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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Sechstes Buch.
in weite Kreise getragenen Meisterwerke römischer Museen zu
verschaffen, und davon Abgüsse in Bronze nehmen zu lassen.

Mit einem ähnlichen Auftrage war ein Jahrhundert früher
der Maler Primaticcio von Franz I nach Italien gesandt worden
(1543). Er hatte dort in kurzer Zeit 125 Statuen, Torsen und
Büsten zusammengebracht und die besten Antiken Roms von
Jacopo Barozzi da Vignola und Franz Libon abformen lassen.
Ausser dem Marc Aurel und der Trajanssäule, werden der Lao-
coon, der Apollo, die Venus, die Cleopatra, Nil und Tiber ge-
nannt. Die von diesen Meistern in Paris ausgeführten Bronze-
abgüsse zeichneten sich durch Leichtigkeit und Reinheit aus.
Möglich dass Vasari's Nachricht von dieser ältesten für Fon-
tainebleau bestimmten Kopiensammlung (Vite XIII, 3 ff. IX, 80)
die Anregung zu unserm Plan gegeben hat.

Dass Velazquez eine Sammlung von Abformungen antiker
Werke beantragt und zum Zwecke ihrer Herstellung nach Rom
gegangen ist, ein Vorläufer also seines 120 Jahre später gekom-
menen Nachfolgers Raphael Mengs, das wird viele seiner Ver-
ehrer und Anfechter befremden. Die am Ende dieses Jahrhun-
derts allerwärts auftauchenden Gypsmuseen stehen im Zusammen-
hang mit dem Sinken des malerischen Sinnes, mit dem zweifelhaften
Geschmack der Gerard de Lairesse und van der Werff. Rumohr
fand, "dass nach dem Aufkommen der Antikensäle zu Antwerpen
(1680) und Amsterdam (1700) in den dortigen Schulen von jener
Feinheit des Gesichtssinnes, welche ihre frühern Arbeiten so
ungemein auszeichnete, in Kurzem jegliche Spur verschwindet"
(Drei Reisen S. 59). In Spanien war diese Gefahr kein Geheim-
niss; eben jener Martinez bemerkt (a. a. O. 4), "die Zeichnung
werde durch solche Studien hart, trocken und höchst unerfreu-
lich für's Auge." Indess dürften diese der jetzigen Zeit so fatal
gewordenen afterklassischen und antimalerischen Manieren des
folgenden Jahrhunderts doch weniger eine Wirkung der eifriger
studirten Antike sein als des schon eingetretenen Marasmus, der
von solchen Transfusionen Verjüngung der Säfte erhoffte. Die na-
türliche Widerstandskraft der gebornen Maler früherer Jahrhun-
derte brauchte solche Ablenkungen nicht zu fürchten.

Man findet die Behauptung ausgesprochen, der Zweck dieser
Anschaffungen und der Reise sei die Herstellung des Apparats
für eine projektirte Malerakademie gewesen. Allein dies ist nichts
als eine Vermuthung, wahrscheinlich darauf gebaut, dass in der
Folge Ausgüsse nach Velazquez' Abformungen in die unter Phi-

Sechstes Buch.
in weite Kreise getragenen Meisterwerke römischer Museen zu
verschaffen, und davon Abgüsse in Bronze nehmen zu lassen.

Mit einem ähnlichen Auftrage war ein Jahrhundert früher
der Maler Primaticcio von Franz I nach Italien gesandt worden
(1543). Er hatte dort in kurzer Zeit 125 Statuen, Torsen und
Büsten zusammengebracht und die besten Antiken Roms von
Jacopo Barozzi da Vignola und Franz Libon abformen lassen.
Ausser dem Marc Aurel und der Trajanssäule, werden der Lao-
coon, der Apollo, die Venus, die Cleopatra, Nil und Tiber ge-
nannt. Die von diesen Meistern in Paris ausgeführten Bronze-
abgüsse zeichneten sich durch Leichtigkeit und Reinheit aus.
Möglich dass Vasari’s Nachricht von dieser ältesten für Fon-
tainebleau bestimmten Kopiensammlung (Vite XIII, 3 ff. IX, 80)
die Anregung zu unserm Plan gegeben hat.

