Denn da das Gefühl des Erhabenen eine mit der Beurtheilung des Gegenstandes verbundene Bewe- gung des Gemüths, als seinen Character bey sich führt, anstatt daß der Geschmack am Schönen das Gemüth in ruhiger Contemplation voraussetzt und erhält, diese Bewegung aber als subjectiv zweckmäßig beurtheilt wer- den soll (weil das Erhabene gefällt) so wird sie durch die Einbildungskraft entweder auf das Erkenntnis- oder auf das Begehrungsvermögen bezogen, in beyder- ley Beziehung aber die Zweckmäßigkeit der gegebenen Vorstellung nur in Ansehung dieser Vermögen (ohne Zweck oder Jnteresse) beurtheilt werden: da dann die erste, als eine mathematische, die zweyte als dyna- mische Stimmung der Einbildungskraft dem Objecte beygelegt und daher dieses auf gedachte zwiefache Art als erhaben vorgestellt wird.
A. Vom Mathematisch-Erhabenen.
§. 25. Nahmenerklärung des Erhabenen.
Erhaben nennen wir das, was schlechthin gros ist. Gros- seyn aber und eine Größe seyn sind ganz verschiedene Begriffe (magnitudo und quantitas). Jmgleichen schlechtweg (simpliciter) sagen, daß et- was gros sey, ist auch ganz was anderes als zu sagen,
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Denn da das Gefuͤhl des Erhabenen eine mit der Beurtheilung des Gegenſtandes verbundene Bewe- gung des Gemuͤths, als ſeinen Character bey ſich fuͤhrt, anſtatt daß der Geſchmack am Schoͤnen das Gemuͤth in ruhiger Contemplation vorausſetzt und erhaͤlt, dieſe Bewegung aber als ſubjectiv zweckmaͤßig beurtheilt wer- den ſoll (weil das Erhabene gefaͤllt) ſo wird ſie durch die Einbildungskraft entweder auf das Erkenntnis- oder auf das Begehrungsvermoͤgen bezogen, in beyder- ley Beziehung aber die Zweckmaͤßigkeit der gegebenen Vorſtellung nur in Anſehung dieſer Vermoͤgen (ohne Zweck oder Jntereſſe) beurtheilt werden: da dann die erſte, als eine mathematiſche, die zweyte als dyna- miſche Stimmung der Einbildungskraft dem Objecte beygelegt und daher dieſes auf gedachte zwiefache Art als erhaben vorgeſtellt wird.
A. Vom Mathematiſch-Erhabenen.
§. 25. Nahmenerklaͤrung des Erhabenen.
Erhaben nennen wir das, was ſchlechthin gros iſt. Gros- ſeyn aber und eine Groͤße ſeyn ſind ganz verſchiedene Begriffe (magnitudo und quantitas). Jmgleichen ſchlechtweg (ſimpliciter) ſagen, daß et- was gros ſey, iſt auch ganz was anderes als zu ſagen,
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Denn da das Gefuͤhl des Erhabenen eine mit der
Beurtheilung des Gegenſtandes verbundene Bewe-
gung des Gemuͤths, als ſeinen Character bey ſich fuͤhrt,
anſtatt daß der Geſchmack am Schoͤnen das Gemuͤth in
ruhiger Contemplation vorausſetzt und erhaͤlt, dieſe
Bewegung aber als ſubjectiv zweckmaͤßig beurtheilt wer-
den ſoll (weil das Erhabene gefaͤllt) ſo wird ſie durch die
Einbildungskraft entweder auf das Erkenntnis- oder
auf das Begehrungsvermoͤgen bezogen, in beyder-
ley Beziehung aber die Zweckmaͤßigkeit der gegebenen
Vorſtellung nur in Anſehung dieſer Vermoͤgen (ohne
Zweck oder Jntereſſe) beurtheilt werden: da dann die
erſte, als eine mathematiſche, die zweyte als dyna-
miſche Stimmung der Einbildungskraft dem Objecte
beygelegt und daher dieſes auf gedachte zwiefache Art als
erhaben vorgeſtellt wird.
A.
Vom Mathematiſch-Erhabenen.
§. 25.
Nahmenerklaͤrung des Erhabenen.
Erhaben nennen wir das, was ſchlechthin
gros iſt. Gros- ſeyn aber und eine Groͤße ſeyn ſind
ganz verſchiedene Begriffe (magnitudo und quantitas).
Jmgleichen ſchlechtweg (ſimpliciter) ſagen, daß et-
was gros ſey, iſt auch ganz was anderes als zu ſagen,
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/143>, abgerufen am 25.04.2024.
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