Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
ject und dessen inneres Gefühl, und zwar sofern dieses
Urtheil nach einer allgemeinen Regel möglich ist.

§. 16.
Das Geschmacksurtheil, wodurch ein Ge-
genstand unter der Bedingung eines be-
stimmten Begrifs für schön erklärt wird,
ist nicht rein.

Es giebt zweyerley Arten von Schönheit: freye
Schönheit (pulchritudo vaga), oder die blos anhän-
gende Schönheit (pulchritudo adhaerens). Die erstere
setzt keinen Begrif von dem voraus, was der Gegenstand
seyn soll, die zweyte setzt einen solchen und die Vollkom-
menheit des Gegenstandes nach demselben voraus. Die
erstern heißen (für sich bestehende) Schönheiten dieses
oder jenes Dinges, die andere wird als einem Begriffe
anhängend (bedingte Schönheit) Objecten, die unter
dem Begriffe eines besondern Zwecks stehen, beygelegt.

Blumen sind freye Naturschönheiten. Was eine
Blume für ein Ding seyn soll, weiß, außer dem Bota-
niker, schwerlich sonst jemand, und selbst dieser, der dar-
an das Befruchtungsorgan der Pflanze erkennt, nimmt,
wenn er darüber durch Geschmack urtheilt, auf diesen
Naturzweck keine Rücksicht. Es wird also keine Voll-
kommenheit von irgend einer Art keine innere Zweckmäs-
sigkeit, auf welche sich die Zusammensetzung des Man-
nigfaltigen beziehe, diesem Urtheile zum Grunde gelegt.

Viele

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
ject und deſſen inneres Gefuͤhl, und zwar ſofern dieſes
Urtheil nach einer allgemeinen Regel moͤglich iſt.

§. 16.
Das Geſchmacksurtheil, wodurch ein Ge-
genſtand unter der Bedingung eines be-
ſtimmten Begrifs fuͤr ſchoͤn erklaͤrt wird,
iſt nicht rein.

Es giebt zweyerley Arten von Schoͤnheit: freye
Schoͤnheit (pulchritudo vaga), oder die blos anhaͤn-
gende Schoͤnheit (pulchritudo adhaerens). Die erſtere
ſetzt keinen Begrif von dem voraus, was der Gegenſtand
ſeyn ſoll, die zweyte ſetzt einen ſolchen und die Vollkom-
menheit des Gegenſtandes nach demſelben voraus. Die
erſtern heißen (fuͤr ſich beſtehende) Schoͤnheiten dieſes
oder jenes Dinges, die andere wird als einem Begriffe
anhaͤngend (bedingte Schoͤnheit) Objecten, die unter
dem Begriffe eines beſondern Zwecks ſtehen, beygelegt.

Blumen ſind freye Naturſchoͤnheiten. Was eine
Blume fuͤr ein Ding ſeyn ſoll, weiß, außer dem Bota-
niker, ſchwerlich ſonſt jemand, und ſelbſt dieſer, der dar-
an das Befruchtungsorgan der Pflanze erkennt, nimmt,
wenn er daruͤber durch Geſchmack urtheilt, auf dieſen
Naturzweck keine Ruͤckſicht. Es wird alſo keine Voll-
kommenheit von irgend einer Art keine innere Zweckmaͤſ-
ſigkeit, auf welche ſich die Zuſammenſetzung des Man-
nigfaltigen beziehe, dieſem Urtheile zum Grunde gelegt.

