmen, vor einer Stunde etwa. Mein ist nun der Schmerz, den Ihr ermessen könnt über

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/160>, abgerufen am 28.03.2024.