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Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781.

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Elementarlehre. I. Th. Transsc. Aesthetik.
eben derselben Zeit. Die Vorstellung, die nur durch einen
einzigen Gegenstand gegeben werden kan, ist aber An-
schauung. Auch würde sich der Satz, daß verschiedene Zei-
ten nicht zugleich seyn können, aus einem allgemeinen Be-
griff nicht herleiten lassen. Der Satz ist synthetisch, und
kan aus Begriffen allein nicht entspringen. Er ist also in
der Anschauung und Vorstellung der Zeit unmittelbar
enthalten.

5) Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als daß
alle bestimmte Grösse der Zeit nur durch Einschränkungen ei-
ner einigen zum Grunde liegenden Zeit möglich sey. Daher
muß die ursprüngliche Vorstellung Zeit, als uneingeschränkt
gegeben seyn. Wovon aber die Theile selbst, und iede
Größe eines Gegenstandes nur durch Einschränkung be-
stimmt vorgestellt werden können, da muß die ganze Vor-
stellung nicht durch Begriffe gegeben seyn, (denn da gehen
die Theilvorstellungen vorher) sondern es muß ihre un-
mittelbare Anschauung zum Grunde liegen.

Schlüsse aus diesen Begriffen.

a) Die Zeit ist nicht etwas, was vor sich selbst be-
stünde, oder denen Dingen als obiective Bestimmung an-
hinge, mithin übrig bliebe, wenn man von allen sub-
iectiven Bedingungen der Anschauung derselben abstrahirt:
denn im ersten Fall würde sie etwas seyn, was ohne wirk-
lichen Gegenstand dennoch wirklich wäre. Was aber das

zweite

Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik.
eben derſelben Zeit. Die Vorſtellung, die nur durch einen
einzigen Gegenſtand gegeben werden kan, iſt aber An-
ſchauung. Auch wuͤrde ſich der Satz, daß verſchiedene Zei-
ten nicht zugleich ſeyn koͤnnen, aus einem allgemeinen Be-
griff nicht herleiten laſſen. Der Satz iſt ſynthetiſch, und
kan aus Begriffen allein nicht entſpringen. Er iſt alſo in
der Anſchauung und Vorſtellung der Zeit unmittelbar
enthalten.

5) Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als daß
alle beſtimmte Groͤſſe der Zeit nur durch Einſchraͤnkungen ei-
ner einigen zum Grunde liegenden Zeit moͤglich ſey. Daher
muß die urſpruͤngliche Vorſtellung Zeit, als uneingeſchraͤnkt
gegeben ſeyn. Wovon aber die Theile ſelbſt, und iede
Groͤße eines Gegenſtandes nur durch Einſchraͤnkung be-
ſtimmt vorgeſtellt werden koͤnnen, da muß die ganze Vor-
ſtellung nicht durch Begriffe gegeben ſeyn, (denn da gehen
die Theilvorſtellungen vorher) ſondern es muß ihre un-
mittelbare Anſchauung zum Grunde liegen.

Schluͤſſe aus dieſen Begriffen.

a) Die Zeit iſt nicht etwas, was vor ſich ſelbſt be-
ſtuͤnde, oder denen Dingen als obiective Beſtimmung an-
hinge, mithin uͤbrig bliebe, wenn man von allen ſub-
iectiven Bedingungen der Anſchauung derſelben abſtrahirt:
denn im erſten Fall wuͤrde ſie etwas ſeyn, was ohne wirk-
lichen Gegenſtand dennoch wirklich waͤre. Was aber das

zweite
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[32/0062] Elementarlehre. I. Th. Transſc. Aeſthetik. eben derſelben Zeit. Die Vorſtellung, die nur durch einen einzigen Gegenſtand gegeben werden kan, iſt aber An- ſchauung. Auch wuͤrde ſich der Satz, daß verſchiedene Zei- ten nicht zugleich ſeyn koͤnnen, aus einem allgemeinen Be- griff nicht herleiten laſſen. Der Satz iſt ſynthetiſch, und kan aus Begriffen allein nicht entſpringen. Er iſt alſo in der Anſchauung und Vorſtellung der Zeit unmittelbar enthalten. 5) Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet nichts weiter, als daß alle beſtimmte Groͤſſe der Zeit nur durch Einſchraͤnkungen ei- ner einigen zum Grunde liegenden Zeit moͤglich ſey. Daher muß die urſpruͤngliche Vorſtellung Zeit, als uneingeſchraͤnkt gegeben ſeyn. Wovon aber die Theile ſelbſt, und iede Groͤße eines Gegenſtandes nur durch Einſchraͤnkung be- ſtimmt vorgeſtellt werden koͤnnen, da muß die ganze Vor- ſtellung nicht durch Begriffe gegeben ſeyn, (denn da gehen die Theilvorſtellungen vorher) ſondern es muß ihre un- mittelbare Anſchauung zum Grunde liegen. Schluͤſſe aus dieſen Begriffen. a) Die Zeit iſt nicht etwas, was vor ſich ſelbſt be- ſtuͤnde, oder denen Dingen als obiective Beſtimmung an- hinge, mithin uͤbrig bliebe, wenn man von allen ſub- iectiven Bedingungen der Anſchauung derſelben abſtrahirt: denn im erſten Fall wuͤrde ſie etwas ſeyn, was ohne wirk- lichen Gegenſtand dennoch wirklich waͤre. Was aber das zweite

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga, 1781, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_rvernunft_1781/62>, abgerufen am 19.04.2024.