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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Kämpfers Geschichte von Japan. Erstes Buch.
jene weichen. Die freye Luft können sie weniger als die Maulwürfe vertragen, und schützen
sich gegen dieselbe in zarten dünnen Laufgräben, welche sie auf ihren Wegen immer voraus
setzen, und auf dem Boden ankleben; es ist dies eine Substanz wie die Schoten der Erd-
wespen. Jch habe von ihren schnellen und schädlichen Zügen viele Exempel gehört. Mir
ist selbst in der Festng Coijlang auf Malabar in dem Hause des Commendanten begegnet,
daß, da ich um Mitternacht von meinem Schreibtisch aufstand, mich schlafen zu legen, und
mit dem Morgen mich wieder hinsezte, so fand ich einen verschlossenen Laufgraben von der
Dicke eines Fingers. Dieser war aus dem Estrich von unten durch die Länge des Fußes
aufgebohret, reichte quer über die unverlezte Tafelfläche, und weiter war noch die halbe Länge
des gegen über stehenden Fußes hinuntergebohret, woselbst das übrige bis auf den Boden
mit einer runden Rinne ferner ablief. Viele glauben, daß ihre Exkremente die Ursache
einer so schnellen Durchbohrung sind: ich finde dieses nicht, wohl aber an ihrem Maule
vier hervorstehende Zangen, womit sie dieses ausrichten können.

Tausendbeine.

Millepedes, gemeiniglich auf japanisch Mukadde und nach ihrem Character
Goko genant, sind nicht Aselli oder Kellerschaben, sondern die in Jndien sogenante
Tausendbeine, beinahe einen Finger lang, schmahl, bräunlich und an beiden Seiten befüßt.
Sie sind in Jndien sehr giftig, und schmerzt ihr Bis mehr als der Stich eines Scorpions.
Hier giebt es wenige, und sie thun selten Schaden. Der Bis wird mit Speichel bestrichen
und so geheilet. Die Eidexen, welche sich hier aufhalten, sind nur von gemeiner Art.

Schlangen.

Es giebt hier wenige Arten von Schlangen. Eine berühmte Art unter denselben
Firakutz und Fibakarri genant, hat eine grüne Farbe, einen platten Kopf und scharfe
Zähne. Diese Schlange hat ihren Namen von der Tageslänge; weil nemlich derjenige,
welcher von ihr gebissen wird, mit der Sonnen Untergang sterben mus. Die Soldaten
sind begierig nach ihrem Fleische, weil ihm die Kraft zugeschrieben wird, daß der Genus
streng und beherzt mache. Jn verschlossenen Töpfen*) calcinirt, giebt sie ein berühmtes
Pulver, Gawatso genant, welches innerlich gegen verschiedene Krankheiten gegeben wird.
Man sagt, wenn dieses Pulver unter den Tropfenfal eines Hauses zerstreuet wird, so sol
es in weniger Zeit andere Schlangen hervorbringen. Diese Art ist mir außerdem nirgend
als auf der Küste Coromandel bei den Brachmanen vorgekommen.

Jama-
*) Jn der engl. Uebers. "Diese Schlange in irdenen, hermetisch versiegelten Töpfen, calcinirt u. s. f."

Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch.
jene weichen. Die freye Luft koͤnnen ſie weniger als die Maulwuͤrfe vertragen, und ſchuͤtzen
ſich gegen dieſelbe in zarten duͤnnen Laufgraͤben, welche ſie auf ihren Wegen immer voraus
ſetzen, und auf dem Boden ankleben; es iſt dies eine Subſtanz wie die Schoten der Erd-
weſpen. Jch habe von ihren ſchnellen und ſchaͤdlichen Zuͤgen viele Exempel gehoͤrt. Mir
iſt ſelbſt in der Feſtng Coijlang auf Malabar in dem Hauſe des Commendanten begegnet,
daß, da ich um Mitternacht von meinem Schreibtiſch aufſtand, mich ſchlafen zu legen, und
mit dem Morgen mich wieder hinſezte, ſo fand ich einen verſchloſſenen Laufgraben von der
Dicke eines Fingers. Dieſer war aus dem Eſtrich von unten durch die Laͤnge des Fußes
aufgebohret, reichte quer uͤber die unverlezte Tafelflaͤche, und weiter war noch die halbe Laͤnge
des gegen uͤber ſtehenden Fußes hinuntergebohret, woſelbſt das uͤbrige bis auf den Boden
mit einer runden Rinne ferner ablief. Viele glauben, daß ihre Exkremente die Urſache
einer ſo ſchnellen Durchbohrung ſind: ich finde dieſes nicht, wohl aber an ihrem Maule
vier hervorſtehende Zangen, womit ſie dieſes ausrichten koͤnnen.

Tauſendbeine.

Millepedes, gemeiniglich auf japaniſch Mukadde und nach ihrem Character
Goko genant, ſind nicht Aſelli oder Kellerſchaben, ſondern die in Jndien ſogenante
Tauſendbeine, beinahe einen Finger lang, ſchmahl, braͤunlich und an beiden Seiten befuͤßt.
Sie ſind in Jndien ſehr giftig, und ſchmerzt ihr Bis mehr als der Stich eines Scorpions.
Hier giebt es wenige, und ſie thun ſelten Schaden. Der Bis wird mit Speichel beſtrichen
und ſo geheilet. Die Eidexen, welche ſich hier aufhalten, ſind nur von gemeiner Art.

