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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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der reinen practischen Vernunft.
jenigen, der Gold zur Ausgabe braucht, gänzlich einerley ist,
ob die Materie desselben, das Gold, aus dem Gebirge gegra-
ben, oder aus dem Sande gewaschen ist, wenn es nur allent-
halben für denselben Werth angenommen wird, so frägt kein
Mensch, wenn es ihm blos an der Annehmlichkeit des Lebens
gelegen ist, ob Verstandes- oder Sinnesvorstellungen, sondern
nur wie viel und großes Vergnügen sie ihm auf die längste
Zeit verschaffen. Nur diejenigen, welche der reinen Vernunft
das Vermögen, ohne Voraussetzung irgend eines Gefühls den
Willen zu bestimmen, gerne abstreiten möchten, können sich
so weit von ihrer eigenen Erklärung verirren, das, was sie
selbst vorher auf ein und eben dasselbe Princip gebracht haben,
dennoch hernach für ganz ungleichartig zu erklären. So findet
sich z. B. daß man auch an bloßer Kraftanwendung, an
dem Bewußtseyn seiner Seelenstärke in Ueberwindung der
Hindernisse, die sich unserem Vorsatze entgegensetzen, an der
Cultur der Geistestalente, u. s. w., Vergnügen finden könne,
und wir nennen das mit Recht feinere Freuden und Er-
götzungen, weil sie mehr, wie andere, in unserer Gewalt
sind, sich nicht abnutzen, das Gefühl zu noch mehrerem Ge-
nuß derselben vielmehr stärken, und, indem sie ergötzen, zu-
gleich cultiviren. Allein sie darum für eine andere Art, den
Willen zu bestimmen, als blos durch den Sinn, auszugeben,
da sie doch einmal, zur Möglichkeit jener Vergnügen, ein dar-
auf in uns angelegtes Gefühl, als erste Bedingung dieses
Wohlgefallens, voraussetzen, ist gerade so, als wenn Un-
wissende, die gerne in der Metaphysik pfuschern möchten, sich
die Materie so fein, so überfein, daß sie selbst darüber schwind-
lich werden möchten, denken, und dann glauben, auf diese Art
sich ein geistiges und doch ausgedehntes Wesen erdacht zu ha-
ben. Wenn wir es, mit dem Epicur, bey der Tugend aufs

bloße

der reinen practiſchen Vernunft.
jenigen, der Gold zur Ausgabe braucht, gaͤnzlich einerley iſt,
ob die Materie deſſelben, das Gold, aus dem Gebirge gegra-
ben, oder aus dem Sande gewaſchen iſt, wenn es nur allent-
halben fuͤr denſelben Werth angenommen wird, ſo fraͤgt kein
Menſch, wenn es ihm blos an der Annehmlichkeit des Lebens
gelegen iſt, ob Verſtandes- oder Sinnesvorſtellungen, ſondern
nur wie viel und großes Vergnuͤgen ſie ihm auf die laͤngſte
Zeit verſchaffen. Nur diejenigen, welche der reinen Vernunft
das Vermoͤgen, ohne Vorausſetzung irgend eines Gefuͤhls den
Willen zu beſtimmen, gerne abſtreiten moͤchten, koͤnnen ſich
ſo weit von ihrer eigenen Erklaͤrung verirren, das, was ſie
ſelbſt vorher auf ein und eben daſſelbe Princip gebracht haben,
dennoch hernach fuͤr ganz ungleichartig zu erklaͤren. So findet
ſich z. B. daß man auch an bloßer Kraftanwendung, an
dem Bewußtſeyn ſeiner Seelenſtaͤrke in Ueberwindung der
Hinderniſſe, die ſich unſerem Vorſatze entgegenſetzen, an der
Cultur der Geiſtestalente, u. ſ. w., Vergnuͤgen finden koͤnne,
und wir nennen das mit Recht feinere Freuden und Er-
goͤtzungen, weil ſie mehr, wie andere, in unſerer Gewalt
ſind, ſich nicht abnutzen, das Gefuͤhl zu noch mehrerem Ge-
nuß derſelben vielmehr ſtaͤrken, und, indem ſie ergoͤtzen, zu-
gleich cultiviren. Allein ſie darum fuͤr eine andere Art, den
Willen zu beſtimmen, als blos durch den Sinn, auszugeben,
da ſie doch einmal, zur Moͤglichkeit jener Vergnuͤgen, ein dar-
auf in uns angelegtes Gefuͤhl, als erſte Bedingung dieſes
Wohlgefallens, vorausſetzen, iſt gerade ſo, als wenn Un-
wiſſende, die gerne in der Metaphyſik pfuſchern moͤchten, ſich
die Materie ſo fein, ſo uͤberfein, daß ſie ſelbſt daruͤber ſchwind-
lich werden moͤchten, denken, und dann glauben, auf dieſe Art
ſich ein geiſtiges und doch ausgedehntes Weſen erdacht zu ha-
ben. Wenn wir es, mit dem Epicur, bey der Tugend aufs

bloße
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[43/0051] der reinen practiſchen Vernunft. jenigen, der Gold zur Ausgabe braucht, gaͤnzlich einerley iſt, ob die Materie deſſelben, das Gold, aus dem Gebirge gegra- ben, oder aus dem Sande gewaſchen iſt, wenn es nur allent- halben fuͤr denſelben Werth angenommen wird, ſo fraͤgt kein Menſch, wenn es ihm blos an der Annehmlichkeit des Lebens gelegen iſt, ob Verſtandes- oder Sinnesvorſtellungen, ſondern nur wie viel und großes Vergnuͤgen ſie ihm auf die laͤngſte Zeit verſchaffen. Nur diejenigen, welche der reinen Vernunft das Vermoͤgen, ohne Vorausſetzung irgend eines Gefuͤhls den Willen zu beſtimmen, gerne abſtreiten moͤchten, koͤnnen ſich ſo weit von ihrer eigenen Erklaͤrung verirren, das, was ſie ſelbſt vorher auf ein und eben daſſelbe Princip gebracht haben, dennoch hernach fuͤr ganz ungleichartig zu erklaͤren. So findet ſich z. B. daß man auch an bloßer Kraftanwendung, an dem Bewußtſeyn ſeiner Seelenſtaͤrke in Ueberwindung der Hinderniſſe, die ſich unſerem Vorſatze entgegenſetzen, an der Cultur der Geiſtestalente, u. ſ. w., Vergnuͤgen finden koͤnne, und wir nennen das mit Recht feinere Freuden und Er- goͤtzungen, weil ſie mehr, wie andere, in unſerer Gewalt ſind, ſich nicht abnutzen, das Gefuͤhl zu noch mehrerem Ge- nuß derſelben vielmehr ſtaͤrken, und, indem ſie ergoͤtzen, zu- gleich cultiviren. Allein ſie darum fuͤr eine andere Art, den Willen zu beſtimmen, als blos durch den Sinn, auszugeben, da ſie doch einmal, zur Moͤglichkeit jener Vergnuͤgen, ein dar- auf in uns angelegtes Gefuͤhl, als erſte Bedingung dieſes Wohlgefallens, vorausſetzen, iſt gerade ſo, als wenn Un- wiſſende, die gerne in der Metaphyſik pfuſchern moͤchten, ſich die Materie ſo fein, ſo uͤberfein, daß ſie ſelbſt daruͤber ſchwind- lich werden moͤchten, denken, und dann glauben, auf dieſe Art ſich ein geiſtiges und doch ausgedehntes Weſen erdacht zu ha- ben. Wenn wir es, mit dem Epicur, bey der Tugend aufs bloße

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/51>, abgerufen am 25.04.2024.