Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

Bild:
<< vorherige Seite

Siebent. Kap. Vom Ursprung der Japaner etc.
nere Kriege geführt wurden; da die Japaner durch Hungersnoth auch oft viele 1000
Menschen verlohren: so folgt daraus offenbar, daß sie nicht damals zuerst hier entstanden
seyn können, sondern schon viele Jahrhunderte vorher in diesem Lande gewohnt und eine
zahlreiche Nation ausgemacht haben müssen. Man müste sonst annehmen, daß sie kurz
vorher ein andres großes Reich verlassen und dieses Land bezogen hätten, oder auch plözlich
wie Erdschwämme aus der Erde hervorgekommen wären. Beide Meinungen sind, wie
man sieht, lächerlich.*)

Die wahrscheinlichere Meinung ist vielmehr, daß die Japaner nach der Lage der
Landschaften, welche durch Berge, Ströhme und Seen von einander getrennt sind, in viele
Heerden und Haufen vertheilt, mehrere Jahrhunderte hindurch fortgelebt haben, bis endlich
der glükliche japanische Ninus Dsin Mu Ten Oo durch List, Gewalt, oder freye Wahl
der Herr der ganzen Nation wurde, und sie unter einer monarchischen Regierungsform
vereinigte.

Seit diesem ihrem ersten Monarchen beschreiben die Japaner die Thaten und Be-
gebenheiten ihres Volks mit einer ganz unfehlbaren Zeitrechnung. So wie der Dadsino
Mikotto
unter den himlischen Göttern wie der Tendsjo Daiosjn unter den irdischen Göt-
tern, so ist dieser erste Monarch Dsin Mu Ten Oo unter den Menschen der erste und
gröste. Jn seiner Familie ist denn auch das Recht der kaiserlichen Gewalt, die Ausübung
nicht mehr, wie ich weiter unten zeigen werde, nebst einem anbetenswürdigen Ansehn erblich
geblieben bis zu dem jezt regierenden 114ten Mikaddo, dem Kin san Kwo tei.

Diese Herrschaft hat also bis zu dem Jahre unsrer Zeitrechnung 1700 gewährt
2360 Jahre.



Achtes
*) [Spaltenumbruch]
Die englische Uebersetzung giebt hier den
Werth dieser beiden Meinungen etwas dentlicher
und bestimter an. Die eine, sagt sie, sey lächer-
lich, die andre unwahrscheinlich. Und in der That
ist auch die Behauptung, daß die Japaner aus ei-
[Spaltenumbruch] nem fremden Lande gekommen wären, nicht gerade
lächerlich, ob sie zwar wohl etwas unwahrschein-
lich seyn mag, und keine beweisende Gründe für
sich hat.
P 3

Siebent. Kap. Vom Urſprung der Japaner ꝛc.
nere Kriege gefuͤhrt wurden; da die Japaner durch Hungersnoth auch oft viele 1000
Menſchen verlohren: ſo folgt daraus offenbar, daß ſie nicht damals zuerſt hier entſtanden
ſeyn koͤnnen, ſondern ſchon viele Jahrhunderte vorher in dieſem Lande gewohnt und eine
zahlreiche Nation ausgemacht haben muͤſſen. Man muͤſte ſonſt annehmen, daß ſie kurz
vorher ein andres großes Reich verlaſſen und dieſes Land bezogen haͤtten, oder auch ploͤzlich
wie Erdſchwaͤmme aus der Erde hervorgekommen waͤren. Beide Meinungen ſind, wie
man ſieht, laͤcherlich.*)

Die wahrſcheinlichere Meinung iſt vielmehr, daß die Japaner nach der Lage der
Landſchaften, welche durch Berge, Stroͤhme und Seen von einander getrennt ſind, in viele
Heerden und Haufen vertheilt, mehrere Jahrhunderte hindurch fortgelebt haben, bis endlich
der gluͤkliche japaniſche Ninus Dſin Mu Ten Oo durch Liſt, Gewalt, oder freye Wahl
der Herr der ganzen Nation wurde, und ſie unter einer monarchiſchen Regierungsform
vereinigte.