Dass Velazquez eine Sammlung von Abformungen antiker
Werke beantragt und zum Zwecke ihrer Herstellung nach Rom
gegangen ist, ein Vorläufer also seines 120 Jahre später gekom-
menen Nachfolgers Raphael Mengs, das wird viele seiner Ver-
ehrer und Anfechter befremden. Die am Ende dieses Jahrhun-
derts allerwärts auftauchenden Gypsmuseen stehen im Zusammen-
hang mit dem Sinken des malerischen Sinnes, mit dem zweifelhaften
Geschmack der Gérard de Lairesse und van der Werff. Rumohr
fand, „dass nach dem Aufkommen der Antikensäle zu Antwerpen
(1680) und Amsterdam (1700) in den dortigen Schulen von jener
Feinheit des Gesichtssinnes, welche ihre frühern Arbeiten so
ungemein auszeichnete, in Kurzem jegliche Spur verschwindet“
(Drei Reisen S. 59). In Spanien war diese Gefahr kein Geheim-
niss; eben jener Martinez bemerkt (a. a. O. 4), „die Zeichnung
werde durch solche Studien hart, trocken und höchst unerfreu-
lich für’s Auge.“ Indess dürften diese der jetzigen Zeit so fatal
gewordenen afterklassischen und antimalerischen Manieren des
folgenden Jahrhunderts doch weniger eine Wirkung der eifriger
studirten Antike sein als des schon eingetretenen Marasmus, der
von solchen Transfusionen Verjüngung der Säfte erhoffte. Die na-
türliche Widerstandskraft der gebornen Maler früherer Jahrhun-
derte brauchte solche Ablenkungen nicht zu fürchten.

Man findet die Behauptung ausgesprochen, der Zweck dieser
Anschaffungen und der Reise sei die Herstellung des Apparats
für eine projektirte Malerakademie gewesen. Allein dies ist nichts
als eine Vermuthung, wahrscheinlich darauf gebaut, dass in der
Folge Ausgüsse nach Velazquez’ Abformungen in die unter Phi-

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[156/0176] Sechstes Buch. in weite Kreise getragenen Meisterwerke römischer Museen zu verschaffen, und davon Abgüsse in Bronze nehmen zu lassen. Mit einem ähnlichen Auftrage war ein Jahrhundert früher der Maler Primaticcio von Franz I nach Italien gesandt worden (1543). Er hatte dort in kurzer Zeit 125 Statuen, Torsen und Büsten zusammengebracht und die besten Antiken Roms von Jacopo Barozzi da Vignola und Franz Libon abformen lassen. Ausser dem Marc Aurel und der Trajanssäule, werden der Lao- coon, der Apollo, die Venus, die Cleopatra, Nil und Tiber ge- nannt. Die von diesen Meistern in Paris ausgeführten Bronze- abgüsse zeichneten sich durch Leichtigkeit und Reinheit aus. Möglich dass Vasari’s Nachricht von dieser ältesten für Fon- tainebleau bestimmten Kopiensammlung (Vite XIII, 3 ff. IX, 80) die Anregung zu unserm Plan gegeben hat. Dass Velazquez eine Sammlung von Abformungen antiker Werke beantragt und zum Zwecke ihrer Herstellung nach Rom gegangen ist, ein Vorläufer also seines 120 Jahre später gekom- menen Nachfolgers Raphael Mengs, das wird viele seiner Ver- ehrer und Anfechter befremden. Die am Ende dieses Jahrhun- derts allerwärts auftauchenden Gypsmuseen stehen im Zusammen- hang mit dem Sinken des malerischen Sinnes, mit dem zweifelhaften Geschmack der Gérard de Lairesse und van der Werff. Rumohr fand, „dass nach dem Aufkommen der Antikensäle zu Antwerpen (1680) und Amsterdam (1700) in den dortigen Schulen von jener Feinheit des Gesichtssinnes, welche ihre frühern Arbeiten so ungemein auszeichnete, in Kurzem jegliche Spur verschwindet“ (Drei Reisen S. 59). In Spanien war diese Gefahr kein Geheim- niss; eben jener Martinez bemerkt (a. a. O. 4), „die Zeichnung werde durch solche Studien hart, trocken und höchst unerfreu- lich für’s Auge.“ Indess dürften diese der jetzigen Zeit so fatal gewordenen afterklassischen und antimalerischen Manieren des folgenden Jahrhunderts doch weniger eine Wirkung der eifriger studirten Antike sein als des schon eingetretenen Marasmus, der von solchen Transfusionen Verjüngung der Säfte erhoffte. Die na- türliche Widerstandskraft der gebornen Maler früherer Jahrhun- derte brauchte solche Ablenkungen nicht zu fürchten. Man findet die Behauptung ausgesprochen, der Zweck dieser Anschaffungen und der Reise sei die Herstellung des Apparats für eine projektirte Malerakademie gewesen. Allein dies ist nichts als eine Vermuthung, wahrscheinlich darauf gebaut, dass in der Folge Ausgüsse nach Velazquez’ Abformungen in die unter Phi-

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/176>, abgerufen am 28.03.2024.