Schlangen.

Es giebt hier wenige Arten von Schlangen. Eine beruͤhmte Art unter denſelben
Firakutz und Fibakarri genant, hat eine gruͤne Farbe, einen platten Kopf und ſcharfe
Zaͤhne. Dieſe Schlange hat ihren Namen von der Tageslaͤnge; weil nemlich derjenige,
welcher von ihr gebiſſen wird, mit der Sonnen Untergang ſterben mus. Die Soldaten
ſind begierig nach ihrem Fleiſche, weil ihm die Kraft zugeſchrieben wird, daß der Genus
ſtreng und beherzt mache. Jn verſchloſſenen Toͤpfen*) calcinirt, giebt ſie ein beruͤhmtes
Pulver, Gawatſò genant, welches innerlich gegen verſchiedene Krankheiten gegeben wird.
Man ſagt, wenn dieſes Pulver unter den Tropfenfal eines Hauſes zerſtreuet wird, ſo ſol
es in weniger Zeit andere Schlangen hervorbringen. Dieſe Art iſt mir außerdem nirgend
als auf der Kuͤſte Coromandel bei den Brachmanen vorgekommen.

Jama-
*) Jn der engl. Ueberſ. „Dieſe Schlange in irdenen, hermetiſch verſiegelten Toͤpfen, calcinirt u. ſ. f.‟
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[144/0234] Kaͤmpfers Geſchichte von Japan. Erſtes Buch. jene weichen. Die freye Luft koͤnnen ſie weniger als die Maulwuͤrfe vertragen, und ſchuͤtzen ſich gegen dieſelbe in zarten duͤnnen Laufgraͤben, welche ſie auf ihren Wegen immer voraus ſetzen, und auf dem Boden ankleben; es iſt dies eine Subſtanz wie die Schoten der Erd- weſpen. Jch habe von ihren ſchnellen und ſchaͤdlichen Zuͤgen viele Exempel gehoͤrt. Mir iſt ſelbſt in der Feſtng Coijlang auf Malabar in dem Hauſe des Commendanten begegnet, daß, da ich um Mitternacht von meinem Schreibtiſch aufſtand, mich ſchlafen zu legen, und mit dem Morgen mich wieder hinſezte, ſo fand ich einen verſchloſſenen Laufgraben von der Dicke eines Fingers. Dieſer war aus dem Eſtrich von unten durch die Laͤnge des Fußes aufgebohret, reichte quer uͤber die unverlezte Tafelflaͤche, und weiter war noch die halbe Laͤnge des gegen uͤber ſtehenden Fußes hinuntergebohret, woſelbſt das uͤbrige bis auf den Boden mit einer runden Rinne ferner ablief. Viele glauben, daß ihre Exkremente die Urſache einer ſo ſchnellen Durchbohrung ſind: ich finde dieſes nicht, wohl aber an ihrem Maule vier hervorſtehende Zangen, womit ſie dieſes ausrichten koͤnnen. Tauſendbeine. Millepedes, gemeiniglich auf japaniſch Mukadde und nach ihrem Character Goko genant, ſind nicht Aſelli oder Kellerſchaben, ſondern die in Jndien ſogenante Tauſendbeine, beinahe einen Finger lang, ſchmahl, braͤunlich und an beiden Seiten befuͤßt. Sie ſind in Jndien ſehr giftig, und ſchmerzt ihr Bis mehr als der Stich eines Scorpions. Hier giebt es wenige, und ſie thun ſelten Schaden. Der Bis wird mit Speichel beſtrichen und ſo geheilet. Die Eidexen, welche ſich hier aufhalten, ſind nur von gemeiner Art. Schlangen. Es giebt hier wenige Arten von Schlangen. Eine beruͤhmte Art unter denſelben Firakutz und Fibakarri genant, hat eine gruͤne Farbe, einen platten Kopf und ſcharfe Zaͤhne. Dieſe Schlange hat ihren Namen von der Tageslaͤnge; weil nemlich derjenige, welcher von ihr gebiſſen wird, mit der Sonnen Untergang ſterben mus. Die Soldaten ſind begierig nach ihrem Fleiſche, weil ihm die Kraft zugeſchrieben wird, daß der Genus ſtreng und beherzt mache. Jn verſchloſſenen Toͤpfen *) calcinirt, giebt ſie ein beruͤhmtes Pulver, Gawatſò genant, welches innerlich gegen verſchiedene Krankheiten gegeben wird. Man ſagt, wenn dieſes Pulver unter den Tropfenfal eines Hauſes zerſtreuet wird, ſo ſol es in weniger Zeit andere Schlangen hervorbringen. Dieſe Art iſt mir außerdem nirgend als auf der Kuͤſte Coromandel bei den Brachmanen vorgekommen. Jama- *) Jn der engl. Ueberſ. „Dieſe Schlange in irdenen, hermetiſch verſiegelten Toͤpfen, calcinirt u. ſ. f.‟

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/234>, abgerufen am 23.04.2024.