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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
capa umgeschlagen, die Hand reicht. Dass die Dame zum Hof
gehört, beweisen die Figuren zweier Hofzwerge in schreiend bunter
Gala zu ihrer Linken. Der Ninno de Coria zeigt seine plumpe
Gestalt von hinten; er trägt einen blauen Rock mit breiten
Silbergarnituren, geschlitzte feuerrothe Pumphosen und eben-
solche Aermel; den Kopf dreht er stark nach der Dame um,
auf die er spöttisch hinweist. Neben ihm steht sein College,
nicht grösser, aber wolproportionirt, der dünne Wicht legt
jenem gnädig die Hand auf die Schulter. Wams und Hosen sind
von gelbem Brokatstoff. Im Mittelgrund sieht man noch eine
leicht skizzirte Gruppe.

Die Entstehung dieser Scenen am Hof Philipp IV ist
zweifellos; Jedermann wird Velazquez einfallen, doch zunächst
nur weil die Figuren den von ihm dargestellten Typen ange-
hören. Die Prüfung aus der Nähe zeigt manches Bedenk-
liche. Der durchsichtig graue Ton der Landschaft, die Berg-
formen, der etwas leere Baumschlag sind verdächtig. Die zier-
lichen bunten Figuren vor der hell duftigen, lasirend behandel-
ten Landschaft bringen den Namen Wouwerman in den Sinn; Je-
mand hat an einen berühmten Holländer gedacht, der in Madrid
gewesen ist und am Hof gemalt hat, obwol noch nie etwas von
ihm dort aufgetaucht ist. Beide Bilder sind an allen Seiten, am
meisten oben, erweitert worden; die Linien der alten Vierecke,
knapp um die Gruppen herumlaufend, sind noch deutlich zu
sehen. Die Malerei ist indessen homogen und von Kommarissen
durchzogen. Wohl in Folge einer Uebermalung von fremder,
später Hand, die bestimmt war aus leichten Skizzen galeriefähige
Tableaus zu machen1).


1) Die Landschaft in der Galerie des Haag (258) ist von W. Burger (Musees
de Hollande, 308) mit Unrecht Velazquez zugeschrieben worden. Drei Eichen im
Vordergrund, der belebt ist durch Fischer- und Jägergruppen, weiterhin Berge,
schroffabfallende Klippen, Stadt am Fuss, endlich das Meer. Nur der Baumschlag
konnte an Velazquez erinnern; der graue Duft der Berge und die rothbraunen
Töne der Untermalung und die Figuren sind ganz abweichend. Wenn ich sagte,
dass Burger den Nagel stets auf den Kopf getroffen habe (I, 16), so bezog sich
das auf sein Geschmacksurtheil; in Attributionen hat es noch keinen Unfehl-
baren gegeben.

Fünftes Buch.
capa umgeschlagen, die Hand reicht. Dass die Dame zum Hof
gehört, beweisen die Figuren zweier Hofzwerge in schreiend bunter
Gala zu ihrer Linken. Der Niño de Coria zeigt seine plumpe
Gestalt von hinten; er trägt einen blauen Rock mit breiten
Silbergarnituren, geschlitzte feuerrothe Pumphosen und eben-
solche Aermel; den Kopf dreht er stark nach der Dame um,
auf die er spöttisch hinweist. Neben ihm steht sein College,
nicht grösser, aber wolproportionirt, der dünne Wicht legt
jenem gnädig die Hand auf die Schulter. Wams und Hosen sind
von gelbem Brokatstoff. Im Mittelgrund sieht man noch eine
leicht skizzirte Gruppe.

