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Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788.

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I. Th. I. B. I. Hauptst. Von den Grundsätzen
mungsgrund desselben anführen; denn diese, weit gefehlt, daß
sie zu einer allgemeinen Gesetzgebung tauglich seyn sollte, so
muß sie vielmehr in der Form eines allgemeinen Gesetzes sich
selbst aufreiben.

Es ist daher wunderlich, wie, da die Begierde zur
Glückseligkeit, mithin auch die Maxime, dadurch sich jeder
diese letztere zum Bestimmungsgrunde seines Willens setzt,
allgemein ist, es verständigen Männern habe in den Sinn
kommen können, es darum für ein allgemein practisches Ge-
setz
auszugeben. Denn da sonst ein allgemeines Naturgesetz
alles einstimmig macht, so würde hier, wenn man der Ma-
xime die Allgemeinheit eines Gesetzes geben wollte, grade das
äußerste Widerspiel der Einstimmung, der ärgste Widerstreit
und die gänzliche Vernichtung der Maxime selbst und ihrer
Absicht erfolgen. Denn der Wille Aller hat alsdenn nicht ein
und dasselbe Object, sondern ein jeder hat das seinige (sein
eigenes Wohlbefinden), welches sich zwar zufälligerweise, auch
mit anderer ihren Absichten, die sie gleichfalls auf sich selbst
richten, vertragen kann, aber lange nicht zum Gesetze hinrei-
chend ist, weil die Ausnahmen, die man gelegentlich zu ma-
chen befugt ist, endlos sind, und gar nicht bestimmt in eine
allgemeine Regel befaßt werden können. Es kommt auf diese
Art eine Harmonie heraus, die derjenigen ähnlich ist, welche
ein gewisses Spottgedicht auf die Seeleneintracht zweyer sich
zu Grunde richtenden Eheleute schildert: O wundervolle
Harmonie, was er will, will auch sie etc.
oder was von
der Anheischigmachung König Franz des Ersten gegen Kaiser
Carl den Fünften erzählt wird: was mein Bruder Carl haben
will, (Mayland) das will ich auch haben. Empirische Be-
stimmungsgründe taugen zu keiner allgemeinen äußeren Gesetz-
gebung, aber auch eben so wenig zur innern; denn jeder legt

sein

I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen
mungsgrund deſſelben anfuͤhren; denn dieſe, weit gefehlt, daß
ſie zu einer allgemeinen Geſetzgebung tauglich ſeyn ſollte, ſo
muß ſie vielmehr in der Form eines allgemeinen Geſetzes ſich
ſelbſt aufreiben.

Es iſt daher wunderlich, wie, da die Begierde zur
Gluͤckſeligkeit, mithin auch die Maxime, dadurch ſich jeder
dieſe letztere zum Beſtimmungsgrunde ſeines Willens ſetzt,
allgemein iſt, es verſtaͤndigen Maͤnnern habe in den Sinn
kommen koͤnnen, es darum fuͤr ein allgemein practiſches Ge-
ſetz
auszugeben. Denn da ſonſt ein allgemeines Naturgeſetz
alles einſtimmig macht, ſo wuͤrde hier, wenn man der Ma-
xime die Allgemeinheit eines Geſetzes geben wollte, grade das
aͤußerſte Widerſpiel der Einſtimmung, der aͤrgſte Widerſtreit
und die gaͤnzliche Vernichtung der Maxime ſelbſt und ihrer
Abſicht erfolgen. Denn der Wille Aller hat alsdenn nicht ein
und daſſelbe Object, ſondern ein jeder hat das ſeinige (ſein
eigenes Wohlbefinden), welches ſich zwar zufaͤlligerweiſe, auch
mit anderer ihren Abſichten, die ſie gleichfalls auf ſich ſelbſt
richten, vertragen kann, aber lange nicht zum Geſetze hinrei-
chend iſt, weil die Ausnahmen, die man gelegentlich zu ma-
chen befugt iſt, endlos ſind, und gar nicht beſtimmt in eine
allgemeine Regel befaßt werden koͤnnen. Es kommt auf dieſe
Art eine Harmonie heraus, die derjenigen aͤhnlich iſt, welche
ein gewiſſes Spottgedicht auf die Seeleneintracht zweyer ſich
zu Grunde richtenden Eheleute ſchildert: O wundervolle
Harmonie, was er will, will auch ſie etc.
oder was von
der Anheiſchigmachung Koͤnig Franz des Erſten gegen Kaiſer
Carl den Fuͤnften erzaͤhlt wird: was mein Bruder Carl haben
will, (Mayland) das will ich auch haben. Empiriſche Be-
ſtimmungsgruͤnde taugen zu keiner allgemeinen aͤußeren Geſetz-
gebung, aber auch eben ſo wenig zur innern; denn jeder legt

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[50/0058] I. Th. I. B. I. Hauptſt. Von den Grundſaͤtzen mungsgrund deſſelben anfuͤhren; denn dieſe, weit gefehlt, daß ſie zu einer allgemeinen Geſetzgebung tauglich ſeyn ſollte, ſo muß ſie vielmehr in der Form eines allgemeinen Geſetzes ſich ſelbſt aufreiben. Es iſt daher wunderlich, wie, da die Begierde zur Gluͤckſeligkeit, mithin auch die Maxime, dadurch ſich jeder dieſe letztere zum Beſtimmungsgrunde ſeines Willens ſetzt, allgemein iſt, es verſtaͤndigen Maͤnnern habe in den Sinn kommen koͤnnen, es darum fuͤr ein allgemein practiſches Ge- ſetz auszugeben. Denn da ſonſt ein allgemeines Naturgeſetz alles einſtimmig macht, ſo wuͤrde hier, wenn man der Ma- xime die Allgemeinheit eines Geſetzes geben wollte, grade das aͤußerſte Widerſpiel der Einſtimmung, der aͤrgſte Widerſtreit und die gaͤnzliche Vernichtung der Maxime ſelbſt und ihrer Abſicht erfolgen. Denn der Wille Aller hat alsdenn nicht ein und daſſelbe Object, ſondern ein jeder hat das ſeinige (ſein eigenes Wohlbefinden), welches ſich zwar zufaͤlligerweiſe, auch mit anderer ihren Abſichten, die ſie gleichfalls auf ſich ſelbſt richten, vertragen kann, aber lange nicht zum Geſetze hinrei- chend iſt, weil die Ausnahmen, die man gelegentlich zu ma- chen befugt iſt, endlos ſind, und gar nicht beſtimmt in eine allgemeine Regel befaßt werden koͤnnen. Es kommt auf dieſe Art eine Harmonie heraus, die derjenigen aͤhnlich iſt, welche ein gewiſſes Spottgedicht auf die Seeleneintracht zweyer ſich zu Grunde richtenden Eheleute ſchildert: O wundervolle Harmonie, was er will, will auch ſie etc. oder was von der Anheiſchigmachung Koͤnig Franz des Erſten gegen Kaiſer Carl den Fuͤnften erzaͤhlt wird: was mein Bruder Carl haben will, (Mayland) das will ich auch haben. Empiriſche Be- ſtimmungsgruͤnde taugen zu keiner allgemeinen aͤußeren Geſetz- gebung, aber auch eben ſo wenig zur innern; denn jeder legt ſein

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der practischen Vernunft. Riga, 1788, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_pvernunft_1788/58>, abgerufen am 25.04.2024.