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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888.

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Siebentes Buch.

Man kann sich ungefähr denken, wie der Maler auf diese
Darstellung gekommen ist.

Er hatte in Rom bei der Auswahl der Abgüsse mehrere
Darstellungen des Ares sich angesehn, aus solchen Anregungen
ist das Gemälde hervorgegangen. Es ist ein entkleideter Mann
mit glänzendem Helm auf dem Kopf: so sah er den Gott in der
Villa Medici, in der Gruppe mit Venus; eine solche Marmor-
statue in der Villa Borghese (jetzt im Louvre) hat er abformen
lassen. Er stellt den wilden Kriegsgott, den homerischen
Stürmer ruhend dar: so war er zu sehn in der Villa Ludovisi
in einer Statue, die man auf Skopas zurückgeführt hat; das
linke Bein ist da ähnlich in die Höhe gezogen. Auch dieses
sonst als Gladiator bezeichnete Werk brachte er im Abguss mit.

Das Motiv der Ruhe ist das dominirende in dem Gemälde.
Er hat Rüstung und Kleider abgeworfen und sich auf den Rand
eines Feldbetts niedergesetzt. Grade in der Nachlässigkeit der
Haltung erhält man vielleicht besser als in der Spannung des
Kampfs den Eindruck des gewaltigen Gefüges dieses Baus und
der in ihm schlummernden Kräfte. Sogar die Rechte, mit dem
Stock (einer Streitaxt?) steckt unter dem Mantel, wer könnte die
Rechte des Mars ohne Beunruhigung sehn? Dieser rothe Mantel
fliesst zu beiden Seiten des Lagers herab und spiegelt sich im
Schilde: eine Anspielung auf den "blutbefleckten Menschenver-
tilger" Homers.

Was die Formen betrifft, so wird Niemand von Velazquez er-
warten, dass er eine Statue kopire, er konnte auch den Mars nur
malen, wenn er irgendwo einen Menschen ausfindig machte, der
ihm zu dem was er von dem griechischen "Menschenmörder"
gelesen, zu passen schien. Ares wird von dem Dichter als ein
rohes Wesen geschildert; die Alten gaben ihm eine derbe
Muskulatur, starken Nacken, kurzgelockte und gesträubte Haare.
Sollen wir ihn tadeln, dass er das Musterbild des "Rasenden,
der kein Gesetz kennt" in einer Gestalt aus den Horden der
Tilly und Marradas fand? Es ist ein "eherner" (Ilias 5, 866)
Körper, von mächtigem aber ebenmässigem Knochengerüste, wie
bei dem farnesischen Herkules erscheint die Brust zwischen den
gewaltigen Oberarmen wie eingeengt: ein Körper von merkwür-
diger Festigkeit des Fleisches, der neben der allzu gleichmässig
gespannten Muskulatur Bonarroti's und der gedunsenen der
Schule des Rubens den Vorzug voller Wahrheit der Fett- und
Hautdecke hat.

Siebentes Buch.

Man kann sich ungefähr denken, wie der Maler auf diese
Darstellung gekommen ist.

Er hatte in Rom bei der Auswahl der Abgüsse mehrere
Darstellungen des Ares sich angesehn, aus solchen Anregungen
ist das Gemälde hervorgegangen. Es ist ein entkleideter Mann
mit glänzendem Helm auf dem Kopf: so sah er den Gott in der
Villa Medici, in der Gruppe mit Venus; eine solche Marmor-
statue in der Villa Borghese (jetzt im Louvre) hat er abformen
lassen. Er stellt den wilden Kriegsgott, den homerischen
Stürmer ruhend dar: so war er zu sehn in der Villa Ludovisi
in einer Statue, die man auf Skopas zurückgeführt hat; das
linke Bein ist da ähnlich in die Höhe gezogen. Auch dieses
sonst als Gladiator bezeichnete Werk brachte er im Abguss mit.

Das Motiv der Ruhe ist das dominirende in dem Gemälde.
Er hat Rüstung und Kleider abgeworfen und sich auf den Rand
eines Feldbetts niedergesetzt. Grade in der Nachlässigkeit der
Haltung erhält man vielleicht besser als in der Spannung des
Kampfs den Eindruck des gewaltigen Gefüges dieses Baus und
der in ihm schlummernden Kräfte. Sogar die Rechte, mit dem
Stock (einer Streitaxt?) steckt unter dem Mantel, wer könnte die
Rechte des Mars ohne Beunruhigung sehn? Dieser rothe Mantel
fliesst zu beiden Seiten des Lagers herab und spiegelt sich im
Schilde: eine Anspielung auf den „blutbefleckten Menschenver-
tilger“ Homers.