Die Entstehung dieser Scenen am Hof Philipp IV ist
zweifellos; Jedermann wird Velazquez einfallen, doch zunächst
nur weil die Figuren den von ihm dargestellten Typen ange-
hören. Die Prüfung aus der Nähe zeigt manches Bedenk-
liche. Der durchsichtig graue Ton der Landschaft, die Berg-
formen, der etwas leere Baumschlag sind verdächtig. Die zier-
lichen bunten Figuren vor der hell duftigen, lasirend behandel-
ten Landschaft bringen den Namen Wouwerman in den Sinn; Je-
mand hat an einen berühmten Holländer gedacht, der in Madrid
gewesen ist und am Hof gemalt hat, obwol noch nie etwas von
ihm dort aufgetaucht ist. Beide Bilder sind an allen Seiten, am
meisten oben, erweitert worden; die Linien der alten Vierecke,
knapp um die Gruppen herumlaufend, sind noch deutlich zu
sehen. Die Malerei ist indessen homogen und von Kommarissen
durchzogen. Wohl in Folge einer Uebermalung von fremder,
später Hand, die bestimmt war aus leichten Skizzen galeriefähige
Tableaus zu machen1).


1) Die Landschaft in der Galerie des Haag (258) ist von W. Burger (Musées
de Hollande, 308) mit Unrecht Velazquez zugeschrieben worden. Drei Eichen im
Vordergrund, der belebt ist durch Fischer- und Jägergruppen, weiterhin Berge,
schroffabfallende Klippen, Stadt am Fuss, endlich das Meer. Nur der Baumschlag
konnte an Velazquez erinnern; der graue Duft der Berge und die rothbraunen
Töne der Untermalung und die Figuren sind ganz abweichend. Wenn ich sagte,
dass Burger den Nagel stets auf den Kopf getroffen habe (I, 16), so bezog sich
das auf sein Geschmacksurtheil; in Attributionen hat es noch keinen Unfehl-
baren gegeben.
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[150/0170] Fünftes Buch. capa umgeschlagen, die Hand reicht. Dass die Dame zum Hof gehört, beweisen die Figuren zweier Hofzwerge in schreiend bunter Gala zu ihrer Linken. Der Niño de Coria zeigt seine plumpe Gestalt von hinten; er trägt einen blauen Rock mit breiten Silbergarnituren, geschlitzte feuerrothe Pumphosen und eben- solche Aermel; den Kopf dreht er stark nach der Dame um, auf die er spöttisch hinweist. Neben ihm steht sein College, nicht grösser, aber wolproportionirt, der dünne Wicht legt jenem gnädig die Hand auf die Schulter. Wams und Hosen sind von gelbem Brokatstoff. Im Mittelgrund sieht man noch eine leicht skizzirte Gruppe. Die Entstehung dieser Scenen am Hof Philipp IV ist zweifellos; Jedermann wird Velazquez einfallen, doch zunächst nur weil die Figuren den von ihm dargestellten Typen ange- hören. Die Prüfung aus der Nähe zeigt manches Bedenk- liche. Der durchsichtig graue Ton der Landschaft, die Berg- formen, der etwas leere Baumschlag sind verdächtig. Die zier- lichen bunten Figuren vor der hell duftigen, lasirend behandel- ten Landschaft bringen den Namen Wouwerman in den Sinn; Je- mand hat an einen berühmten Holländer gedacht, der in Madrid gewesen ist und am Hof gemalt hat, obwol noch nie etwas von ihm dort aufgetaucht ist. Beide Bilder sind an allen Seiten, am meisten oben, erweitert worden; die Linien der alten Vierecke, knapp um die Gruppen herumlaufend, sind noch deutlich zu sehen. Die Malerei ist indessen homogen und von Kommarissen durchzogen. Wohl in Folge einer Uebermalung von fremder, später Hand, die bestimmt war aus leichten Skizzen galeriefähige Tableaus zu machen 1). 1) Die Landschaft in der Galerie des Haag (258) ist von W. Burger (Musées de Hollande, 308) mit Unrecht Velazquez zugeschrieben worden. Drei Eichen im Vordergrund, der belebt ist durch Fischer- und Jägergruppen, weiterhin Berge, schroffabfallende Klippen, Stadt am Fuss, endlich das Meer. Nur der Baumschlag konnte an Velazquez erinnern; der graue Duft der Berge und die rothbraunen Töne der Untermalung und die Figuren sind ganz abweichend. Wenn ich sagte, dass Burger den Nagel stets auf den Kopf getroffen habe (I, 16), so bezog sich das auf sein Geschmacksurtheil; in Attributionen hat es noch keinen Unfehl- baren gegeben.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/170>, abgerufen am 28.03.2024.