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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
für den theologischen Unterricht der Mönche, der freilich nur
durch ein grosses Fenster im Osten Licht empfängt. Hier sah
man bereits: die berühmte Glorie, die Tizian für Carl V gemalt;
die beiden grossen Stücke, welche Paolo und Tintoretto für den
Hochaltar der Hauptkirche gemalt hatten: die Verkündigung und
die Geburt; die grosse heil. Margaretha mit dem Drachen und
den büssenden Hieronymus von Tizian; El Mudo's letztes Werk: die
Bestattung des heil. Laurentius. Dazu kamen jetzt als Geschenke
des Königs: die Madonna mit dem Tobias von Raphael, eine
Grablegung und ein Ecce Homo Tizians, Christus in der Vor-
hölle und die Marter des h. Gines von Paolo. --

Die Mehrzahl aller dieser Gemälde wanderte in unserm Jahr-
hundert in das Museum von Madrid, nur wenige blieben im
Escorial, einige sind verschollen oder ins Ausland entführt wor-
den. Die leeren Plätze sind mit einer ziemlich kläglichen Samm-
lung zusammengelesener Bilder ausgefüllt worden.

Die Memoria.

Längst war bekannt, dass Velazquez auch die Feder geführt
hatte. Zwar besitzt man von ihm keine Briefe, keinen Vers;
aber er hatte Beschreibungen von Bildern alter Meister aufge-
setzt. Palomino nachdem er (Museo III, 343) erzählt, dass der
König ihm im Jahre 1656 die Aufstellung der dem Escorial über-
wiesenen Gemälde übertrug, fährt fort: "Von diesen verfasste
Velazquez eine Beschreibung oder Denkschrift, in welcher er Be-
richt erstattet über ihre Vorzüge, Historien, Urheber, und über
den Platz wo sie aufgestellt wurden, um dieselben Seiner Maje-
stät vorzuführen (manifestar); und zwar so vollendet in der Form
und so sachgemäss (con tanta elegancia y propiedad), dass sie
ein Beweis ist seines Wissens und seiner grossen Kennerschaft;
denn so bedeutend sind diese Gemälde, dass sie eigentlich nur
durch ihn das verdiente Lob empfangen konnten."

Obwol keine Aeusserung von irgend Jemand sonst bekannt
war, der das Aktenstück gesehn hatte, so war doch nichts
wahrscheinlicher, als dass es noch in irgend einem Archiv ver-
borgen sein möchte, welche Vermuthung auch Stirling ausge-
sprochen hat. Und wirklich wurde man im Jahre 1871 durch die
Nachricht überrascht, dass es Sr. Adolfo de Castro in Cadiz ge-
lungen sei, die Memoria zu entdecken, aber merkwürdiger Weise

Siebentes Buch.
für den theologischen Unterricht der Mönche, der freilich nur
durch ein grosses Fenster im Osten Licht empfängt. Hier sah
man bereits: die berühmte Glorie, die Tizian für Carl V gemalt;
die beiden grossen Stücke, welche Paolo und Tintoretto für den
Hochaltar der Hauptkirche gemalt hatten: die Verkündigung und
die Geburt; die grosse heil. Margaretha mit dem Drachen und
den büssenden Hieronymus von Tizian; El Mudo’s letztes Werk: die
Bestattung des heil. Laurentius. Dazu kamen jetzt als Geschenke
des Königs: die Madonna mit dem Tobias von Raphael, eine
Grablegung und ein Ecce Homo Tizians, Christus in der Vor-
hölle und die Marter des h. Ginés von Paolo. —

Die Mehrzahl aller dieser Gemälde wanderte in unserm Jahr-
hundert in das Museum von Madrid, nur wenige blieben im
Escorial, einige sind verschollen oder ins Ausland entführt wor-
den. Die leeren Plätze sind mit einer ziemlich kläglichen Samm-
lung zusammengelesener Bilder ausgefüllt worden.

Die Memoria.