Was die Formen betrifft, so wird Niemand von Velazquez er-
warten, dass er eine Statue kopire, er konnte auch den Mars nur
malen, wenn er irgendwo einen Menschen ausfindig machte, der
ihm zu dem was er von dem griechischen „Menschenmörder“
gelesen, zu passen schien. Ares wird von dem Dichter als ein
rohes Wesen geschildert; die Alten gaben ihm eine derbe
Muskulatur, starken Nacken, kurzgelockte und gesträubte Haare.
Sollen wir ihn tadeln, dass er das Musterbild des „Rasenden,
der kein Gesetz kennt“ in einer Gestalt aus den Horden der
Tilly und Marradas fand? Es ist ein „eherner“ (Ilias 5, 866)
Körper, von mächtigem aber ebenmässigem Knochengerüste, wie
bei dem farnesischen Herkules erscheint die Brust zwischen den
gewaltigen Oberarmen wie eingeengt: ein Körper von merkwür-
diger Festigkeit des Fleisches, der neben der allzu gleichmässig
gespannten Muskulatur Bonarroti’s und der gedunsenen der
Schule des Rubens den Vorzug voller Wahrheit der Fett- und
Hautdecke hat.

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[364/0388] Siebentes Buch. Man kann sich ungefähr denken, wie der Maler auf diese Darstellung gekommen ist. Er hatte in Rom bei der Auswahl der Abgüsse mehrere Darstellungen des Ares sich angesehn, aus solchen Anregungen ist das Gemälde hervorgegangen. Es ist ein entkleideter Mann mit glänzendem Helm auf dem Kopf: so sah er den Gott in der Villa Medici, in der Gruppe mit Venus; eine solche Marmor- statue in der Villa Borghese (jetzt im Louvre) hat er abformen lassen. Er stellt den wilden Kriegsgott, den homerischen Stürmer ruhend dar: so war er zu sehn in der Villa Ludovisi in einer Statue, die man auf Skopas zurückgeführt hat; das linke Bein ist da ähnlich in die Höhe gezogen. Auch dieses sonst als Gladiator bezeichnete Werk brachte er im Abguss mit. Das Motiv der Ruhe ist das dominirende in dem Gemälde. Er hat Rüstung und Kleider abgeworfen und sich auf den Rand eines Feldbetts niedergesetzt. Grade in der Nachlässigkeit der Haltung erhält man vielleicht besser als in der Spannung des Kampfs den Eindruck des gewaltigen Gefüges dieses Baus und der in ihm schlummernden Kräfte. Sogar die Rechte, mit dem Stock (einer Streitaxt?) steckt unter dem Mantel, wer könnte die Rechte des Mars ohne Beunruhigung sehn? Dieser rothe Mantel fliesst zu beiden Seiten des Lagers herab und spiegelt sich im Schilde: eine Anspielung auf den „blutbefleckten Menschenver- tilger“ Homers. Was die Formen betrifft, so wird Niemand von Velazquez er- warten, dass er eine Statue kopire, er konnte auch den Mars nur malen, wenn er irgendwo einen Menschen ausfindig machte, der ihm zu dem was er von dem griechischen „Menschenmörder“ gelesen, zu passen schien. Ares wird von dem Dichter als ein rohes Wesen geschildert; die Alten gaben ihm eine derbe Muskulatur, starken Nacken, kurzgelockte und gesträubte Haare. Sollen wir ihn tadeln, dass er das Musterbild des „Rasenden, der kein Gesetz kennt“ in einer Gestalt aus den Horden der Tilly und Marradas fand? Es ist ein „eherner“ (Ilias 5, 866) Körper, von mächtigem aber ebenmässigem Knochengerüste, wie bei dem farnesischen Herkules erscheint die Brust zwischen den gewaltigen Oberarmen wie eingeengt: ein Körper von merkwür- diger Festigkeit des Fleisches, der neben der allzu gleichmässig gespannten Muskulatur Bonarroti’s und der gedunsenen der Schule des Rubens den Vorzug voller Wahrheit der Fett- und Hautdecke hat.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 2. Bonn, 1888, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez02_1888/388>, abgerufen am 28.03.2024.