Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptst.
Der
Antinomie der reinen Vernunft
Dritter Abschnitt.

Von dem
Interesse der Vernunft bey diesem ihrem
Widerstreite.

Da haben wir nun das ganze dialectische Spiel der cos-
mologischen Ideen, die es gar nicht verstatten, daß
ihnen ein congruirender Gegenstand in irgend einer mög-
lichen Erfahrung gegeben werde, ia nicht einmal, daß die
Vernunft sie einstimmig mit allgemeinen Erfahrungsgese-
tzen denke, die gleichwol doch nicht willkührlich erdacht sind,
sondern auf welche die Vernunft im continuirlichen Fort-
gange der empirischen Synthesis nothwendig geführt wird,
wenn sie das, was nach Regeln der Erfahrung iederzeit
nur bedingt bestimt werden kan, von aller Bedingung be-
freien und in seiner unbedingten Totalität fassen will.
Diese vernünftelnde Behauptungen sind so viel Versuche,
vier natürliche und unvermeidliche Problemen der Ver-
nunft aufzulösen, deren es also nur gerade so viel, nicht
mehr auch nicht weniger, geben kan, weil es nicht mehr
Reihen synthetischer Voraussetzungen giebt, welche die
empirische Synthesis a priori begränzen.

Wir haben die glänzende Anmassungen, der ihr Ge-
biete über alle Gränzen der Erfahrung erweiternden Ver-
nunft, nur in trokenen Formeln, welche blos den Grund

ihrer
Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt.
Der
Antinomie der reinen Vernunft
Dritter Abſchnitt.

Von dem
Intereſſe der Vernunft bey dieſem ihrem
Widerſtreite.

Da haben wir nun das ganze dialectiſche Spiel der cos-
mologiſchen Ideen, die es gar nicht verſtatten, daß
ihnen ein congruirender Gegenſtand in irgend einer moͤg-
lichen Erfahrung gegeben werde, ia nicht einmal, daß die
Vernunft ſie einſtimmig mit allgemeinen Erfahrungsgeſe-
tzen denke, die gleichwol doch nicht willkuͤhrlich erdacht ſind,
ſondern auf welche die Vernunft im continuirlichen Fort-
gange der empiriſchen Syntheſis nothwendig gefuͤhrt wird,
wenn ſie das, was nach Regeln der Erfahrung iederzeit
nur bedingt beſtimt werden kan, von aller Bedingung be-
freien und in ſeiner unbedingten Totalitaͤt faſſen will.
Dieſe vernuͤnftelnde Behauptungen ſind ſo viel Verſuche,
vier natuͤrliche und unvermeidliche Problemen der Ver-
nunft aufzuloͤſen, deren es alſo nur gerade ſo viel, nicht
mehr auch nicht weniger, geben kan, weil es nicht mehr
Reihen ſynthetiſcher Vorausſetzungen giebt, welche die
empiriſche Syntheſis a priori begraͤnzen.

Wir haben die glaͤnzende Anmaſſungen, der ihr Ge-
biete uͤber alle Graͤnzen der Erfahrung erweiternden Ver-
nunft, nur in trokenen Formeln, welche blos den Grund

