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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Fünftes Buch.
Beziehung sind gewiss in seinem Sinn (Museo II, 65 ff.). Wenn
ihm also seine Personen oft lang und wiederholt gesessen haben
mögen, so hatte er doch vorher eine Zeichnung von dem stehen-
den Modell genommen, um dessen Gesammteindruck (aire) festzu-
halten, und diesem hat er alles spätere angepasst.

Er brachte zum Porträt die feste Zeichnung und die feine
Modellirung, das Verständniss der Formen und die Bildung des
Geschmacks mit, welche er der strengen Schule und dem an
Anregungen reichen Hause Pacheco's verdankte. Was er nicht
der Schule verdankte, und woran man seine Originale noch
sicherer als am Strich erkennen kann, ist die Wahrheit des
farbigen Scheins, die Wahrheit der Oberfläche: in jener Durch-
sichtigkeit der Haut und der auf ihr beruhenden Frische des
pulsirenden Lebens, in dem reflektirten Schimmer der Epidermis,
in dem grauen Ton endlich, dessen Rolle Niemand wie er be-
griffen hat. Diess ist der Punkt, wo er von dem Coloristengefühl
der Venezianer am meisten abweicht.

Wer auch nur ein bedeutendes Porträt dieses Meisters ge-
sehen hat, der wird zwei Eindrücke nicht vergessen: den Geist
des Pinselstrichs, und die unbedingte, überzeugende Wahr-
heit, -- die man freilich nicht beweisen, nur intuitiv erkennen,
doch bisweilen durch Vergleiche wahrscheinlich machen kann.

Velazquez war vielleicht der erste Charakteristiker unter
den Neuern, eine Eigenschaft, die nicht so häufig ist als man
denkt. Oft haust in Bildnissen berühmter Maler ein den Urbil-
dern fremder Geist, z. B. der des Künstlers; solche sind wie
Schauspieler, die nur sich selbst spielen. Aus Furcht vielleicht,
dass etwas von diesem fremden Geist in ihren Mann hineinfahren
möchte, haben andere sich darauf beschieden, nur einen male-
rischen Schein der Maske aufzufangen, und geglaubt, sie brauchten
nichts weiter dahinter zu zeigen. Unser Maler dringt zugleich
in's Innerste des Charakters; man könnte danach, wie man von
den Porträts des Apelles sagte, das Horoskop der Person stellen;
er malt den tonus der Nerven, die "Mischung der Säfte", die
Dosis von Eisen und Galle im Blut, das Quantum von Weisheit
und Narrheit im Verstand 1).

Keiner ist unvortheilhaften Formen weniger aus dem Weg

1) Ces portraits sont les plus nobles et les plus beaux du monde, parce qu'ils
representent des hommes si profondement compris, qu'on ne saurait les confondre
avec d'autres hommes. W. Burger a. a. O.

Fünftes Buch.
Beziehung sind gewiss in seinem Sinn (Museo II, 65 ff.). Wenn
ihm also seine Personen oft lang und wiederholt gesessen haben
mögen, so hatte er doch vorher eine Zeichnung von dem stehen-
den Modell genommen, um dessen Gesammteindruck (aire) festzu-
halten, und diesem hat er alles spätere angepasst.

Er brachte zum Porträt die feste Zeichnung und die feine
Modellirung, das Verständniss der Formen und die Bildung des
Geschmacks mit, welche er der strengen Schule und dem an
Anregungen reichen Hause Pacheco’s verdankte. Was er nicht
der Schule verdankte, und woran man seine Originale noch
sicherer als am Strich erkennen kann, ist die Wahrheit des
farbigen Scheins, die Wahrheit der Oberfläche: in jener Durch-
sichtigkeit der Haut und der auf ihr beruhenden Frische des
pulsirenden Lebens, in dem reflektirten Schimmer der Epidermis,
in dem grauen Ton endlich, dessen Rolle Niemand wie er be-
griffen hat. Diess ist der Punkt, wo er von dem Coloristengefühl
der Venezianer am meisten abweicht.

Wer auch nur ein bedeutendes Porträt dieses Meisters ge-
sehen hat, der wird zwei Eindrücke nicht vergessen: den Geist
des Pinselstrichs, und die unbedingte, überzeugende Wahr-
heit, — die man freilich nicht beweisen, nur intuitiv erkennen,
doch bisweilen durch Vergleiche wahrscheinlich machen kann.

