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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.
man die Bäume des Parks. Eine Kinderfrau mit noch einem
sechsten Spross dieser gesegneten Ehe hat sich hinaufgeschlichen,
und der Wurm steht im Begriff, von ihr angestiftet, auf den
schwarzen Mann zuzuwackeln, mit ausgebreiteten Aermchen und
wahrscheinlich lautem Gequieke. Dieser, abgewandt, hat sich bis
jetzt das Gesumme des Besuchs, dem er den Rücken zudreht,
nicht anfechten lassen. Die Leinwand steht vor ihm auf dem
Boden, die Figur im guardainfante ist theilweise bedeckt von
seiner schwarzen Sihouette. --

Wer sind diese zwölf Personen? Bisher hielt man den
Maler für Velazquez, die Kinder für seine Söhne, die Dame auf
dem Sessel für seine Frau Joana, die stehende für seine Tochter
Francisca, von ihrem Gatten gefolgt. Allein wenn in der Hei-
rathsurkunde von 1634 diese seine einzige Tochter heisst, und
von Söhnen nichts bekannt ist, so können die Kinder nicht die
seinigen sein, vielleicht aber Enkel, denn nach Palomino hatte
Mazo viele Kinder. Zwei Söhne, Balthasar und Gaspar, trifft
man später in guten Hofämtern. In der Ecke links oben ist ein
Wappen angebracht, welches auf rothem Grunde einen erhobenen
gewappneten Arm mit einem Klöpfel (mazo) im Schilde führt.

Ist nun der Maler an der Staffelei der Vater oder der Gross-
vater? Im letzten Fall wäre Velazquez ein ungewöhnlich stram-
mer Grossvater gewesen. Kein Grossvatersessel: zwei leere Klapp-
stühle. Auch arbeitet er nicht in bequemem Kittel, sondern in
knapper schwarzer Hoftracht, noch weniger hält er saloppe Re-
kelei für den richtigen Anstand eines Künstlerselbstporträts. Und
wie kahl ist sein Atelier, verglichen mit dem was man heute
nöthig hat! -- Bei dieser Annahme könnte der Schwiegersohn
der zweite Herr vorn sein, der zur Noth mit dem Bildniss von
Esteban March (Prado 779) zu vereinigen wäre. Eine Aehn-
lichkeit der fetten Frau mit der feinen Profilbüste der Sibylle 1)
und der sogenannten Joana de Miranda, die beide ohne hinrei-
chenden Grund für Bildnisse der Frau des Velazquez gegolten
haben, vermag ich nicht zu finden.

Mazo war nach dem Tod seiner ersten Frau (gegen 1658?)
zum zweiten mal mit Ana de la Vega verheirathet.

Alle diese Fragen könnten eher beantwortet werden, wenn
man über die Zeit des Bildes etwas wüsste.

Die Schülerhand in diesem Gemälde hat zuerst J. C. Robin-

1) Catalogo del Museo del Prado. I. 1872. p. 622.

Siebentes Buch.
man die Bäume des Parks. Eine Kinderfrau mit noch einem
sechsten Spross dieser gesegneten Ehe hat sich hinaufgeschlichen,
und der Wurm steht im Begriff, von ihr angestiftet, auf den
schwarzen Mann zuzuwackeln, mit ausgebreiteten Aermchen und
wahrscheinlich lautem Gequieke. Dieser, abgewandt, hat sich bis
jetzt das Gesumme des Besuchs, dem er den Rücken zudreht,
nicht anfechten lassen. Die Leinwand steht vor ihm auf dem
Boden, die Figur im guardainfante ist theilweise bedeckt von
seiner schwarzen Sihouette. —

Wer sind diese zwölf Personen? Bisher hielt man den
Maler für Velazquez, die Kinder für seine Söhne, die Dame auf
dem Sessel für seine Frau Joana, die stehende für seine Tochter
Francisca, von ihrem Gatten gefolgt. Allein wenn in der Hei-
rathsurkunde von 1634 diese seine einzige Tochter heisst, und
von Söhnen nichts bekannt ist, so können die Kinder nicht die
seinigen sein, vielleicht aber Enkel, denn nach Palomino hatte
Mazo viele Kinder. Zwei Söhne, Balthasar und Gaspar, trifft
man später in guten Hofämtern. In der Ecke links oben ist ein
Wappen angebracht, welches auf rothem Grunde einen erhobenen
gewappneten Arm mit einem Klöpfel (mazo) im Schilde führt.

