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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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II. Th. Critik der teleologischen Urtheilskraft.
mögens nothwendig, den obersten Grund dazu in einem
ursprünglichen Verstande als Weltursache zu suchen.

§. 78.
Von der Vereinigung des Princips des allge-
meinen Mechanismus der Materie mit dem
teleologischen in der Technik der Natur.

Es liegt der Vernunft unendlich viel daran, den
Mechanism der Natur in ihren Erzeugungen nicht fallen
zu lassen und in der Erklärung derselben nicht vorbey zu
gehen; weil ohne diesen keine Einsicht in der Natur der
Dinge erlangt werden kann. Wenn man uns gleich ein-
räumt: daß ein höchster Architekt die Formen der Na-
tur, so wie sie von je her da sind, unmittelbar geschaffen,
oder die, so sich in ihren Laufe continuirlich nach eben
demselben Muster bilden, prädeterminirt habe, so ist
doch dadurch unsere Erkenntnis der Natur nicht im min-
desten gefördert; weil wir jenes Wesens Handlungsart
und die Jdeen desselben welche die Principien der Mög-
lichkeit der Naturwesen enthalten sollen gar nicht kennen
und von demselben als von oben herab (a priori) die Na-
tur nicht erklären können. Wollen wir aber von den
Formen der Gegenstände der Erfahrung, also von unten
hinanf (a posteriori) weil wir in diesen Zweckmäßigkeit
anzutreffen glauben, um diese zu erklären, uns auf eine
nach Zwecken wirkende Ursache berufen, so würden wir
ganz tavtologisch erklären und die Vernunft mit Worten

II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft.
moͤgens nothwendig, den oberſten Grund dazu in einem
urſpruͤnglichen Verſtande als Welturſache zu ſuchen.

§. 78.
Von der Vereinigung des Princips des allge-
meinen Mechanismus der Materie mit dem
teleologiſchen in der Technik der Natur.

Es liegt der Vernunft unendlich viel daran, den
Mechanism der Natur in ihren Erzeugungen nicht fallen
zu laſſen und in der Erklaͤrung derſelben nicht vorbey zu
gehen; weil ohne dieſen keine Einſicht in der Natur der
Dinge erlangt werden kann. Wenn man uns gleich ein-
raͤumt: daß ein hoͤchſter Architekt die Formen der Na-
tur, ſo wie ſie von je her da ſind, unmittelbar geſchaffen,
oder die, ſo ſich in ihren Laufe continuirlich nach eben
demſelben Muſter bilden, praͤdeterminirt habe, ſo iſt
doch dadurch unſere Erkenntnis der Natur nicht im min-
deſten gefoͤrdert; weil wir jenes Weſens Handlungsart
und die Jdeen deſſelben welche die Principien der Moͤg-
lichkeit der Naturweſen enthalten ſollen gar nicht kennen
und von demſelben als von oben herab (a priori) die Na-
tur nicht erklaͤren koͤnnen. Wollen wir aber von den
Formen der Gegenſtaͤnde der Erfahrung, alſo von unten
hinanf (a poſteriori) weil wir in dieſen Zweckmaͤßigkeit
anzutreffen glauben, um dieſe zu erklaͤren, uns auf eine
nach Zwecken wirkende Urſache berufen, ſo wuͤrden wir
ganz tavtologiſch erklaͤren und die Vernunft mit Worten

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[350/0414] II. Th. Critik der teleologiſchen Urtheilskraft. moͤgens nothwendig, den oberſten Grund dazu in einem urſpruͤnglichen Verſtande als Welturſache zu ſuchen. §. 78. Von der Vereinigung des Princips des allge- meinen Mechanismus der Materie mit dem teleologiſchen in der Technik der Natur. Es liegt der Vernunft unendlich viel daran, den Mechanism der Natur in ihren Erzeugungen nicht fallen zu laſſen und in der Erklaͤrung derſelben nicht vorbey zu gehen; weil ohne dieſen keine Einſicht in der Natur der Dinge erlangt werden kann. Wenn man uns gleich ein- raͤumt: daß ein hoͤchſter Architekt die Formen der Na- tur, ſo wie ſie von je her da ſind, unmittelbar geſchaffen, oder die, ſo ſich in ihren Laufe continuirlich nach eben demſelben Muſter bilden, praͤdeterminirt habe, ſo iſt doch dadurch unſere Erkenntnis der Natur nicht im min- deſten gefoͤrdert; weil wir jenes Weſens Handlungsart und die Jdeen deſſelben welche die Principien der Moͤg- lichkeit der Naturweſen enthalten ſollen gar nicht kennen und von demſelben als von oben herab (a priori) die Na- tur nicht erklaͤren koͤnnen. Wollen wir aber von den Formen der Gegenſtaͤnde der Erfahrung, alſo von unten hinanf (a poſteriori) weil wir in dieſen Zweckmaͤßigkeit anzutreffen glauben, um dieſe zu erklaͤren, uns auf eine nach Zwecken wirkende Urſache berufen, ſo wuͤrden wir ganz tavtologiſch erklaͤren und die Vernunft mit Worten

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/414>, abgerufen am 20.04.2024.