Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Adler und die Pfeifvögel.

Eine Fabel.



Ein Adlererbe gab vor Zeiten
Der ersten Nachtigall den Preis,
Er hatte sie behorcht von weiten
Schon manchen Mai, da noch der Greiß
Sein Vorfahr königlich regierte,
Der auf ihr Lied nie Acht gehabt.
Jezt ward sie öffentlich begabt
Mit Ehre, die ihr längst gebührte.
Ha! nun erhub sich ein Geschrei:
Der neue Felsbesitzer sey
Ein großer Freund des Singechores --
Da pfiffen Amsel, Drossel, Staar,
Und Gümpel, und die ganze Schaar
Versprach sich auch des Adlerohres
Gehör bei ihrem Schnabelschall;
Er aber ließ herab befehlen:
Schont Eure Schnäbel, eure Kehlen!
Mein Ohr gehört der Nachtigall.



S 2

Der Adler und die Pfeifvoͤgel.

Eine Fabel.



Ein Adlererbe gab vor Zeiten
Der erſten Nachtigall den Preis,
Er hatte ſie behorcht von weiten
Schon manchen Mai, da noch der Greiß
Sein Vorfahr koͤniglich regierte,
Der auf ihr Lied nie Acht gehabt.
Jezt ward ſie oͤffentlich begabt
Mit Ehre, die ihr laͤngſt gebuͤhrte.
Ha! nun erhub ſich ein Geſchrei:
Der neue Felsbeſitzer ſey
Ein großer Freund des Singechores —
Da pfiffen Amſel, Droſſel, Staar,
Und Guͤmpel, und die ganze Schaar
Verſprach ſich auch des Adlerohres
Gehoͤr bei ihrem Schnabelſchall;
Er aber ließ herab befehlen:
Schont Eure Schnaͤbel, eure Kehlen!
Mein Ohr gehoͤrt der Nachtigall.



S 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0435" n="275"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Der Adler und die Pfeifvo&#x0364;gel.</hi> </head><lb/>
            <p> <hi rendition="#c">Eine Fabel.</hi> </p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
            <lg type="poem">
              <l><hi rendition="#in">E</hi>in Adlererbe gab vor Zeiten</l><lb/>
              <l>Der er&#x017F;ten Nachtigall den Preis,</l><lb/>
              <l>Er hatte &#x017F;ie behorcht von weiten</l><lb/>
              <l>Schon manchen Mai, da noch der Greiß</l><lb/>
              <l>Sein Vorfahr ko&#x0364;niglich regierte,</l><lb/>
              <l>Der auf ihr Lied nie Acht gehabt.</l><lb/>
              <l>Jezt ward &#x017F;ie o&#x0364;ffentlich begabt</l><lb/>
              <l>Mit Ehre, die ihr la&#x0364;ng&#x017F;t gebu&#x0364;hrte.</l><lb/>
              <l>Ha! nun erhub &#x017F;ich ein Ge&#x017F;chrei:</l><lb/>
              <l>Der neue Felsbe&#x017F;itzer &#x017F;ey</l><lb/>
              <l>Ein großer Freund des Singechores &#x2014;</l><lb/>
              <l>Da pfiffen Am&#x017F;el, Dro&#x017F;&#x017F;el, Staar,</l><lb/>
              <l>Und Gu&#x0364;mpel, und die ganze Schaar</l><lb/>
              <l>Ver&#x017F;prach &#x017F;ich auch des Adlerohres</l><lb/>
              <l>Geho&#x0364;r bei ihrem Schnabel&#x017F;chall;</l><lb/>
              <l>Er aber ließ herab befehlen:</l><lb/>
              <l>Schont Eure Schna&#x0364;bel, eure Kehlen!</l><lb/>
              <l>Mein Ohr geho&#x0364;rt der Nachtigall.</l>
            </lg>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <fw place="bottom" type="sig">S 2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[275/0435] Der Adler und die Pfeifvoͤgel. Eine Fabel. Ein Adlererbe gab vor Zeiten Der erſten Nachtigall den Preis, Er hatte ſie behorcht von weiten Schon manchen Mai, da noch der Greiß Sein Vorfahr koͤniglich regierte, Der auf ihr Lied nie Acht gehabt. Jezt ward ſie oͤffentlich begabt Mit Ehre, die ihr laͤngſt gebuͤhrte. Ha! nun erhub ſich ein Geſchrei: Der neue Felsbeſitzer ſey Ein großer Freund des Singechores — Da pfiffen Amſel, Droſſel, Staar, Und Guͤmpel, und die ganze Schaar Verſprach ſich auch des Adlerohres Gehoͤr bei ihrem Schnabelſchall; Er aber ließ herab befehlen: Schont Eure Schnaͤbel, eure Kehlen! Mein Ohr gehoͤrt der Nachtigall. S 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/435
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/435>, abgerufen am 16.04.2024.