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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch.
Des
Ersten Buchs der transscendentalen
Dialectik

Erster Abschnitt.
Von
den Ideen überhaupt.

Bey dem grossen Reichthum unserer Sprachen findet
sich doch oft der denkende Kopf wegen des Aus-
drucks verlegen, der seinem Begriffe genau anpaßt, und
in dessen Ermangelung, er weder andern, noch so gar
sich selbst recht verständlich werden kan. Neue Wörter
zu schmieden, ist eine Anmassung zum Gesetzgeben in Spra-
chen, die selten gelingt, und, ehe man zu diesem verzwei-
felten Mittel schreitet, ist es rathsam, sich in einer todten
und gelehrten Sprache umzusehen, ob sich daselbst nicht
dieser Begriff samt seinem angemessenen Ausdrucke vorfin-
de, und wenn der alte Gebrauch desselben durch Unbehut-
samkeit ihrer Urheber auch etwas schwankend geworden
wäre, so ist es doch besser, die Bedeutung, die ihm vor-
züglich eigen war, zu bevestigen, (sollte es auch zweifel-
haft bleiben, ob man damals genau eben dieselbe im Sinne
gehabt habe) als sein Geschäfte nur dadurch zu verderben,
daß man sich unverständlich machte.

Um deswillen, wenn sich etwa zu einem gewissen Be-
griffe, nur ein einziges Wort vorfände, das in schon einge-
führter Bedeutung diesem Begriffe genau anpaßt, dessen

Unter-
Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch.
Des
Erſten Buchs der transſcendentalen
Dialectik

Erſter Abſchnitt.
Von
den Ideen uͤberhaupt.

Bey dem groſſen Reichthum unſerer Sprachen findet
ſich doch oft der denkende Kopf wegen des Aus-
drucks verlegen, der ſeinem Begriffe genau anpaßt, und
in deſſen Ermangelung, er weder andern, noch ſo gar
ſich ſelbſt recht verſtaͤndlich werden kan. Neue Woͤrter
zu ſchmieden, iſt eine Anmaſſung zum Geſetzgeben in Spra-
chen, die ſelten gelingt, und, ehe man zu dieſem verzwei-
felten Mittel ſchreitet, iſt es rathſam, ſich in einer todten
und gelehrten Sprache umzuſehen, ob ſich daſelbſt nicht
dieſer Begriff ſamt ſeinem angemeſſenen Ausdrucke vorfin-
de, und wenn der alte Gebrauch deſſelben durch Unbehut-
ſamkeit ihrer Urheber auch etwas ſchwankend geworden
waͤre, ſo iſt es doch beſſer, die Bedeutung, die ihm vor-
zuͤglich eigen war, zu beveſtigen, (ſollte es auch zweifel-
haft bleiben, ob man damals genau eben dieſelbe im Sinne
gehabt habe) als ſein Geſchaͤfte nur dadurch zu verderben,
daß man ſich unverſtaͤndlich machte.

Um deswillen, wenn ſich etwa zu einem gewiſſen Be-
griffe, nur ein einziges Wort vorfaͤnde, das in ſchon einge-
fuͤhrter Bedeutung dieſem Begriffe genau anpaßt, deſſen

Unter-
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[312/0342] Elementarl. II. Th. II. Abth. I. Buch. Des Erſten Buchs der transſcendentalen Dialectik Erſter Abſchnitt. Von den Ideen uͤberhaupt. Bey dem groſſen Reichthum unſerer Sprachen findet ſich doch oft der denkende Kopf wegen des Aus- drucks verlegen, der ſeinem Begriffe genau anpaßt, und in deſſen Ermangelung, er weder andern, noch ſo gar ſich ſelbſt recht verſtaͤndlich werden kan. Neue Woͤrter zu ſchmieden, iſt eine Anmaſſung zum Geſetzgeben in Spra- chen, die ſelten gelingt, und, ehe man zu dieſem verzwei- felten Mittel ſchreitet, iſt es rathſam, ſich in einer todten und gelehrten Sprache umzuſehen, ob ſich daſelbſt nicht dieſer Begriff ſamt ſeinem angemeſſenen Ausdrucke vorfin- de, und wenn der alte Gebrauch deſſelben durch Unbehut- ſamkeit ihrer Urheber auch etwas ſchwankend geworden waͤre, ſo iſt es doch beſſer, die Bedeutung, die ihm vor- zuͤglich eigen war, zu beveſtigen, (ſollte es auch zweifel- haft bleiben, ob man damals genau eben dieſelbe im Sinne gehabt habe) als ſein Geſchaͤfte nur dadurch zu verderben, daß man ſich unverſtaͤndlich machte. Um deswillen, wenn ſich etwa zu einem gewiſſen Be- griffe, nur ein einziges Wort vorfaͤnde, das in ſchon einge- fuͤhrter Bedeutung dieſem Begriffe genau anpaßt, deſſen Unter-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/342>, abgerufen am 25.04.2024.