Seit dieſem ihrem erſten Monarchen beſchreiben die Japaner die Thaten und Be-
gebenheiten ihres Volks mit einer ganz unfehlbaren Zeitrechnung. So wie der Dadſino
Mikotto
unter den himliſchen Goͤttern wie der Tendſjo Daioſjn unter den irdiſchen Goͤt-
tern, ſo iſt dieſer erſte Monarch Dſin Mu Ten Oo unter den Menſchen der erſte und
groͤſte. Jn ſeiner Familie iſt denn auch das Recht der kaiſerlichen Gewalt, die Ausuͤbung
nicht mehr, wie ich weiter unten zeigen werde, nebſt einem anbetenswuͤrdigen Anſehn erblich
geblieben bis zu dem jezt regierenden 114ten Mikaddo, dem Kin ſan Kwo tei.

Dieſe Herrſchaft hat alſo bis zu dem Jahre unſrer Zeitrechnung 1700 gewaͤhrt
2360 Jahre.



Achtes
*) [Spaltenumbruch]
Die engliſche Ueberſetzung giebt hier den
Werth dieſer beiden Meinungen etwas dentlicher
und beſtimter an. Die eine, ſagt ſie, ſey laͤcher-
lich, die andre unwahrſcheinlich. Und in der That
iſt auch die Behauptung, daß die Japaner aus ei-
[Spaltenumbruch] nem fremden Lande gekommen waͤren, nicht gerade
laͤcherlich, ob ſie zwar wohl etwas unwahrſchein-
lich ſeyn mag, und keine beweiſende Gruͤnde fuͤr
ſich hat.
P 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0205" n="117"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Siebent. Kap. Vom Ur&#x017F;prung der Japaner &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
nere Kriege gefu&#x0364;hrt wurden; da die <hi rendition="#fr">Japaner</hi> durch Hungersnoth auch oft viele 1000<lb/>
Men&#x017F;chen verlohren: &#x017F;o folgt daraus offenbar, daß &#x017F;ie nicht damals zuer&#x017F;t hier ent&#x017F;tanden<lb/>
&#x017F;eyn ko&#x0364;nnen, &#x017F;ondern &#x017F;chon viele Jahrhunderte vorher in die&#x017F;em Lande gewohnt und eine<lb/>
zahlreiche Nation ausgemacht haben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Man mu&#x0364;&#x017F;te &#x017F;on&#x017F;t annehmen, daß &#x017F;ie kurz<lb/>
vorher ein andres großes Reich verla&#x017F;&#x017F;en und die&#x017F;es Land bezogen ha&#x0364;tten, oder auch plo&#x0364;zlich<lb/>
wie Erd&#x017F;chwa&#x0364;mme aus der Erde hervorgekommen wa&#x0364;ren. Beide Meinungen &#x017F;ind, wie<lb/>
man &#x017F;ieht, la&#x0364;cherlich.<note place="foot" n="*)"><cb/><lb/>
Die engli&#x017F;che Ueber&#x017F;etzung giebt hier den<lb/>
Werth die&#x017F;er beiden Meinungen etwas dentlicher<lb/>
und be&#x017F;timter an. Die eine, &#x017F;agt &#x017F;ie, &#x017F;ey la&#x0364;cher-<lb/>
lich, die andre unwahr&#x017F;cheinlich. Und in der That<lb/>
i&#x017F;t auch die Behauptung, daß die Japaner aus ei-<lb/><cb/>
nem fremden Lande gekommen wa&#x0364;ren, nicht gerade<lb/>
la&#x0364;cherlich, ob &#x017F;ie zwar wohl etwas unwahr&#x017F;chein-<lb/>
lich &#x017F;eyn mag, und keine bewei&#x017F;ende Gru&#x0364;nde fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;ich hat.</note></p><lb/>
          <p>Die wahr&#x017F;cheinlichere Meinung i&#x017F;t vielmehr, daß die <hi rendition="#fr">Japaner</hi> nach der Lage der<lb/>
Land&#x017F;chaften, welche durch Berge, Stro&#x0364;hme und Seen von einander getrennt &#x017F;ind, in viele<lb/>
Heerden und Haufen vertheilt, mehrere Jahrhunderte hindurch fortgelebt haben, bis endlich<lb/>
der glu&#x0364;kliche japani&#x017F;che <hi rendition="#fr">Ninus D&#x017F;in Mu Ten Oo</hi> durch Li&#x017F;t, Gewalt, oder freye Wahl<lb/>
der Herr der ganzen Nation wurde, und &#x017F;ie unter einer monarchi&#x017F;chen Regierungsform<lb/>
vereinigte.</p><lb/>
          <p>Seit die&#x017F;em ihrem er&#x017F;ten Monarchen be&#x017F;chreiben die <hi rendition="#fr">Japaner</hi> die Thaten und Be-<lb/>
