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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
am Schönen, wenn es darauf gegründet ist, einen nur
sehr zweydeutigen Uebergang vom Angenehmen zum Gu-
ten abgeben könne, welcher, ob er nicht etwa doch durch
den Geschmack, wenn er in seiner Reinigkeit genommen
wird, befördert werden könne, wir zu untersuchen Ur-
sache haben.

§. 42.
Vom intellectuellen Jnteresse am Schönen.

Es geschah in gutmüthiger Absicht, daß diejenigen,
welche alle Beschäftigungen der Menschen, wozu sie die
innere Naturanlage antreibt, gerne auf den letzten Zweck
der Menschheit, nämlich das Moralisch- Gute richten
wollten, es für ein Zeichen eines guten moralischen Cha-
racters hielten, am Schönen überhaupt ein Jnteresse zu
nehmen. Jhnen ist aber nicht ohne Grund von andern
widersprochen worden, die sich auf die Erfahrung beru-
fen, daß Virtuosen des Geschmacks nicht allein öfters,
sondern wohl gar gewöhnlich eitel, eigensinnig und ver-
derblichen Leidenschaften ergeben, vielleicht noch weniger
wie andere auf den Vorzug der Anhänglichkeit an sitt-
liche Grundsätze Anspruch machen könnten und so scheint
es, daß das Gefühl fürs Schöne, nicht allein (wie es
auch wirklich ist) vom moralischen Gefühl specifisch un-
terschieden, sondern auch das Jnteresse, welches man
damit verbinden kann, mit dem moralischen schwer, kei-
nesweges aber durch innere Affinität, vereinbar sey.

L 2

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
am Schoͤnen, wenn es darauf gegruͤndet iſt, einen nur
ſehr zweydeutigen Uebergang vom Angenehmen zum Gu-
ten abgeben koͤnne, welcher, ob er nicht etwa doch durch
den Geſchmack, wenn er in ſeiner Reinigkeit genommen
wird, befoͤrdert werden koͤnne, wir zu unterſuchen Ur-
ſache haben.

§. 42.
Vom intellectuellen Jntereſſe am Schoͤnen.

Es geſchah in gutmuͤthiger Abſicht, daß diejenigen,
welche alle Beſchaͤftigungen der Menſchen, wozu ſie die
innere Naturanlage antreibt, gerne auf den letzten Zweck
der Menſchheit, naͤmlich das Moraliſch- Gute richten
wollten, es fuͤr ein Zeichen eines guten moraliſchen Cha-
racters hielten, am Schoͤnen uͤberhaupt ein Jntereſſe zu
nehmen. Jhnen iſt aber nicht ohne Grund von andern
widerſprochen worden, die ſich auf die Erfahrung beru-
fen, daß Virtuoſen des Geſchmacks nicht allein oͤfters,
ſondern wohl gar gewoͤhnlich eitel, eigenſinnig und ver-
derblichen Leidenſchaften ergeben, vielleicht noch weniger
wie andere auf den Vorzug der Anhaͤnglichkeit an ſitt-
liche Grundſaͤtze Anſpruch machen koͤnnten und ſo ſcheint
es, daß das Gefuͤhl fuͤrs Schoͤne, nicht allein (wie es
auch wirklich iſt) vom moraliſchen Gefuͤhl ſpecifiſch un-
terſchieden, ſondern auch das Jntereſſe, welches man
damit verbinden kann, mit dem moraliſchen ſchwer, kei-
nesweges aber durch innere Affinitaͤt, vereinbar ſey.

L 2
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[163/0227] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. am Schoͤnen, wenn es darauf gegruͤndet iſt, einen nur ſehr zweydeutigen Uebergang vom Angenehmen zum Gu- ten abgeben koͤnne, welcher, ob er nicht etwa doch durch den Geſchmack, wenn er in ſeiner Reinigkeit genommen wird, befoͤrdert werden koͤnne, wir zu unterſuchen Ur- ſache haben. §. 42. Vom intellectuellen Jntereſſe am Schoͤnen. Es geſchah in gutmuͤthiger Abſicht, daß diejenigen, welche alle Beſchaͤftigungen der Menſchen, wozu ſie die innere Naturanlage antreibt, gerne auf den letzten Zweck der Menſchheit, naͤmlich das Moraliſch- Gute richten wollten, es fuͤr ein Zeichen eines guten moraliſchen Cha- racters hielten, am Schoͤnen uͤberhaupt ein Jntereſſe zu nehmen. Jhnen iſt aber nicht ohne Grund von andern widerſprochen worden, die ſich auf die Erfahrung beru- fen, daß Virtuoſen des Geſchmacks nicht allein oͤfters, ſondern wohl gar gewoͤhnlich eitel, eigenſinnig und ver- derblichen Leidenſchaften ergeben, vielleicht noch weniger wie andere auf den Vorzug der Anhaͤnglichkeit an ſitt- liche Grundſaͤtze Anſpruch machen koͤnnten und ſo ſcheint es, daß das Gefuͤhl fuͤrs Schoͤne, nicht allein (wie es auch wirklich iſt) vom moraliſchen Gefuͤhl ſpecifiſch un- terſchieden, ſondern auch das Jntereſſe, welches man damit verbinden kann, mit dem moraliſchen ſchwer, kei- nesweges aber durch innere Affinitaͤt, vereinbar ſey. L 2

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/227>, abgerufen am 23.04.2024.