Viele
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0112" n="48"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
ject und de&#x017F;&#x017F;en inneres Gefu&#x0364;hl, und zwar &#x017F;ofern die&#x017F;es<lb/>
Urtheil nach einer allgemeinen Regel mo&#x0364;glich i&#x017F;t.</p>
              </div><lb/>
              <div n="5">
                <head> <hi rendition="#b">§. 16.<lb/>
Das Ge&#x017F;chmacksurtheil, wodurch ein Ge-<lb/>
gen&#x017F;tand unter der Bedingung eines be-<lb/>
&#x017F;timmten Begrifs fu&#x0364;r &#x017F;cho&#x0364;n erkla&#x0364;rt wird,<lb/>
i&#x017F;t nicht rein.</hi> </head><lb/>
                <p>Es giebt zweyerley Arten von Scho&#x0364;nheit: freye<lb/>
Scho&#x0364;nheit <hi rendition="#aq">(pulchritudo vaga)</hi>, oder die blos anha&#x0364;n-<lb/>
gende Scho&#x0364;nheit <hi rendition="#aq">(pulchritudo adhaerens)</hi>. Die er&#x017F;tere<lb/>
&#x017F;etzt keinen Begrif von dem voraus, was der Gegen&#x017F;tand<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;oll, die zweyte &#x017F;etzt einen &#x017F;olchen und die Vollkom-<lb/>
menheit des Gegen&#x017F;tandes nach dem&#x017F;elben voraus. Die<lb/>
er&#x017F;tern heißen (fu&#x0364;r &#x017F;ich be&#x017F;tehende) Scho&#x0364;nheiten die&#x017F;es<lb/>
oder jenes Dinges, die andere wird als einem Begriffe<lb/>
anha&#x0364;ngend (bedingte Scho&#x0364;nheit) Objecten, die unter<lb/>
dem Begriffe eines be&#x017F;ondern Zwecks &#x017F;tehen, beygelegt.</p><lb/>
                <p>Blumen &#x017F;ind freye Natur&#x017F;cho&#x0364;nheiten. Was eine<lb/>
Blume fu&#x0364;r ein Ding &#x017F;eyn &#x017F;oll, weiß, außer dem Bota-<lb/>
niker, &#x017F;chwerlich &#x017F;on&#x017F;t jemand, und &#x017F;elb&#x017F;t die&#x017F;er, der dar-<lb/>
an das Befruchtungsorgan der Pflanze erkennt, nimmt,<lb/>
wenn er daru&#x0364;ber durch Ge&#x017F;chmack urtheilt, auf die&#x017F;en<lb/>
Naturzweck keine Ru&#x0364;ck&#x017F;icht. Es wird al&#x017F;o keine Voll-<lb/>
kommenheit von irgend einer Art keine innere Zweckma&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;igkeit, auf welche &#x017F;ich die Zu&#x017F;ammen&#x017F;etzung des Man-<lb/>
nigfaltigen beziehe, die&#x017F;em Urtheile zum Grunde gelegt.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Viele</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[48/0112] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. ject und deſſen inneres Gefuͤhl, und zwar ſofern dieſes Urtheil nach einer allgemeinen Regel moͤglich iſt. §. 16. Das Geſchmacksurtheil, wodurch ein Ge- genſtand unter der Bedingung eines be- ſtimmten Begrifs fuͤr ſchoͤn erklaͤrt wird, iſt nicht rein. Es giebt zweyerley Arten von Schoͤnheit: freye Schoͤnheit (pulchritudo vaga), oder die blos anhaͤn- gende Schoͤnheit (pulchritudo adhaerens). Die erſtere ſetzt keinen Begrif von dem voraus, was der Gegenſtand ſeyn ſoll, die zweyte ſetzt einen ſolchen und die Vollkom- menheit des Gegenſtandes nach demſelben voraus. Die erſtern heißen (fuͤr ſich beſtehende) Schoͤnheiten dieſes oder jenes Dinges, die andere wird als einem Begriffe anhaͤngend (bedingte Schoͤnheit) Objecten, die unter dem Begriffe eines beſondern Zwecks ſtehen, beygelegt. Blumen ſind freye Naturſchoͤnheiten. Was eine Blume fuͤr ein Ding ſeyn ſoll, weiß, außer dem Bota- niker, ſchwerlich ſonſt jemand, und ſelbſt dieſer, der dar- an das Befruchtungsorgan der Pflanze erkennt, nimmt, wenn er daruͤber durch Geſchmack urtheilt, auf dieſen Naturzweck keine Ruͤckſicht. Es wird alſo keine Voll- kommenheit von irgend einer Art keine innere Zweckmaͤſ- ſigkeit, auf welche ſich die Zuſammenſetzung des Man- nigfaltigen beziehe, dieſem Urtheile zum Grunde gelegt. Viele

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/112
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/112>, abgerufen am 28.03.2024.