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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Von den sintoschen Tempeln, Glauben und Götterdienst.
eine Folge der so langwierigen und mühsamen Reise gewesen, noch öfter aber erdichtet, um
eine solche Walfarth nicht umsonst gemacht zu haben.

Das Fleisch von vierfüßigen Thieren, (nur das von Hirschen ausgenommen)
kan ohne große Entheiligung nicht genossen werden. Wer davon ißt, wird auf dreißig
Tage Fusjo.
Wer zweifüßiges oder gefiedertes Wild ißt (ausser Wasservögel, wilde
Hühner und den Kranich) mus sich eine japanische Stunde, d. i. zwei europäische,
Fusjo halten. Wer ein Thier tödtet, einer Hinrichtung beiwohnt, bey einem Sterben-
den gegenwärtig ist, oder in ein Haus trit, worin sich eine Leiche befindet, ist für den
Tag, da dies geschehn, Fusjo oder unrein. Unter allen Dingen aber, die den Men-
schen verunreinigen, ist nichts ärgers, als der Tod der Eltern oder naher Verwanten. Die
Unreinigkeit dieses Ereignisses verbreitet sich durch die ganze Familie, und ist nach den
Graden der Verwandschaft stärker oder schwächer, nach welchen die Zeit und Dauer der
Unreinigkeit in ihren Büchern sehr weitläustig und genau berechnet ist.

Dies sind die vornehmsten Arten der äußern Unreinigkeit, welche die Götter has-
sen, und welche die Folge (noch außer der Trauer) haben, daß sie die Menschen unfähig
machen vor dem Angesicht der Götter zu erscheinen. Gewissenhafte Menschen, die nach
dem Ruf einer spiegelreinen Heiligkeit sich bestreben, bilden sich ein, daß sie auch noch auf
andere Art, nemlich durch Theilnehmung an fremder Unreinigkeit, selbst beflekt werden.

Diese Theilnehmung geschieht, wenn sie die Augen, die unreine Dinge sehn; den
Mund, der davon spricht, und die Ohren, die davon reden hörten, erblicken. Diese drei
Wege der Sünde und Verunreinigung werden vorgestelt durch das Sinbild von drei Affen,
welche zu den Füßen des Dsiso oder eines andern tugendhaften Götzens sitzen, und von de-
nen der eine mit seinen Vorderfüßen den Mund, der andere die Augen, der dritte die Oh-
ren bedekt. Dies Sinbild ist von den Budsdo entlehnt, in deren Tempeln man es haufig
sieht. Wir finden es auch oft an den Heerstraßen.

Jch kante zu Nangasacki einen Man, der sich einer so großen äußern Heiligkeit
beflis, daß er sein Haus allemal säubern und mit Salz und Wasser von oben bis unten
besprengen lies, so bald er einen Besuch von jemand erhielt, den er auch nur im Verdacht
hatte, daß er Fusjo seyn möchte. Kluge Japaner aber hielten ihn für einen Heuchler,
und eben wegen der so übertriebnen Reinigkeit für keinen rechtschaffenen Menschen.



Drittes
L l

Von den ſintoſchen Tempeln, Glauben und Goͤtterdienſt.
eine Folge der ſo langwierigen und muͤhſamen Reiſe geweſen, noch oͤfter aber erdichtet, um
eine ſolche Walfarth nicht umſonſt gemacht zu haben.

Das Fleiſch von vierfuͤßigen Thieren, (nur das von Hirſchen ausgenommen)
kan ohne große Entheiligung nicht genoſſen werden. Wer davon ißt, wird auf dreißig
Tage Fusjo.
Wer zweifuͤßiges oder gefiedertes Wild ißt (auſſer Waſſervoͤgel, wilde
Huͤhner und den Kranich) mus ſich eine japaniſche Stunde, d. i. zwei europaͤiſche,
Fusjo halten. Wer ein Thier toͤdtet, einer Hinrichtung beiwohnt, bey einem Sterben-
den gegenwaͤrtig iſt, oder in ein Haus trit, worin ſich eine Leiche befindet, iſt fuͤr den
Tag, da dies geſchehn, Fusjo oder unrein. Unter allen Dingen aber, die den Men-
ſchen verunreinigen, iſt nichts aͤrgers, als der Tod der Eltern oder naher Verwanten. Die
Unreinigkeit dieſes Ereigniſſes verbreitet ſich durch die ganze Familie, und iſt nach den
Graden der Verwandſchaft ſtaͤrker oder ſchwaͤcher, nach welchen die Zeit und Dauer der
Unreinigkeit in ihren Buͤchern ſehr weitlaͤuſtig und genau berechnet iſt.

Dies ſind die vornehmſten Arten der aͤußern Unreinigkeit, welche die Goͤtter haſ-
ſen, und welche die Folge (noch außer der Trauer) haben, daß ſie die Menſchen unfaͤhig
machen vor dem Angeſicht der Goͤtter zu erſcheinen. Gewiſſenhafte Menſchen, die nach
dem Ruf einer ſpiegelreinen Heiligkeit ſich beſtreben, bilden ſich ein, daß ſie auch noch auf
andere Art, nemlich durch Theilnehmung an fremder Unreinigkeit, ſelbſt beflekt werden.