Velazquez war vielleicht der erste Charakteristiker unter
den Neuern, eine Eigenschaft, die nicht so häufig ist als man
denkt. Oft haust in Bildnissen berühmter Maler ein den Urbil-
dern fremder Geist, z. B. der des Künstlers; solche sind wie
Schauspieler, die nur sich selbst spielen. Aus Furcht vielleicht,
dass etwas von diesem fremden Geist in ihren Mann hineinfahren
möchte, haben andere sich darauf beschieden, nur einen male-
rischen Schein der Maske aufzufangen, und geglaubt, sie brauchten
nichts weiter dahinter zu zeigen. Unser Maler dringt zugleich
in’s Innerste des Charakters; man könnte danach, wie man von
den Porträts des Apelles sagte, das Horoskop der Person stellen;
er malt den tonus der Nerven, die „Mischung der Säfte“, die
Dosis von Eisen und Galle im Blut, das Quantum von Weisheit
und Narrheit im Verstand 1).

Keiner ist unvortheilhaften Formen weniger aus dem Weg

1) Ces portraits sont les plus nobles et les plus beaux du monde, parce qu’ils
représentent des hommes si profondément compris, qu’on ne saurait les confondre
avec d’autres hommes. W. Burger a. a. O.
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[6/0026] Fünftes Buch. Beziehung sind gewiss in seinem Sinn (Museo II, 65 ff.). Wenn ihm also seine Personen oft lang und wiederholt gesessen haben mögen, so hatte er doch vorher eine Zeichnung von dem stehen- den Modell genommen, um dessen Gesammteindruck (aire) festzu- halten, und diesem hat er alles spätere angepasst. Er brachte zum Porträt die feste Zeichnung und die feine Modellirung, das Verständniss der Formen und die Bildung des Geschmacks mit, welche er der strengen Schule und dem an Anregungen reichen Hause Pacheco’s verdankte. Was er nicht der Schule verdankte, und woran man seine Originale noch sicherer als am Strich erkennen kann, ist die Wahrheit des farbigen Scheins, die Wahrheit der Oberfläche: in jener Durch- sichtigkeit der Haut und der auf ihr beruhenden Frische des pulsirenden Lebens, in dem reflektirten Schimmer der Epidermis, in dem grauen Ton endlich, dessen Rolle Niemand wie er be- griffen hat. Diess ist der Punkt, wo er von dem Coloristengefühl der Venezianer am meisten abweicht. Wer auch nur ein bedeutendes Porträt dieses Meisters ge- sehen hat, der wird zwei Eindrücke nicht vergessen: den Geist des Pinselstrichs, und die unbedingte, überzeugende Wahr- heit, — die man freilich nicht beweisen, nur intuitiv erkennen, doch bisweilen durch Vergleiche wahrscheinlich machen kann. Velazquez war vielleicht der erste Charakteristiker unter den Neuern, eine Eigenschaft, die nicht so häufig ist als man denkt. Oft haust in Bildnissen berühmter Maler ein den Urbil- dern fremder Geist, z. B. der des Künstlers; solche sind wie Schauspieler, die nur sich selbst spielen. Aus Furcht vielleicht, dass etwas von diesem fremden Geist in ihren Mann hineinfahren möchte, haben andere sich darauf beschieden, nur einen male- rischen Schein der Maske aufzufangen, und geglaubt, sie brauchten nichts weiter dahinter zu zeigen. Unser Maler dringt zugleich in’s Innerste des Charakters; man könnte danach, wie man von den Porträts des Apelles sagte, das Horoskop der Person stellen; er malt den tonus der Nerven, die „Mischung der Säfte“, die Dosis von Eisen und Galle im Blut, das Quantum von Weisheit und Narrheit im Verstand 1). Keiner ist unvortheilhaften Formen weniger aus dem Weg 1) Ces portraits sont les plus nobles et les plus beaux du monde, parce qu’ils représentent des hommes si profondément compris, qu’on ne saurait les confondre avec d’autres hommes. W. Burger a. a. O.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/26>, abgerufen am 19.04.2024.