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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
lectik genannt werden kann und ein unvermeidlicher
Schein, den man in der Critik entblößen und auflösen
muß, damit er nicht betrüge.

§. 70.
Vorstellung dieser Antinomie.

So fern die Vernunft es mit der Natur, als Jn-
begrif der Gegenstände äußerer Sinne, zu thun hat,
kann sie sich auf Gesetze gründen, die der Verstand theils
selbst a priori der Natur vorschreibt, theils durch die in
der Erfahrung vorkommende empirische Bestimmungen,
ins Unabsehliche erweitern kann. Zur Anwendung der
erstern Art von Gesetzen, nämlich den allgemeinen
der materiellen Natur überhaupt, braucht die Urtheils-
kraft kein besonderes Princip der Reflexion; denn da ist
sie bestimmend, weil ihr ein objectives Princip durch den
Verstand gegeben ist. Aber, was die besondere Gesetze
betrift, die uns nur durch Erfahrung kund werden kön-
nen, so kann unter ihnen eine so große Mannigfaltig-
keit und Ungleichartigkeit seyn, daß die Urtheilskraft ihr
selbst zum Princip dienen muß, um auch nur in den Er-
scheinungen der Natur nach einem Gesetze zu forschen
und es auszuspähen, indem sie ein solches zum Leitfaden
bedarf, wenn sie ein zusammenhangendes Erfahrungs-
erkenntnis nach einer durchgängigen Gesetzmäßigkeit der
Natur, die Einheit derselben nach empirischen Gesetzen,
auch nur hoffen soll. Bey dieser zufälligen Einheit der

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II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
lectik genannt werden kann und ein unvermeidlicher
Schein, den man in der Critik entbloͤßen und aufloͤſen
muß, damit er nicht betruͤge.

§. 70.
Vorſtellung dieſer Antinomie.

So fern die Vernunft es mit der Natur, als Jn-
begrif der Gegenſtaͤnde aͤußerer Sinne, zu thun hat,
kann ſie ſich auf Geſetze gruͤnden, die der Verſtand theils
ſelbſt a priori der Natur vorſchreibt, theils durch die in
der Erfahrung vorkommende empiriſche Beſtimmungen,
ins Unabſehliche erweitern kann. Zur Anwendung der
erſtern Art von Geſetzen, naͤmlich den allgemeinen
der materiellen Natur uͤberhaupt, braucht die Urtheils-
kraft kein beſonderes Princip der Reflexion; denn da iſt
ſie beſtimmend, weil ihr ein objectives Princip durch den
Verſtand gegeben iſt. Aber, was die beſondere Geſetze
betrift, die uns nur durch Erfahrung kund werden koͤn-
nen, ſo kann unter ihnen eine ſo große Mannigfaltig-
keit und Ungleichartigkeit ſeyn, daß die Urtheilskraft ihr
ſelbſt zum Princip dienen muß, um auch nur in den Er-
ſcheinungen der Natur nach einem Geſetze zu forſchen
und es auszuſpaͤhen, indem ſie ein ſolches zum Leitfaden
bedarf, wenn ſie ein zuſammenhangendes Erfahrungs-
erkenntnis nach einer durchgaͤngigen Geſetzmaͤßigkeit der
Natur, die Einheit derſelben nach empiriſchen Geſetzen,
auch nur hoffen ſoll. Bey dieſer zufaͤlligen Einheit der

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[309/0373] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. lectik genannt werden kann und ein unvermeidlicher Schein, den man in der Critik entbloͤßen und aufloͤſen muß, damit er nicht betruͤge. §. 70. Vorſtellung dieſer Antinomie. So fern die Vernunft es mit der Natur, als Jn- begrif der Gegenſtaͤnde aͤußerer Sinne, zu thun hat, kann ſie ſich auf Geſetze gruͤnden, die der Verſtand theils ſelbſt a priori der Natur vorſchreibt, theils durch die in der Erfahrung vorkommende empiriſche Beſtimmungen, ins Unabſehliche erweitern kann. Zur Anwendung der erſtern Art von Geſetzen, naͤmlich den allgemeinen der materiellen Natur uͤberhaupt, braucht die Urtheils- kraft kein beſonderes Princip der Reflexion; denn da iſt ſie beſtimmend, weil ihr ein objectives Princip durch den Verſtand gegeben iſt. Aber, was die beſondere Geſetze betrift, die uns nur durch Erfahrung kund werden koͤn- nen, ſo kann unter ihnen eine ſo große Mannigfaltig- keit und Ungleichartigkeit ſeyn, daß die Urtheilskraft ihr ſelbſt zum Princip dienen muß, um auch nur in den Er- ſcheinungen der Natur nach einem Geſetze zu forſchen und es auszuſpaͤhen, indem ſie ein ſolches zum Leitfaden bedarf, wenn ſie ein zuſammenhangendes Erfahrungs- erkenntnis nach einer durchgaͤngigen Geſetzmaͤßigkeit der Natur, die Einheit derſelben nach empiriſchen Geſetzen, auch nur hoffen ſoll. Bey dieſer zufaͤlligen Einheit der U 3

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/373>, abgerufen am 28.03.2024.