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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Sechstes Buch.
sonnen aus dem Bereich seines bewährten Systems herauszugehn;
er betrachtete diese Deckengemälde als kontraktwidrig; musste
aber endlich nachgeben, da man versprach ihn dann freizugeben.
Er vollendete das Bild in fünfzig Tagen, es enthielt vierzig
Figuren und war 35 Fuss lang. Da in Madrid keine weiblichen
Modelle zu haben waren, so bediente er sich eines aus Rom ge-
kommenen Abgusses der Venus des Belvedere. --

Dieser Bericht ist selbst für einen Schriftsteller von der
Verworrenheit und Unbehülflichkeit des Conte Malvasia eine
ungewöhnliche Leistung. Zuerst verwechselt er zwei verschiedene
Säle. Nach Palomino befand sich die Deckenmalerei der Pan-
dora im grossen Saal über dem Palastthor, dem Spiegelsaal.
Der Saal der Tiziane oder die venezianische Galerie aber war
die südlich gelegene Galerie der Königin.

Eine solche Scheinpinakothek unterhalb der Originalgalerie
scheint uns eine völlig barbarische Idee, die man Velazquez nicht
zutrauen kann.

Nun aber lesen wir, dass Colonna nach dem Tode Mitelli's
für das Gartenhaus des Marques de Heliche an der Pradostrasse
in der That einen Saal gemalt hatte, in dem die besten Stücke
Raphael's, Tizians', van Dyck's, Rubens' und Velazquez', von
denen man Vorbilder bekommen konnte, nebst den Goldrahmen
und den Tapeten imitirt waren. Diese Arbeit stand unter der
Leitung der obengenannten Carrenno und Rizi, und der Marques
bat Colonna ihnen dabei zu helfen. Als Scherz in einem Land-
haus kann man dergleichen einem reichen Sonderling zu gute
halten. Colonna hatte wahrscheinlich, wenn er in Bologna auf
das Kapitel der Cosas de Espanna kam, beide Unternehmungen
zusammen erzählt, und die wiederkehrenden Namen jener Maler
veranlassten die Vermengung bei dem mehr mit Scheere und
Kleister als mit dem Kopf arbeitenden fleissigen Kunsthistoriker.

Später malten sie noch in der Einsiedelei S. Pablo in Buen
Retiro einen Saal mit der Fabel des Narciss; und für den ge-
nannten Marques ein zweites Gartenhaus bei S. Joachim. Me-
telli's letzte Arbeit war die Kuppel der Kirche der Mercenarier,
die er aber nur begann; im Hochsommer zog er sich ein hitziges
Fieber zu, das ihn schnell dahinraffte (2. August 1660). Er starb
während Velazquez selbst im Sterben lag. Colonna vollendete
die Kuppel und blieb noch bis zum Jahre 1662. --


Sechstes Buch.
sonnen aus dem Bereich seines bewährten Systems herauszugehn;
er betrachtete diese Deckengemälde als kontraktwidrig; musste
aber endlich nachgeben, da man versprach ihn dann freizugeben.
Er vollendete das Bild in fünfzig Tagen, es enthielt vierzig
Figuren und war 35 Fuss lang. Da in Madrid keine weiblichen
Modelle zu haben waren, so bediente er sich eines aus Rom ge-
kommenen Abgusses der Venus des Belvedere. —

Dieser Bericht ist selbst für einen Schriftsteller von der
Verworrenheit und Unbehülflichkeit des Conte Malvasia eine
ungewöhnliche Leistung. Zuerst verwechselt er zwei verschiedene
Säle. Nach Palomino befand sich die Deckenmalerei der Pan-
dora im grossen Saal über dem Palastthor, dem Spiegelsaal.
Der Saal der Tiziane oder die venezianische Galerie aber war
die südlich gelegene Galerie der Königin.

Eine solche Scheinpinakothek unterhalb der Originalgalerie
scheint uns eine völlig barbarische Idee, die man Velazquez nicht
zutrauen kann.

