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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Anmerkung zur zweiten Antinomie.
I. zur Thesis.

Wenn ich von einem Ganzen rede, welches noth-
wendig aus einfachen Theilen besteht, so verstehe ich dar-
unter nur ein substanzielles Ganze, als das eigentliche
Compositum, d. i. dieienige zufällige Einheit des Mannig-
faltigen, welches abgesondert (wenigstens in Gedanken)
gegeben, in eine wechselseitige Verbindung gesezt wird,
und dadurch Eines ausmacht. Den Raum solte man ei-
gentlich nicht Compositum, sondern Totum nennen, weil
die Theile desselben nur im Ganzen und nicht das Ganze
durch die Theile möglich ist. Er würde allenfalls ein
Compositum ideale, aber nicht reale heissen können. Doch
dieses ist nur Subtilität. Da der Raum kein Zusammen-
geseztes aus Substanzen (nicht einmal aus realen Acci-
denzen) ist, so muß, wenn ich alle Zusammensetzung in
ihm aufhebe, nichts, auch nicht einmal der Punct übrig
bleiben; denn dieser ist nur als die Gränze eines Raumes,
(mithin eines Zusammengesezten) möglich. Raum und

Zeit
Anmerkung zur zweiten Antinomie.
I. zur Theſis.

Wenn ich von einem Ganzen rede, welches noth-
wendig aus einfachen Theilen beſteht, ſo verſtehe ich dar-
unter nur ein ſubſtanzielles Ganze, als das eigentliche
Compoſitum, d. i. dieienige zufaͤllige Einheit des Mannig-
faltigen, welches abgeſondert (wenigſtens in Gedanken)
gegeben, in eine wechſelſeitige Verbindung geſezt wird,
und dadurch Eines ausmacht. Den Raum ſolte man ei-
gentlich nicht Compoſitum, ſondern Totum nennen, weil
die Theile deſſelben nur im Ganzen und nicht das Ganze
durch die Theile moͤglich iſt. Er wuͤrde allenfalls ein
Compoſitum ideale, aber nicht reale heiſſen koͤnnen. Doch
dieſes iſt nur Subtilitaͤt. Da der Raum kein Zuſammen-
geſeztes aus Subſtanzen (nicht einmal aus realen Acci-
denzen) iſt, ſo muß, wenn ich alle Zuſammenſetzung in
ihm aufhebe, nichts, auch nicht einmal der Punct uͤbrig
bleiben; denn dieſer iſt nur als die Graͤnze eines Raumes,
(mithin eines Zuſammengeſezten) moͤglich. Raum und

Zeit
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[[438]/0468] Anmerkung zur zweiten Antinomie. I. zur Theſis. Wenn ich von einem Ganzen rede, welches noth- wendig aus einfachen Theilen beſteht, ſo verſtehe ich dar- unter nur ein ſubſtanzielles Ganze, als das eigentliche Compoſitum, d. i. dieienige zufaͤllige Einheit des Mannig- faltigen, welches abgeſondert (wenigſtens in Gedanken) gegeben, in eine wechſelſeitige Verbindung geſezt wird, und dadurch Eines ausmacht. Den Raum ſolte man ei- gentlich nicht Compoſitum, ſondern Totum nennen, weil die Theile deſſelben nur im Ganzen und nicht das Ganze durch die Theile moͤglich iſt. Er wuͤrde allenfalls ein Compoſitum ideale, aber nicht reale heiſſen koͤnnen. Doch dieſes iſt nur Subtilitaͤt. Da der Raum kein Zuſammen- geſeztes aus Subſtanzen (nicht einmal aus realen Acci- denzen) iſt, ſo muß, wenn ich alle Zuſammenſetzung in ihm aufhebe, nichts, auch nicht einmal der Punct uͤbrig bleiben; denn dieſer iſt nur als die Graͤnze eines Raumes, (mithin eines Zuſammengeſezten) moͤglich. Raum und Zeit

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. [438]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/468>, abgerufen am 29.03.2024.