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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
bunden seyn soll. Daher sind auch alle Geschmacksur-
theile einzelne Urtheile, weil sie ihr Prädicat des Wohl-
gefallens nicht mit einem Begriffe, sondern mit einer
gegebenen einzelnen empirischen Vorstellung verbinden.

Also ist es nicht die Lust, sondern die Allgemein-
gültigkeit dieser Lust,
die mit der bloßen Beurthei-
lung eines Gegenstandes im Gemüthe als verbunden
wargenommen wird, welche a priori als allgemeine Re-
gel für die Urtheilskraft, für jedermann gültig, in einem
Geschmacksurtheile vorgestellt wird. Es ist ein empiri-
sches Urtheil, daß ich einen Gegenstand mit Lust war-
nehme und beurtheile. Es ist aber ein Urtheil a priori
daß ich ihn schön finde d. i. jenes Wohlgefallen jeder-
mann als nothwendig ansinnen darf.

§. 38.
Deduction der Geschmacksurtheile.

Wenn eingeräumt wird: daß in einem reinen Ge-
schmacksurtheile das Wohlgefallen an dem Gegenstande
mit der bloßen Benrtheilung seiner Form verbunden sey,
so ist es nichts anderes, als die subjective Zweckmäßig-
keit derselben für die Urtheilskraft, welche wir mit der
Vorstellung des Gegenstandes im Gemüthe verbunden
empfinden: Da nun die Urtheilskraft in Ansehung der
formalen Regeln der Beurtheilung, ohne alle Materie
(weder Sinnenempfindung noch Begrif) nur auf die sub-

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
bunden ſeyn ſoll. Daher ſind auch alle Geſchmacksur-
theile einzelne Urtheile, weil ſie ihr Praͤdicat des Wohl-
gefallens nicht mit einem Begriffe, ſondern mit einer
gegebenen einzelnen empiriſchen Vorſtellung verbinden.

Alſo iſt es nicht die Luſt, ſondern die Allgemein-
guͤltigkeit dieſer Luſt,
die mit der bloßen Beurthei-
lung eines Gegenſtandes im Gemuͤthe als verbunden
wargenommen wird, welche a priori als allgemeine Re-
gel fuͤr die Urtheilskraft, fuͤr jedermann guͤltig, in einem
Geſchmacksurtheile vorgeſtellt wird. Es iſt ein empiri-
ſches Urtheil, daß ich einen Gegenſtand mit Luſt war-
nehme und beurtheile. Es iſt aber ein Urtheil a priori
daß ich ihn ſchoͤn finde d. i. jenes Wohlgefallen jeder-
mann als nothwendig anſinnen darf.

§. 38.
Deduction der Geſchmacksurtheile.

Wenn eingeraͤumt wird: daß in einem reinen Ge-
ſchmacksurtheile das Wohlgefallen an dem Gegenſtande
mit der bloßen Benrtheilung ſeiner Form verbunden ſey,
ſo iſt es nichts anderes, als die ſubjective Zweckmaͤßig-
keit derſelben fuͤr die Urtheilskraft, welche wir mit der
Vorſtellung des Gegenſtandes im Gemuͤthe verbunden
empfinden: Da nun die Urtheilskraft in Anſehung der
formalen Regeln der Beurtheilung, ohne alle Materie
(weder Sinnenempfindung noch Begrif) nur auf die ſub-

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[148/0212] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. bunden ſeyn ſoll. Daher ſind auch alle Geſchmacksur- theile einzelne Urtheile, weil ſie ihr Praͤdicat des Wohl- gefallens nicht mit einem Begriffe, ſondern mit einer gegebenen einzelnen empiriſchen Vorſtellung verbinden. Alſo iſt es nicht die Luſt, ſondern die Allgemein- guͤltigkeit dieſer Luſt, die mit der bloßen Beurthei- lung eines Gegenſtandes im Gemuͤthe als verbunden wargenommen wird, welche a priori als allgemeine Re- gel fuͤr die Urtheilskraft, fuͤr jedermann guͤltig, in einem Geſchmacksurtheile vorgeſtellt wird. Es iſt ein empiri- ſches Urtheil, daß ich einen Gegenſtand mit Luſt war- nehme und beurtheile. Es iſt aber ein Urtheil a priori daß ich ihn ſchoͤn finde d. i. jenes Wohlgefallen jeder- mann als nothwendig anſinnen darf. §. 38. Deduction der Geſchmacksurtheile. Wenn eingeraͤumt wird: daß in einem reinen Ge- ſchmacksurtheile das Wohlgefallen an dem Gegenſtande mit der bloßen Benrtheilung ſeiner Form verbunden ſey, ſo iſt es nichts anderes, als die ſubjective Zweckmaͤßig- keit derſelben fuͤr die Urtheilskraft, welche wir mit der Vorſtellung des Gegenſtandes im Gemuͤthe verbunden empfinden: Da nun die Urtheilskraft in Anſehung der formalen Regeln der Beurtheilung, ohne alle Materie (weder Sinnenempfindung noch Begrif) nur auf die ſub-

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/212>, abgerufen am 29.03.2024.