ihrer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <pb facs="#f0492" n="462"/>
                    <fw place="top" type="header">Elementarl. <hi rendition="#aq">II.</hi> Th. <hi rendition="#aq">II.</hi> Abth. <hi rendition="#aq">II.</hi> Buch. <hi rendition="#aq">II.</hi> Haupt&#x017F;t.</fw><lb/>
                    <div n="8">
                      <head><hi rendition="#g">Der</hi><lb/><hi rendition="#b">Antinomie der reinen Vernunft<lb/>
Dritter Ab&#x017F;chnitt.</hi><lb/>
Von dem<lb/><hi rendition="#b">Intere&#x017F;&#x017F;e der Vernunft bey die&#x017F;em ihrem<lb/>
Wider&#x017F;treite.</hi></head><lb/>
                      <p><hi rendition="#in">D</hi>a haben wir nun das ganze dialecti&#x017F;che Spiel der cos-<lb/>
mologi&#x017F;chen Ideen, die es gar nicht ver&#x017F;tatten, daß<lb/>
ihnen ein congruirender Gegen&#x017F;tand in irgend einer mo&#x0364;g-<lb/>
lichen Erfahrung gegeben werde, ia nicht einmal, daß die<lb/>
Vernunft &#x017F;ie ein&#x017F;timmig mit allgemeinen Erfahrungsge&#x017F;e-<lb/>
tzen denke, die gleichwol doch nicht willku&#x0364;hrlich erdacht &#x017F;ind,<lb/>
&#x017F;ondern auf welche die Vernunft im continuirlichen Fort-<lb/>
gange der empiri&#x017F;chen Synthe&#x017F;is nothwendig gefu&#x0364;hrt wird,<lb/>
wenn &#x017F;ie das, was nach Regeln der Erfahrung iederzeit<lb/>
nur bedingt be&#x017F;timt werden kan, von aller Bedingung be-<lb/>
freien und in &#x017F;einer unbedingten Totalita&#x0364;t fa&#x017F;&#x017F;en will.<lb/>
Die&#x017F;e vernu&#x0364;nftelnde Behauptungen &#x017F;ind &#x017F;o viel Ver&#x017F;uche,<lb/>
vier natu&#x0364;rliche und unvermeidliche Problemen der Ver-<lb/>
nunft aufzulo&#x0364;&#x017F;en, deren es al&#x017F;o nur gerade &#x017F;o viel, nicht<lb/>
mehr auch nicht weniger, geben kan, weil es nicht mehr<lb/>
Reihen &#x017F;yntheti&#x017F;cher Voraus&#x017F;etzungen giebt, welche die<lb/>
empiri&#x017F;che Synthe&#x017F;is <hi rendition="#aq">a priori</hi> begra&#x0364;nzen.</p><lb/>
                      <p>Wir haben die gla&#x0364;nzende Anma&#x017F;&#x017F;ungen, der ihr Ge-<lb/>
biete u&#x0364;ber alle Gra&#x0364;nzen der Erfahrung erweiternden Ver-<lb/>
nunft, nur in trokenen Formeln, welche blos den Grund<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ihrer</fw><lb/></p>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[462/0492] Elementarl. II. Th. II. Abth. II. Buch. II. Hauptſt. Der Antinomie der reinen Vernunft Dritter Abſchnitt. Von dem Intereſſe der Vernunft bey dieſem ihrem Widerſtreite. Da haben wir nun das ganze dialectiſche Spiel der cos- mologiſchen Ideen, die es gar nicht verſtatten, daß ihnen ein congruirender Gegenſtand in irgend einer moͤg- lichen Erfahrung gegeben werde, ia nicht einmal, daß die Vernunft ſie einſtimmig mit allgemeinen Erfahrungsgeſe- tzen denke, die gleichwol doch nicht willkuͤhrlich erdacht ſind, ſondern auf welche die Vernunft im continuirlichen Fort- gange der empiriſchen Syntheſis nothwendig gefuͤhrt wird, wenn ſie das, was nach Regeln der Erfahrung iederzeit nur bedingt beſtimt werden kan, von aller Bedingung be- freien und in ſeiner unbedingten Totalitaͤt faſſen will. Dieſe vernuͤnftelnde Behauptungen ſind ſo viel Verſuche, vier natuͤrliche und unvermeidliche Problemen der Ver- nunft aufzuloͤſen, deren es alſo nur gerade ſo viel, nicht mehr auch nicht weniger, geben kan, weil es nicht mehr Reihen ſynthetiſcher Vorausſetzungen giebt, welche die empiriſche Syntheſis a priori begraͤnzen. Wir haben die glaͤnzende Anmaſſungen, der ihr Ge- biete uͤber alle Graͤnzen der Erfahrung erweiternden Ver- nunft, nur in trokenen Formeln, welche blos den Grund ihrer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/492
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/492>, abgerufen am 20.04.2024.