Ist nun der Maler an der Staffelei der Vater oder der Gross-
vater? Im letzten Fall wäre Velazquez ein ungewöhnlich stram-
mer Grossvater gewesen. Kein Grossvatersessel: zwei leere Klapp-
stühle. Auch arbeitet er nicht in bequemem Kittel, sondern in
knapper schwarzer Hoftracht, noch weniger hält er saloppe Re-
kelei für den richtigen Anstand eines Künstlerselbstporträts. Und
wie kahl ist sein Atelier, verglichen mit dem was man heute
nöthig hat! — Bei dieser Annahme könnte der Schwiegersohn
der zweite Herr vorn sein, der zur Noth mit dem Bildniss von
Estéban March (Prado 779) zu vereinigen wäre. Eine Aehn-
lichkeit der fetten Frau mit der feinen Profilbüste der Sibylle 1)
und der sogenannten Joana de Miranda, die beide ohne hinrei-
chenden Grund für Bildnisse der Frau des Velazquez gegolten
haben, vermag ich nicht zu finden.

Mazo war nach dem Tod seiner ersten Frau (gegen 1658?)
zum zweiten mal mit Ana de la Vega verheirathet.

Alle diese Fragen könnten eher beantwortet werden, wenn
man über die Zeit des Bildes etwas wüsste.

Die Schülerhand in diesem Gemälde hat zuerst J. C. Robin-

1) Catálogo del Museo del Prado. I. 1872. p. 622.
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[322/0344] Siebentes Buch. man die Bäume des Parks. Eine Kinderfrau mit noch einem sechsten Spross dieser gesegneten Ehe hat sich hinaufgeschlichen, und der Wurm steht im Begriff, von ihr angestiftet, auf den schwarzen Mann zuzuwackeln, mit ausgebreiteten Aermchen und wahrscheinlich lautem Gequieke. Dieser, abgewandt, hat sich bis jetzt das Gesumme des Besuchs, dem er den Rücken zudreht, nicht anfechten lassen. Die Leinwand steht vor ihm auf dem Boden, die Figur im guardainfante ist theilweise bedeckt von seiner schwarzen Sihouette. — Wer sind diese zwölf Personen? Bisher hielt man den Maler für Velazquez, die Kinder für seine Söhne, die Dame auf dem Sessel für seine Frau Joana, die stehende für seine Tochter Francisca, von ihrem Gatten gefolgt. Allein wenn in der Hei- rathsurkunde von 1634 diese seine einzige Tochter heisst, und von Söhnen nichts bekannt ist, so können die Kinder nicht die seinigen sein, vielleicht aber Enkel, denn nach Palomino hatte Mazo viele Kinder. Zwei Söhne, Balthasar und Gaspar, trifft man später in guten Hofämtern. In der Ecke links oben ist ein Wappen angebracht, welches auf rothem Grunde einen erhobenen gewappneten Arm mit einem Klöpfel (mazo) im Schilde führt. Ist nun der Maler an der Staffelei der Vater oder der Gross- vater? Im letzten Fall wäre Velazquez ein ungewöhnlich stram- mer Grossvater gewesen. Kein Grossvatersessel: zwei leere Klapp- stühle. Auch arbeitet er nicht in bequemem Kittel, sondern in knapper schwarzer Hoftracht, noch weniger hält er saloppe Re- kelei für den richtigen Anstand eines Künstlerselbstporträts. Und wie kahl ist sein Atelier, verglichen mit dem was man heute nöthig hat! — Bei dieser Annahme könnte der Schwiegersohn der zweite Herr vorn sein, der zur Noth mit dem Bildniss von Estéban March (Prado 779) zu vereinigen wäre. Eine Aehn- lichkeit der fetten Frau mit der feinen Profilbüste der Sibylle 1) und der sogenannten Joana de Miranda, die beide ohne hinrei- chenden Grund für Bildnisse der Frau des Velazquez gegolten haben, vermag ich nicht zu finden. Mazo war nach dem Tod seiner ersten Frau (gegen 1658?) zum zweiten mal mit Ana de la Vega verheirathet. Alle diese Fragen könnten eher beantwortet werden, wenn man über die Zeit des Bildes etwas wüsste. Die Schülerhand in diesem Gemälde hat zuerst J. C. Robin- 1) Catálogo del Museo del Prado. I. 1872. p. 622.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/344>, abgerufen am 19.04.2024.