Dieſe Theilnehmung geſchieht, wenn ſie die Augen, die unreine Dinge ſehn; den
Mund, der davon ſpricht, und die Ohren, die davon reden hoͤrten, erblicken. Dieſe drei
Wege der Suͤnde und Verunreinigung werden vorgeſtelt durch das Sinbild von drei Affen,
welche zu den Fuͤßen des Dſiſo oder eines andern tugendhaften Goͤtzens ſitzen, und von de-
nen der eine mit ſeinen Vorderfuͤßen den Mund, der andere die Augen, der dritte die Oh-
ren bedekt. Dies Sinbild iſt von den Budſdo entlehnt, in deren Tempeln man es haufig
ſieht. Wir finden es auch oft an den Heerſtraßen.

Jch kante zu Nangaſacki einen Man, der ſich einer ſo großen aͤußern Heiligkeit
beflis, daß er ſein Haus allemal ſaͤubern und mit Salz und Waſſer von oben bis unten
beſprengen lies, ſo bald er einen Beſuch von jemand erhielt, den er auch nur im Verdacht
hatte, daß er Fusjo ſeyn moͤchte. Kluge Japaner aber hielten ihn fuͤr einen Heuchler,
und eben wegen der ſo uͤbertriebnen Reinigkeit fuͤr keinen rechtſchaffenen Menſchen.



Drittes
L l
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[265/0371] Von den ſintoſchen Tempeln, Glauben und Goͤtterdienſt. eine Folge der ſo langwierigen und muͤhſamen Reiſe geweſen, noch oͤfter aber erdichtet, um eine ſolche Walfarth nicht umſonſt gemacht zu haben. Das Fleiſch von vierfuͤßigen Thieren, (nur das von Hirſchen ausgenommen) kan ohne große Entheiligung nicht genoſſen werden. Wer davon ißt, wird auf dreißig Tage Fusjo. Wer zweifuͤßiges oder gefiedertes Wild ißt (auſſer Waſſervoͤgel, wilde Huͤhner und den Kranich) mus ſich eine japaniſche Stunde, d. i. zwei europaͤiſche, Fusjo halten. Wer ein Thier toͤdtet, einer Hinrichtung beiwohnt, bey einem Sterben- den gegenwaͤrtig iſt, oder in ein Haus trit, worin ſich eine Leiche befindet, iſt fuͤr den Tag, da dies geſchehn, Fusjo oder unrein. Unter allen Dingen aber, die den Men- ſchen verunreinigen, iſt nichts aͤrgers, als der Tod der Eltern oder naher Verwanten. Die Unreinigkeit dieſes Ereigniſſes verbreitet ſich durch die ganze Familie, und iſt nach den Graden der Verwandſchaft ſtaͤrker oder ſchwaͤcher, nach welchen die Zeit und Dauer der Unreinigkeit in ihren Buͤchern ſehr weitlaͤuſtig und genau berechnet iſt. Dies ſind die vornehmſten Arten der aͤußern Unreinigkeit, welche die Goͤtter haſ- ſen, und welche die Folge (noch außer der Trauer) haben, daß ſie die Menſchen unfaͤhig machen vor dem Angeſicht der Goͤtter zu erſcheinen. Gewiſſenhafte Menſchen, die nach dem Ruf einer ſpiegelreinen Heiligkeit ſich beſtreben, bilden ſich ein, daß ſie auch noch auf andere Art, nemlich durch Theilnehmung an fremder Unreinigkeit, ſelbſt beflekt werden. Dieſe Theilnehmung geſchieht, wenn ſie die Augen, die unreine Dinge ſehn; den Mund, der davon ſpricht, und die Ohren, die davon reden hoͤrten, erblicken. Dieſe drei Wege der Suͤnde und Verunreinigung werden vorgeſtelt durch das Sinbild von drei Affen, welche zu den Fuͤßen des Dſiſo oder eines andern tugendhaften Goͤtzens ſitzen, und von de- nen der eine mit ſeinen Vorderfuͤßen den Mund, der andere die Augen, der dritte die Oh- ren bedekt. Dies Sinbild iſt von den Budſdo entlehnt, in deren Tempeln man es haufig ſieht. Wir finden es auch oft an den Heerſtraßen. Jch kante zu Nangaſacki einen Man, der ſich einer ſo großen aͤußern Heiligkeit beflis, daß er ſein Haus allemal ſaͤubern und mit Salz und Waſſer von oben bis unten beſprengen lies, ſo bald er einen Beſuch von jemand erhielt, den er auch nur im Verdacht hatte, daß er Fusjo ſeyn moͤchte. Kluge Japaner aber hielten ihn fuͤr einen Heuchler, und eben wegen der ſo uͤbertriebnen Reinigkeit fuͤr keinen rechtſchaffenen Menſchen. Drittes L l

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/371>, abgerufen am 25.04.2024.