Nun aber lesen wir, dass Colonna nach dem Tode Mitelli’s
für das Gartenhaus des Marques de Heliche an der Pradostrasse
in der That einen Saal gemalt hatte, in dem die besten Stücke
Raphael’s, Tizians’, van Dyck’s, Rubens’ und Velazquez’, von
denen man Vorbilder bekommen konnte, nebst den Goldrahmen
und den Tapeten imitirt waren. Diese Arbeit stand unter der
Leitung der obengenannten Carreño und Rizi, und der Marques
bat Colonna ihnen dabei zu helfen. Als Scherz in einem Land-
haus kann man dergleichen einem reichen Sonderling zu gute
halten. Colonna hatte wahrscheinlich, wenn er in Bologna auf
das Kapitel der Cosas de España kam, beide Unternehmungen
zusammen erzählt, und die wiederkehrenden Namen jener Maler
veranlassten die Vermengung bei dem mehr mit Scheere und
Kleister als mit dem Kopf arbeitenden fleissigen Kunsthistoriker.

Später malten sie noch in der Einsiedelei S. Pablo in Buen
Retiro einen Saal mit der Fabel des Narciss; und für den ge-
nannten Marques ein zweites Gartenhaus bei S. Joachim. Me-
telli’s letzte Arbeit war die Kuppel der Kirche der Mercenarier,
die er aber nur begann; im Hochsommer zog er sich ein hitziges
Fieber zu, das ihn schnell dahinraffte (2. August 1660). Er starb
während Velazquez selbst im Sterben lag. Colonna vollendete
die Kuppel und blieb noch bis zum Jahre 1662. —


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[210/0230] Sechstes Buch. sonnen aus dem Bereich seines bewährten Systems herauszugehn; er betrachtete diese Deckengemälde als kontraktwidrig; musste aber endlich nachgeben, da man versprach ihn dann freizugeben. Er vollendete das Bild in fünfzig Tagen, es enthielt vierzig Figuren und war 35 Fuss lang. Da in Madrid keine weiblichen Modelle zu haben waren, so bediente er sich eines aus Rom ge- kommenen Abgusses der Venus des Belvedere. — Dieser Bericht ist selbst für einen Schriftsteller von der Verworrenheit und Unbehülflichkeit des Conte Malvasia eine ungewöhnliche Leistung. Zuerst verwechselt er zwei verschiedene Säle. Nach Palomino befand sich die Deckenmalerei der Pan- dora im grossen Saal über dem Palastthor, dem Spiegelsaal. Der Saal der Tiziane oder die venezianische Galerie aber war die südlich gelegene Galerie der Königin. Eine solche Scheinpinakothek unterhalb der Originalgalerie scheint uns eine völlig barbarische Idee, die man Velazquez nicht zutrauen kann. Nun aber lesen wir, dass Colonna nach dem Tode Mitelli’s für das Gartenhaus des Marques de Heliche an der Pradostrasse in der That einen Saal gemalt hatte, in dem die besten Stücke Raphael’s, Tizians’, van Dyck’s, Rubens’ und Velazquez’, von denen man Vorbilder bekommen konnte, nebst den Goldrahmen und den Tapeten imitirt waren. Diese Arbeit stand unter der Leitung der obengenannten Carreño und Rizi, und der Marques bat Colonna ihnen dabei zu helfen. Als Scherz in einem Land- haus kann man dergleichen einem reichen Sonderling zu gute halten. Colonna hatte wahrscheinlich, wenn er in Bologna auf das Kapitel der Cosas de España kam, beide Unternehmungen zusammen erzählt, und die wiederkehrenden Namen jener Maler veranlassten die Vermengung bei dem mehr mit Scheere und Kleister als mit dem Kopf arbeitenden fleissigen Kunsthistoriker. Später malten sie noch in der Einsiedelei S. Pablo in Buen Retiro einen Saal mit der Fabel des Narciss; und für den ge- nannten Marques ein zweites Gartenhaus bei S. Joachim. Me- telli’s letzte Arbeit war die Kuppel der Kirche der Mercenarier, die er aber nur begann; im Hochsommer zog er sich ein hitziges Fieber zu, das ihn schnell dahinraffte (2. August 1660). Er starb während Velazquez selbst im Sterben lag. Colonna vollendete die Kuppel und blieb noch bis zum Jahre 1662. —

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/230>, abgerufen am 28.03.2024.