gebenheiten ihres Volks mit einer ganz unfehlbaren Zeitrechnung. So wie der <hi rendition="#fr">Dad&#x017F;ino<lb/>
Mikotto</hi> unter den himli&#x017F;chen Go&#x0364;ttern wie der <hi rendition="#fr">Tend&#x017F;jo Daio&#x017F;jn</hi> unter den irdi&#x017F;chen Go&#x0364;t-<lb/>
tern, &#x017F;o i&#x017F;t die&#x017F;er er&#x017F;te Monarch <hi rendition="#fr">D&#x017F;in Mu Ten Oo</hi> unter den Men&#x017F;chen der <hi rendition="#fr">er&#x017F;te</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">gro&#x0364;&#x017F;te.</hi> Jn &#x017F;einer Familie i&#x017F;t denn auch das Recht der kai&#x017F;erlichen Gewalt, die Ausu&#x0364;bung<lb/>
nicht mehr, wie ich weiter unten zeigen werde, neb&#x017F;t einem anbetenswu&#x0364;rdigen An&#x017F;ehn erblich<lb/>
geblieben bis zu dem jezt regierenden 114<hi rendition="#fr">ten Mikaddo,</hi> dem <hi rendition="#fr">Kin &#x017F;an Kwo tei.</hi></p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e Herr&#x017F;chaft hat al&#x017F;o bis zu dem Jahre un&#x017F;rer Zeitrechnung 1700 gewa&#x0364;hrt<lb/>
2360 Jahre.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">P 3</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Achtes</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0205] Siebent. Kap. Vom Urſprung der Japaner ꝛc. nere Kriege gefuͤhrt wurden; da die Japaner durch Hungersnoth auch oft viele 1000 Menſchen verlohren: ſo folgt daraus offenbar, daß ſie nicht damals zuerſt hier entſtanden ſeyn koͤnnen, ſondern ſchon viele Jahrhunderte vorher in dieſem Lande gewohnt und eine zahlreiche Nation ausgemacht haben muͤſſen. Man muͤſte ſonſt annehmen, daß ſie kurz vorher ein andres großes Reich verlaſſen und dieſes Land bezogen haͤtten, oder auch ploͤzlich wie Erdſchwaͤmme aus der Erde hervorgekommen waͤren. Beide Meinungen ſind, wie man ſieht, laͤcherlich. *) Die wahrſcheinlichere Meinung iſt vielmehr, daß die Japaner nach der Lage der Landſchaften, welche durch Berge, Stroͤhme und Seen von einander getrennt ſind, in viele Heerden und Haufen vertheilt, mehrere Jahrhunderte hindurch fortgelebt haben, bis endlich der gluͤkliche japaniſche Ninus Dſin Mu Ten Oo durch Liſt, Gewalt, oder freye Wahl der Herr der ganzen Nation wurde, und ſie unter einer monarchiſchen Regierungsform vereinigte. Seit dieſem ihrem erſten Monarchen beſchreiben die Japaner die Thaten und Be- gebenheiten ihres Volks mit einer ganz unfehlbaren Zeitrechnung. So wie der Dadſino Mikotto unter den himliſchen Goͤttern wie der Tendſjo Daioſjn unter den irdiſchen Goͤt- tern, ſo iſt dieſer erſte Monarch Dſin Mu Ten Oo unter den Menſchen der erſte und groͤſte. Jn ſeiner Familie iſt denn auch das Recht der kaiſerlichen Gewalt, die Ausuͤbung nicht mehr, wie ich weiter unten zeigen werde, nebſt einem anbetenswuͤrdigen Anſehn erblich geblieben bis zu dem jezt regierenden 114ten Mikaddo, dem Kin ſan Kwo tei. Dieſe Herrſchaft hat alſo bis zu dem Jahre unſrer Zeitrechnung 1700 gewaͤhrt 2360 Jahre. Achtes *) Die engliſche Ueberſetzung giebt hier den Werth dieſer beiden Meinungen etwas dentlicher und beſtimter an. Die eine, ſagt ſie, ſey laͤcher- lich, die andre unwahrſcheinlich. Und in der That iſt auch die Behauptung, daß die Japaner aus ei- nem fremden Lande gekommen waͤren, nicht gerade laͤcherlich, ob ſie zwar wohl etwas unwahrſchein- lich ſeyn mag, und keine beweiſende Gruͤnde fuͤr ſich hat. P 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/205
Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/205>, abgerufen am 29.03.2024.