Längst war bekannt, dass Velazquez auch die Feder geführt
hatte. Zwar besitzt man von ihm keine Briefe, keinen Vers;
aber er hatte Beschreibungen von Bildern alter Meister aufge-
setzt. Palomino nachdem er (Museo III, 343) erzählt, dass der
König ihm im Jahre 1656 die Aufstellung der dem Escorial über-
wiesenen Gemälde übertrug, fährt fort: „Von diesen verfasste
Velazquez eine Beschreibung oder Denkschrift, in welcher er Be-
richt erstattet über ihre Vorzüge, Historien, Urheber, und über
den Platz wo sie aufgestellt wurden, um dieselben Seiner Maje-
stät vorzuführen (manifestar); und zwar so vollendet in der Form
und so sachgemäss (con tanta elegancia y propiedad), dass sie
ein Beweis ist seines Wissens und seiner grossen Kennerschaft;
denn so bedeutend sind diese Gemälde, dass sie eigentlich nur
durch ihn das verdiente Lob empfangen konnten.“

Obwol keine Aeusserung von irgend Jemand sonst bekannt
war, der das Aktenstück gesehn hatte, so war doch nichts
wahrscheinlicher, als dass es noch in irgend einem Archiv ver-
borgen sein möchte, welche Vermuthung auch Stirling ausge-
sprochen hat. Und wirklich wurde man im Jahre 1871 durch die
Nachricht überrascht, dass es Sr. Adolfo de Castro in Cadiz ge-
lungen sei, die Memoria zu entdecken, aber merkwürdiger Weise

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[244/0264] Siebentes Buch. für den theologischen Unterricht der Mönche, der freilich nur durch ein grosses Fenster im Osten Licht empfängt. Hier sah man bereits: die berühmte Glorie, die Tizian für Carl V gemalt; die beiden grossen Stücke, welche Paolo und Tintoretto für den Hochaltar der Hauptkirche gemalt hatten: die Verkündigung und die Geburt; die grosse heil. Margaretha mit dem Drachen und den büssenden Hieronymus von Tizian; El Mudo’s letztes Werk: die Bestattung des heil. Laurentius. Dazu kamen jetzt als Geschenke des Königs: die Madonna mit dem Tobias von Raphael, eine Grablegung und ein Ecce Homo Tizians, Christus in der Vor- hölle und die Marter des h. Ginés von Paolo. — Die Mehrzahl aller dieser Gemälde wanderte in unserm Jahr- hundert in das Museum von Madrid, nur wenige blieben im Escorial, einige sind verschollen oder ins Ausland entführt wor- den. Die leeren Plätze sind mit einer ziemlich kläglichen Samm- lung zusammengelesener Bilder ausgefüllt worden. Die Memoria. Längst war bekannt, dass Velazquez auch die Feder geführt hatte. Zwar besitzt man von ihm keine Briefe, keinen Vers; aber er hatte Beschreibungen von Bildern alter Meister aufge- setzt. Palomino nachdem er (Museo III, 343) erzählt, dass der König ihm im Jahre 1656 die Aufstellung der dem Escorial über- wiesenen Gemälde übertrug, fährt fort: „Von diesen verfasste Velazquez eine Beschreibung oder Denkschrift, in welcher er Be- richt erstattet über ihre Vorzüge, Historien, Urheber, und über den Platz wo sie aufgestellt wurden, um dieselben Seiner Maje- stät vorzuführen (manifestar); und zwar so vollendet in der Form und so sachgemäss (con tanta elegancia y propiedad), dass sie ein Beweis ist seines Wissens und seiner grossen Kennerschaft; denn so bedeutend sind diese Gemälde, dass sie eigentlich nur durch ihn das verdiente Lob empfangen konnten.“ Obwol keine Aeusserung von irgend Jemand sonst bekannt war, der das Aktenstück gesehn hatte, so war doch nichts wahrscheinlicher, als dass es noch in irgend einem Archiv ver- borgen sein möchte, welche Vermuthung auch Stirling ausge- sprochen hat. Und wirklich wurde man im Jahre 1871 durch die Nachricht überrascht, dass es Sr. Adolfo de Castro in Cadiz ge- lungen sei, die Memoria zu entdecken, aber merkwürdiger Weise

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/264>, abgerufen am 19.04.2024.